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Dienstag, 5. November 2024

Orientierung nach rückwärts

Zum Artikel Waisenkinder in Rumänien leiden weiter in der Ausgabe vom 6. April:
Die dritte Säule (neben der Presse und der Justiz) einer wahren freiheitlichen Ordnung zeigt in Rumänien leider tiefe Risse. Einem sehr labilen parlamentarischen System mit zwei Kammern (Senat und Abgeordnetenkammer, die viele Reformansätze schon im Keim ersticken oder im besten Fall unnötig verzögern) ist es zuzuschreiben, dass Konzerne aus dem Ausland nach wie vor sehr zurückhaltend auf dem Investitionssektor agieren.
Die Alltagssorgen breiter Volksschichten lassen keinen Sensibilisierungsprozess für die Waisenkinder im eigenen Land gedeihen, und der Regierung, die jetzt mit einem von Premierminister Mugur Isărescu geleiteten Krisenstab zur Bewältigung des Waisenkinder-Problems auf das Drängen der EU reagiert hat, läuft die Zeit davon. Im Spätherbst soll das Volk wählen, und alles deutet zur Zeit auf eine verhängnisvolle Rückwärtsorientierung vieler Rumänen hin. Der Altkommunist Ion Iliescu führt seit Monaten mit seiner Partei der Sozialen Demokratie (PDSR) die Umfragelisten an.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 12. April 2000

Donnerstag, 1. August 2024

A fost inaugurat Centrul pentru Seniori „Josef Nischbach”

 Diaspora

Scrisoare din Ingolstadt


O zi însorită le-a fost zărăzită inițiatorilor festivității de inaugurare a Centrului pentru Seniori „Josef Nischbach”. Peste 500 de interesați au onorat cu prezența lor invitația organizatorilor care pregătiseră un decent program festiv cu omagii aduse de reprezentanții scenei politice locale și ale landului Bavaria, cu interpretări muzicale și consacrări clericale.
Foto: Anton Delagiarmata
În numai 18 luni Organizația Șvabilor Bănățeni a ridicat un edificiu de locuit pentru oameni în vârstă și pentru nevoiași cu îngrijire permanentă, constând din trei blocuri de construcții cu 30 de locuințe (2 camere, bucătărie, baie) și 36 de camere de îngrijire, dotate cu cel mai modern mobiliar specific. (Foto). Hermann Regensburger, secretar de stat în Ministerul de Interne al landului german Bavaria, a caracterizat în alocuțiunea sa festivă activitatea Organizației de Ajutor a Șvabilor Bănățeni drept exemplu. Ajutorul acordat nu se oprește la granița vreunei țări, a spus vorbitorul, amintind de cele trei cămine pentru bătrâni care au fost realizate cu ajutorul acestei organizații, condusă de inginerul Helmut Schneider, în Banat. Hermann Regensburger (membru al Uniunii Creștin Sociale) a criticat vehement închiderea Consulatului General al Germaniei din Timișoara din inițiativa guvernului social-democrat de la Berlin. 
La festivitățile acestei zile, despre care s-a relatat detailat în mediile locale, au participat și doi reprezentanți ai germanilor din Banat: profesorul Karl Singer, președintele Forumului Democrat al Germanilor din Banat și Helmut Weinschrott, directorul Casei Adam Müller Guttenbrunn din Timișoara.
Anton Potche

din TIMIȘOARA INTERNAȚIONAL, Timișoara, ianuarie 2000

Dienstag, 9. Januar 2024

Rettungsanker für Arbeitnehmer

Zum Artikel BDI: IG-Metall-Forderung, „verheerendes Signal“ in der Ausgabe vom 11. Oktober:
Es gibt in der Metallindustrie trotz aller Automatisierung nach wie vor Arbeitsplätze, die den Menschen physisch extrem belasten. Ein Arbeiter, der tagein, tagaus das wohl unwiderlegbar wichtigste Glied der Wertschöpfungskette eines Produktes schmiedet, kann beim Zwickel-Vorstoß zur 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich nur dankbar aufatmen, auch wenn er selbst vielleicht nicht mehr in deren Genuss kommt.
Sein Dankbarkeitsgefühl an diese Vision entspringt dem Schweiß, seinen schmerzenden Gliedern, lädierten Bandscheiben und nicht zuletzt dem demütigenden gesellschaftlichen Image seiner oft als an der untersten Stelle menschlicher Würde empfundenen Arbeit. Es ist wahrscheinlich für selbst nicht betroffene Menschen kaum nachvollziehbar, welche selbstzerstörerischen Kräfte von im Laufe eines Arbeitsalltages angehäuften Frustrationen hervorgerufen werden können. Demotivation, Depression und nicht selten die Flucht in eine Sucht (meist Alkohol) sind die Folgen. Das alles natürlich unter für Außenstehende unvorstellbaren Zeit- und Stückzahlvorgaben!
Was in den Augen eines Präsidenten des BDI ein „verheerendes Signal“ ist, muss leider von vielen arbeitenden (schuftenden!) Menschen als Rettungsanker empfunden werden. Wer von ihnen eine ökonomisch ausgewogene Ratio erwartet und den IG-Metall-Beschluss als „egoistisch“ apostrophiert, trägt blanken Zynismus zur Schau, der offenlegt, wie weit sich die Gräben zwischen den gewerblich tätigen Menschen und den Vorgebern und Verwaltern der Arbeit aufgetan haben.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 26. Oktober 1999

Dienstag, 4. April 2023

Bei der Bahn passiert oft das Verkehrte

Zum Leserbrief „Marode Firma mit schlechtem Service“ (DK vom 16. Juli): 
Was behaupten Sie da in Ihrem Leserbrief, Herr Jaumann, „daß bei der Bahn noch viel passieren muß“? Ich lade Sie herzlich zu einem mitternächtlichen Spaziergang in die Martin-Hemm-Straße ein. Sie werden bis zum Überdruß ausgelebte DB-Aktivitäten erleben; und das auf Gleisen, die knapp 30 Meter an einer vorwiegend von Familien mit kleinen Kindern bewohnten Reihenhausanlage vorbeiführen.
Fotos: Anton Potche
Sie werden sich – Herr Schliffel vom DK darf natürlich auch mitkommen – von der Pünktlichkeit überzeugen können, mit der Kleinkinder und deren Eltern zu jeder möglichen Uhrzeit zwischen 22 und 6 Uhr mit den von Ihnen bereits sehr anschaulich beschriebenen akustischen Mitteln der Bahn wie Achsen, Bremsen usw. aus ihren in der Regel kurzen Schlafphasen aufgeschreckt werden.
Zur Vervollständigung dieses Szenariums seien nur noch weithin vernehmbare Weichenverstellungen und aus Lautsprecheranlagen schallende Rangieranleitungen (Foto) erwähnt; und das im Zeitalter der Telekommunikation.
D
a soll noch einer sagen, bei der Deutschen Bahn passiere zu wenig! Warum, meine Herren, gehen Sie mit unseren Ingolstädter DB-Verantwortlichen so streng ins Gericht? Auch in puncto Optik. Kommen Sie in die Martin-Hemm-Straße, und Sie werden sehen, wie man sich alle Mühe gegeben hat, allem am Zaun des DB-Geländes in den vergangenen Jahren gesprossenen Grün – meist heimische Sträucher  – den Garaus zu machen, um die Sicht auf die ach so ansehnliche DB-Instandhaltungshalle freizuhalten. (Foto)
Es „passiert“ also einiges bei unserem Mammutunternehmen Deutsche Bahn. Nur halt allzu oft das Verkehrte! Mehr Rücksichtnahme auf die Menschen in den Zügen und um die Bahnhöfe wäre in der Tat angebracht.
Mit etwas gutem Willen und einer verbesserten Logistik müßte das doch möglich sein, denn auch Anwohner der Bahn fahren mit der Deutschen Bahn lieber im Bewußtsein einer von gegenseitigem Respekt geprägten Nachbarschaft als mit dem deprimierenden Gefühl, Opfer einer übermächtigen und rücksichtslos agierenden Macht zu sein.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 22. Juli 1999

Dienstag, 1. November 2022

Glaubensgeschichte ausgeklammert?

 Zum Artikel „Johannes Paul II. Kommt als umstrittener Gast“ in der Ausgabe vom 6. Mai:

Es bedarf keiner besonderen geschichtlichen Kenntnisse, um festzustellen, daß die Entwicklungen der beiden Kirchen zwei grundverschiedene Richtungen eingeschlagen haben. Während die katholische Kirche sich zu einer weltumspannenden Einheitskirche mit einem „unfehlbaren“ Oberhaupt gemausert hat, mutierte die orthodoxe Kirche zu einer eher synodalen Glaubensgemeinschaft, die sich schließlich in einzelne nationale Kirchen aufspaltete.

Trotz allem sprießen die Lehren beider Kirchen aus dem gleichen christlichen Glaubensstamm. Und aus dieser Erkenntnis betrachtet, ist das ökumenische Gebet des Papstes und des Patriarchen der rumänisch-orthodoxen Kirche durchaus begrüßenswert. Aber auch wenn man die bis 1989 durchaus tyrannenfreundliche Haltung des rumänischen Kirchenoberhauptes bewußt ignoriert, bleibt bei diesem Papstbesuch dann doch ein bitterer Beigeschmack.

Die nationalen Prägungen voll ausnutzend, haben die rumänischen Kommunisten der 50er Jahre die Kirchen total vereinnahmt. Es entstand eine Staatskirche, die den sowjetisch bevormundeten Staat dabei unterstützte, alle anderen Glaubensgemeinschaften zu eliminieren. Katholische, in Rumänien hieß das deutsche und ungarische, Priester verschwanden als „Spione des Vatikan“ für Jahre hinter Kerkermauern.

Jetzt ließ sich der Vatikan in Rumänien ein Besuchsprotokoll aufnötigen, aus dem die Gebiete ausgeklammert blieben, in denen römisch- und griechisch-katholische Gläubige noch heute leben und ihrem Glauben unter oft widrigen Umständen treu bleiben. Die katholische Glaubenslehre propagiert zwar auch die Liebe zum Feind; aber doch wohl kaum mehr als die Wertschätzung der eigenen Gläubigen. Sollte man diesen geschichtsträchtigen Aspekt im Vatikan bereits aus den Augen verloren haben?

Das gemeinsame Gebet mit einem gestrigen Diktatorverehrer mag im Interesse immer anzustrebender friedensstiftender Annäherungen noch zähneknirschend hingenommen werden, das Meiden von Wirkungsstätten katholischer Märtyrer bleibt aber unverständlich. Der römisch-katholische Dom zu Temeswar wäre einer dieser heiligen Orte.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 12. Mai 1999


Donnerstag, 2. Juni 2022

Generalabrechnung dient niemandem

Zu den Artikeln Historiker über Walsers Tabubruch entzweit: Nur eine Stammtischwolke? und Waffenstillstand zwischen Bubis und Dohnanyi im Streit um Walser-Rede in den Ausgaben vom 8. und 9. Dezember:
Während der Rede Martin Walsers und noch einige Stunden danach, beim Nachdenken über das soeben Gehörte, fiel mir nichts Anstößiges auf. Bis dann Herr Bubis auf den Plan trat. Und was bewirkte sein Antisemitismus-Vorwurf (an Walser) bei mir, einem Mittvierziger? Er warf lediglich alte Fragen neu auf: War mein Großvater, auf dessen eisenbeschlagenen Holzfüßen ich die ersten Rollstuhlfahrten (noch bevor ich richtig laufen konnte) in den Hausgarten – das war „die Welt“, die der Krieg ihm gelassen hatte – erlebnishungrig genoß, ein Antisemit; oder war es mein anderer Großvater, den ich nie kannte, weil er unweit von Stalingrad ins Graß biß; oder war es mein alter Nachbar, der angeblich in einem Konzentrationslager Wache schieben mußte; oder ist es gar der Überlebende aus meinem Bekannten- oder Verwandtenkreis, der heute noch seine jugendliche DJ- und HJ-Begeisterung mit dem damaligen Zeitgeist rechtfertigt?
Meine Kindheitserinnerungen an den erlebten Großvater und an den gutmütigen Nachbarn verbieten mir, dieses schreckliche Urteil über sie zu fällen. Und ich bin mir sicher, so oder ähnlich wird es Tausenden in unserem Land gehen, wenn sie die ausgelöste Debatte auf die jeweils eigene Familienbiographie übertragen.
Wir sollten jetzt, an den angebrochenen Tagen des Besinnens und des Zuhörens unsere damals betroffenen und zum Teil vielleicht auch mitschuldigen Eltern und Großeltern mit der gebotenen Behutsamkeit zum Erzählen anregen. So mancher der älteren Generation könnte es als Erleichterung empfinden, das damalige Mitmachen oder nur Wegschauen als Fehler zuzugeben, und wir Nachkriegsgeborenen könnten diese Einsichten als wertvolle Wegbegleiter mit ins nächste Jahrhundert nehmen, damit Geschehenes auch solches bleibt.

Nur in einer Entflechtung hat diese Debatte noch Sinn. Als Generalabrechnung zwischen zwei Völkern dient sie, so wie Herr Bubis sie jetzt führt und die FDP sie politisch auch noch zur Selbstdarstellung mißbraucht, niemand, weder den Juden noch den Deutschen. Wie dieser Entflechtungsprozess letztendlich aussehen kann, hängt von jedem einzelnen Bürger, dem etwas an der Geschichte seines Landes liegt, selbst ab. Schuldzuweisungen à la Bubis haben allerdings darin nichts verloren. Sie sind dem Gedenken an das himmelschreiende Unrecht, das Deutsche dem Volk der Juden zugefügt haben, nur abträglich und rufen viel eher als Walsers Tabubrüche rechtsradikale Trotzreaktionen hervor.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 15. Dezember1998

Dienstag, 21. Dezember 2021

Schulschwestern im Banat zerschlagen

Zum Artikel Vox dei‘ spornt Schifferstochter an (DK vom 13. August):
In den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts rief Bischof Alexander Csajàghy den Orden der Armen Schulschwestern nach Temeswar im Banat (damals Ungarn / heute Rumänien), da die christliche Erziehung der Jugend viel zu wünschen übrig ließ und die Schülerinnen aus dem Wirkungsbereich seiner Diözese Csanad in den Schulkatalogen sogar als „sämtlich liederlich“ bezeichnet wurden.
Die erste Heimstätte der in Temewar wirkenden Schulschwestern war das am 10. Oktober1858 eingeweihte Innerstädter Kloster. Mutter Theresia von Jesu Gerhardinger besuchte Temeswar dreimal. Die deutschen Schulschwestern bekamen die nationalistischen Machtbestrebungen der jeweiligen Souveräne des Banats voll zu spüren. Ab 1867 mußten sie ungarisch lernen und unterrichten, und nach 1920 wehrten sie sich (vorerst erfolgreich) gegen starke Romanisierungsversuche. Im Jahr1949 wurde der Orden der Armen Schulschwestern, mit damals 420 Schwestern im Banat, nach knapp 90 Jahren segensreicher Tätigkeit im schulischen und vorschulischen Bereich von den kommunistischen Machthabern Rumäniens zerschlagen.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 18. August 1998

Dienstag, 23. November 2021

Playback – Segen oder Fluch für die Musik?

 Nachtrag zu Gedanken nach einem hochklassigen Konzertabend 

(BANATER POST, 20.5.1998)

Die Musik ist jene Kunst, die durch die Komplexität ihrer Vermittlungsfähigkeit das menschliche Gemüt wie keine andere Kunstart zu erregen vermag, sowohl im positiven als auch im negativen Sinn. Wir nehmen sie nicht nur mit unserem Gehörsinn wahr, sondern rezipieren sie auch mit unserem Sehsinn. Der Konzertbesucher befindet sich in der überaus anregenden Situation, dem Entstehungsprozeß des Kunstwerkes beizuwohnen, was bei der Literatur und bildenden Kunst nicht möglich ist.
Während der Maler, Bildhauer, Graphiker, Photograph sein Werk dem Publikum und der Kritik in vollendeter Form vorstellt, ist der Komponist auf die Mittlerrolle des Musikers angewiesen. Aus dieser Konstellation erwächst dem Musiker eine doppelte Verantwortung. Er muß dem Zuhörer die geistige Botschaft des Komponisten übermitteln und er soll und will in der Ausführung dieses Auftrages mit seinen künstlerischen Fähigkeiten auch brillieren. Hier dürfen rein künstlerischer und menschlicher Ehrgeiz bereits fröhliche Urstände feiern, denn bei allen Verpflichtungen gegenüber dem Tondichter oder Arrangeur bleiben für den Interpreten große gestalterische Freiheiten erhalten. Der Jazz im Allgemeinen und der Free Jazz im Besonderen beruhen sogar auf der uneingeschränkten Phantasie des künstlerischen Augenblicks.
Nun ist es aber so, daß Musik im Unterschied zu anderen Künsten eine unendliche Genesis darstellt. Ein Bild von Stefan Jäger ist morgen noch immer das gleiche Bild wie heute. Ein Lied, meinetwegen von Emmerich Bartzer, entsteht vom ersten bis zum letzten Ton immer wieder aufs neue, wenn ein Chor es vorträgt, und keiner der Liedvorträge wird mit einer der vorausgegangenen Aufführungen in Rhythmus und Dynamik hundertprozentig identisch sein. Sergiu Celibidache hat diese Besonderheit der Kunst „Musik“ in ganz besonderer Weise gepflegt, und die CHICAGO SUN TIMES schrieb vor neun Jahren Folgendes dazu: „Die Absicht Celibidaches beim Musizieren ist eine völlig andere als die sehr häufig übliche. Nicht (subjektive) 'Interpretation', Glanz, Effekt, Tempo, Spannung als Selbstzweck, technische Perfektion, modernistische Glätte und Ähnliches sind für ihn von Bedeutung, sondern das Entstehenlassen von Musik aus den Bedingungen des Komponisten.“
In diese Darstellung scheint nur die (subjektive) „Interpretation“ nicht recht hineinzupassen, denn der Kunstgenuß eines Musikstückes hängt sehr stark von der Darbietungsweise des Orchesters und der Solisten ab, was die Musizierenden letztendlich auf die gleiche Stufe mit den Kunstschöpfern (Literaten, bildende Künstler, Kompositeure) stellt und sie gleichzeitig zu darstellenden Künstlern (Schauspieler, Ballerini) werden lässt. Der Musiker erlebt die Rezeption seiner Kunst so viel intensiver als die Künstler anderer Bereiche, spürt er doch während seines ganzen Schaffens den Atem des Publikums. Sein Ehrgeiz, allen Anforderungen gerecht zu werden, ist dadurch legitimiert und … führt manchmal zu Übertreibungen.
Eine dieser Übertreibungen – man darf sie getrost als falschen Ehrgeiz apostrophieren – ist der Mißbrauch technischer Hilfsmittel in der Musik schlechthin. Natürlich wäre es völlig falsch, wenn Musiker sich dem technischen Fortschritt in ihrer Sparte verschließen würden. Welcher Musikliebhaber wird heute schon etwas gegen eine Verstärkeranlage haben (solange man mit ihrer Lautstärke kein Schindluder treibt) oder gegen ein Keyboard (sofern es nicht zu einem Kassettenabspuler degradiert wird)? Auch wenn Sänger und Instrumentalsolisten heute dem Rationalisierungsgeist unserer Zeit Tribut zahlen und immer häufiger mit einer Backgroundkassette im Gepäck als in Begleitung eines Orchesters durch die Lande reisen, geht das noch in Ordnung, denn ändern müssen wir uns alle, und zwar immer schneller.
Stellen Sänger/innen und Instrumentalisten sich aber auf eine Bühne und täuschen dem Publikum Gesang und Spiel hinter abgeschalteten Mikrophonen vor, dann ist das schlicht und einfach Betrug, Betrug am Publikum, Betrug am Komponisten, Betrug an der eigenen Stimme oder dem Instrument und nicht zuletzt Betrug (oder Zweifel?) an den eigenen künstlerischen Fähigkeiten. Allerdings sind oft äußere, wettbewerbsbedingte Faktoren die Initialzünder solch peinlicher Playbackdarbietungen, aber die Entscheidung, daran teilzunehmen oder nicht, liegt letztendlich immer noch beim Künstler und wird dadurch zur Charaktersache.
Ein verpatzter Einsatz, eine Rhythmusschwankung, eine schlechte Akustik und vieles mehr sind, selbst wenn sie im ungünstigsten Fall alle zusammentreffen, weit weniger anstößig als ein sich hinter einem toten Mikrophon verbiegender, „hoch eingeschätzter“ Musiker, der bei diesen Verrenkungskunststücken keinen einzigen Ton in sein Instrument bläst, zumindest für das Publikum nicht hörbar, weil sein Solopart vom Band kommt. Daß der gute Mann die aus den Lautsprechern kommenden Töne in einem Studio selbst eingespielt hat, mindert die Lächerlichkeit eines solchen Auftritts in keiner Weise. Man muß nämlich ganz klar zwischen Konzertaufführungen und Studioaufnahmen unterscheiden. Wer ab und zu einen Blick in die Feuilletonblätter unserer großen Zeitungen und Zeitschriften (DER SPIEGEL, DIE ZEIT, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, FAZ u. a.) wirft, wird schnell erkennen, daß die Kritik sich in diesen Fällen nach grundverschiedenen Wertkriterien richtet.
Man stelle sich vor, solche „Künstler“, die ohne jedwede Scheu in der Öffentlichkeit zum totalen Playback greifen, sind in der Ausübung ihres Berufes oder nebenberuflich auch noch Pädagogen, also Musikerzieher, die durch ihr persönliches Beispiel ihren Schülern diese verheerende, selbstverachtende Erfolgsphilosophie vermitteln. In diesem Stadium bekommt das Playbacksyndrom bereits katastrophale Auswirkungen auf die Kunsterziehung unserer Kinder.
Playback ist zu allen nur denkbaren Unterhaltungszwecken von der Mini-Playback-Show (sofern sie nichts mit dem Ehrgeiz geltungssüchtiger Eltern zu tun hat) bis zur Faschingsgaudi einsetzbar. Wer dieses Verfahren aber zum Vortäuschen von musikalischen Vorträgen mißbraucht, macht sich als Musiker unglaubwürdig.
Vielleicht gibt gerade die Jugend den Weg vor, den die Musiker (auch schon etablierte) in Zukunft beschreiten sollten, um in ihrer Erfolgsgeilheit ihre von Gott geschenkte Kunstseele vor dem Technikteufel zu retten. Der Musikszenekritiker Karl Leitner schrieb zur Veröffentlichung eines Live-Albums der Ingolstädter Rock‘n-Roll-Band Lazy Bones: „Klar ist wie so oft, daß keine Tonaufnahme eine Bühnenshow ersetzen kann. […] Die Band brachte sogar den Mut auf, nachträglich auf Korrekturen zu verzichten, kleine Unzulänglichkeiten bewußt nicht wegzuretuschieren. Womit man also einen unverfälschten Blick auf die Bühnenqualitäten der Band werfen kann.“ Bedenkt man, daß Suzanne Vega in Karlsruhe 25.000 Menschen nur mit ihrer phantastischen Stimme, ohne jegliche Musikbegleitung – ihre Band hatte die Bühne schon verlassen -, zu gänsehautfördernden A-cappella-Gesängen mitriß, dann steht plötzlich sogar die Müßigkeit des Themas Playback im Raum. Daß es manchmal aber doch einen Sinn hat, über unsinniges Verhalten nachzudenken, mag seine Begründung in einem Satz Stefan Heyms finden: „Ich glaube, daß nichts so bleibt, wie es ist, und daß wir über die Richtung, in die sich das Ganze bewegt, mitentscheiden.“ So ähnlich wird auch der Philosoph und Musiker Theodor W. Adorno gedacht haben, als er in einer „Stellung zur Ästhetik der Neuen Musik“ die auch zu unserem Emotionen schürenden Playback so passenden Feststellungen machte: „Selbst unter denen, welche die Neue Musik einmal führten, war mehr als einer nicht ganz dem eigenen Avantgardismus gewachsen, lebte geistig gewissermaßen über seine Verhältnisse. Die Naivität des Fachmusikers, der sein Metier besorgt, ohne an der Bewegung des objektiven Geistes recht teilzuhaben, ist dafür mitverantwortlich. […] Ihre musikalische Erfahrung ist nicht frei vom Moment der Ungleichzeitigkeit. Sobald sie (die Fachmusiker) einmal von dem Unerreichten der vergangenen Musik betroffen werden, kapitulieren insbesondere die, welche dem Neuen unbedenklich sich überließen, weil sie vom Alten zu wenig wußten.“ Harte, aber bestimmt nachdenkenswerte Worte.
Was für die überwiegende Mehrheit unserer aus dem Banat stammenden Musiker und besonders Musikpädagogen kennzeichnend bleibt, ist ihre Standhaftigkeit und ihre Treue zur Wiedergabe und Vermittlung der wahren, unverfälschten Musik. Nachdem ich mal in einer Konzertbesprechung das Wort „Musikepoche“ gebrauchte (DONAUKURIER, 3. Juli 1998), klärte mich prompt einer dieser von mir sehr geschätzten Banater Musiklehrer auf, daß der Terminus „Musikstil“ aus Definitionsgründen an der betreffenden Textstelle angebrachter wäre; hervorragende Stichworte, die mir zur Niederschrift meiner Hoffnung verhelfen, daß ein mieser Playbackstil sich nie und nimmer zum Markenzeichen einer ganzen Musikepoche entwickeln wird.
Den Totalplaybackvirtuosen aller Musikrichtungen sei zum Schluß noch folgender Rat des Jazz-Essayisten Joachim Ernst Berendt mit auf den Weg gegeben: „Wichtiger als das Reden und Schreiben über Jazz ist das Hören von Jazz (und wiederum wichtiger als dieses ist das Jazz-Spielen!)“
Anton Potche, Ingolstadt

aus BANATER POST, 20.August 1998

Dienstag, 21. September 2021

Rumäniendeutsche längst integriert

Zum Artikel Noch fehlt der Zündfunke für eine Rückkehr nach Rumänien in der Ausgabe vom 6. Juli:
Von einem „neuen Trend“ zur „Rückkehr nach Rumänien“ wird man nie reden können, denn die aus diesem Land kommenden Volksgruppen haben in den letzten zehn Jahren einen so rasanten Integrationsprozeß durchgemacht, daß selbst die heute Vierzigjährigen sich nur noch zaghaft zu ihren ursprünglichen Volksgruppenmerkmalen, die in Tradition und Tracht immerhin einige interessante Elemente aufzuweisen haben, bekennen. Die Integrationsbemühungen vieler Rumäniendeutscher mündeten in jeweils individuelle Assimilationsprozesse, die sie dazu bewogen, ihren landsmannschaftlichen Organisationen fernzubleiben. Sie sind längst im deutschen Volk spurlos verschwunden und ihre Kinder haben überhaupt keinen Bezug mehr zu Siebenbürgen und dem Banat. Mitschuldig an dieser Situation ist zweifellos auch das bestimmt nicht im Sinne Jahwes gemeinte Kainszeichen, mit dem Politiker die Aussiedler in Wahlkampfzeiten regelmäßig beglücken.
Zum anderen wären die Eigentumsrechte Rückkehrwilliger nicht ohne neues Unrecht zu erlangen, wohnen doch in ihren Dörfern längst andere Menschen, die sich jetzt dort heimisch fühlen. Viel besser wäre es, das leidige Thema zu vergessen, erweckt man damit doch sowieso nur falsche Hoffnungen hierzulande.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 17. Juli 1998


Dienstag, 16. März 2021

Erster TV-Auftritt im Jahre 1989

 Mara & Hans
Screenshot: Anton Potche

Wer nur nach dem Motto „Schau immer vorwärts und nie zurück“ lebt, kann schon mal das ein oder andere Datum aus seiner Biographie verlieren. Ob es sich dabei um ein bewußtes Liegenlassen oder um tatsächliches Vergessen handelt, wird nur Mara Kayser selbst beantworten können. Ihren ersten TV-Auftritt absolvierte die Sängerin nicht im Januar ʼ93, wie es in STARS UND MELODIEN zu lesen war, sondern am 16.01.ʼ89 in der Sendung Lieder, die von Herzen kommen. Damals sang sie als Mara [Reinholz] zusammen mit Hans [Kaszner] (Foto), begleitet von Michael Klostermann.

Anton Potche



aus STARS UND MELODIEN, 
April / Mai 1998

Video auf YouTube

Dienstag, 17. November 2020

Zweifel an eigener Muttersprache

Zum Artikel Vom Nonnenkloster zum Jungfernzwinger in der Ausgabe vom 20./21. Dezember:

Wenn heute Martin Opitz so manchem fortschrittlich denkenden Zeitgenossen wegen seiner „aggresiven Ablehnung von uns heute selbst völlig unverdächtig scheinenden Fremdwörtern“ als ein zu national, ja gar nationalistisch gesinnter Sprachreformer vorkommt, so muß dieser bloß einen Blick auf die fernöstlichen Wortkreationen, mit denen seit einigen Jahren Arbeitsabläufe in deutschen Unternehmen benannt werden, werfen, und er wird sich förmlich nach so einem Mahner sehnen. Wer kopfschüttelnde Arbeiter ratlos vor mit Losungen und Informationen bestückten Arbeitstafeln stehen sieht und beobachtet, wie die sich beim Anblick von Wortschöpfungen wie Kaizen und Kanban – von der Initialenflut ganz zu schweigen – die Augen reiben, der wird gewahr, daß hier Menschen an den Ausdrucksmöglichkeiten ihrer eigenen Muttersprache zu zweifeln beginnen.
Das Anliegen dieses Barockdichters ist und muß zeitlos bleiben, wenn Völker auch in Zukunft ihre jeweils eigene Sprache als Kulturgut bewahren wollen. Daß ein Kämpfer für die Reinheit einer Sprache nicht gleich ein engstirniger Geselle sein muß, zeigt uns ebenfalls das Beispiel Martin Opitz. Der Dichter hat seinen Lehrauftrag im siebenbürgischen Weissenburg (heute Alba Iulia) dazu benutzt, ein anderes Volk, nämlich das rumänische, kennenzulernen.
Auch das verschollene und bei Forschern um seines Gattungscharakters umstrittene Werk Dacia antiqua – vielleicht sogar eine Geschichte Dakiens – ist ein Beleg dafür, daß ein leidenschaftlicher Verfechter des ungetrübten Gebrauchs der eigenen Muttersprache weit und fruchtbar über den eigenen Tellerrand blicken kann. Für uns bedeutet das, Fremdwörter ja, aber mit Augenmaß, und für unsere Wirtschaft könnte die aus dem Leben und Wirken des Martin Opitz gewonnene Erkenntnis lauten: Erfolgreich globales Handeln muß nicht unbedingt mit dem Import von zeitgeistträchtigen und kurzlebigen Fremdwörtern – je exotischer desto besser – einhergehen.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 30. Dezember 1997

Dienstag, 6. Oktober 2020

Machterhalt stört soziale Stabilität

 Zum Artikel Helden der Revolution hungern für Privilegien, Ausgabe vom 30. Oktober:
Wenn man die rumänischen Verhältnisse verfolgt, kann man sich nur schwer des Eindrucks eines sozialen Chaos in diesem Land erwehren, und das trotz einer gewissen politischen Stabilität. Jeder gegen jeden, oft ohne klar erkennbare Gründe, aber immer mit erahnbaren Zielen: Es geht ums Erhalten von Macht und materiellen Vorteilen. Man wird dabei das ungute Gefühl nicht los, daß noch immer die dunklen Mächte der kommunistischen Vergangenheit gut getarnt ihr Unwesen treiben. Diese Atmosphäre setzt in den Menschen Selbsterhaltungstriebe frei, die jedwede gesetzlichen Schranken ignorieren. 
Ein rumänischer Journalist, Bogdan Ficeac, versuchte kürzlich die Situation in seinem Land mit dem 1893 vom französischen Soziologen Emile Durkheim erstmals analysierten Phänomen der Anomie (Gesetzlosigkeit) zu erklären. Diese soll nach großen geschichtlichen Erdrutschen in Erscheinung treten.
Ein Vergleich der 1989 in Ost- und Südosteuropa stattgefundenen Umwälzungen läßt erkennen, daß das in Rumänien geflossene Blut tiefe Gesellschaftsgräben ausgeschwemmt hat, während die „friedlichen Revolutionen“ in anderen Staaten Osteuropas klarere Perspektiven geschaffen haben. Natürlich wirken sich die inneren Konvulsionen in Rumänien negativ nach außen hin aus, was zu einer verständlichen Zurückhaltung des ausländischen Kapitals auf dem inländischen Investitionssektor führt. So ist ein Teufelskreis entstanden, der nur mit entschiedenen Reformschritten durchbrochen werden kann. Solche Schritte wurden von der Regierung Ciorbea zwar in die Wge geleitet, aber oft nicht konsequent verwirklicht. Dieses Zögern, dem auch nur ein unbedingter Machterhaltungsdrang zugrunde liegt, ist ebenfalls ein Anomie-Symptom.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 18. November 1997

Dienstag, 21. Januar 2020

Kohl läßt Rumänien im Regen stehen

Zum Artikel Washington legt sich in Frage neuer Nato-Mitglieder fest (Ausgabe vom 13. Juni 1997):
Die rumänische Regierung hat seit ihrem Amtsantritt im November 1996 einen wahren Marathonlauf mit dem erklärten Ziel „Nato-Beitritt“ gestartet, an dem sich selbst der in der Schweiz lebende Exkönig Mihai I. beteiligte. Jetzt scheint die Clinton-Administration den für die Rumänen angeblich so erstrebenswerten Zieleinlauf in die (weite?) Ferne gerückt zu haben. Das große Lamento ist ob dieser Entscheidung Washingtons, in der ersten Nato-Erweiterungsrunde nur Polen, Ungarn und Tschechien aufzunehmen, in Bukarest allerdings nicht ausgebrochen.
Warum dann die fieberhaften diplomatischen Bemühungen der Regierung? Das Land ist politisch stabil, eine Kriegsgefahr ist nicht erkennbar, und auch beim serbischen Nachbarn scheinen die Gemüter sich langsam zu beruhigen.
Eine Aufnahme in die Nato käme einer internationalen Anerkennung der Reformbestrebungen dieser Regierung gleich, die den von Altkommunisten und Nationalisten dominierten Reformgegnern den letzten Wind aus den Segeln nehmen würde. Aber die Regierung von Ciorbea hat trotz allem bereits von ihrer Nato-Kampagne profitiert. Die für Rumänien sehr wichtigen Nachbarschaftsverträge mit Ungarn und der Ukraine und die unmittelbar damit verbundene Entschärfung der nationalen Probleme des Landes wären ohne das Ziel „Nato-Beitritt“ so schnell nicht erreicht worden.
Zumindest befremdend mutet allerdings die Haltung der Bundesregierung zum Beitrittswunsch Rumäniens an. Während Frankreich, Italien und andere Nato-Partner sich klar für einen Beitritt Rumäniens in der ersten Runde der Nato-Erweiterung aussprachen, warteten Bundesaußenminister Klaus Kinkel und Bundeskanzler Helmut Kohl mit unbeholfenen Sympathiebekundungen auf. Dabei rühmt man sich, als erster westlich vom Eisernen Vorhang gelegener Staat diplomatische Beziehungen mit Rumänien aufgenommen zu haben. Wohlgemerkt, das war damals (1967) das Rumänien Ceaușescus. Die junge, christlich-demokratisch gesinnte Regierung in Bukarest läßt man heute im Regen stehen.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 24. Juni 1997

Dienstag, 3. September 2019

Demokratisierung mit neuer Qualität

Zum Bericht Gesamte Polizeispitze in Rumänien abgesetzt vom 1./2. März:
In nachrevolutionären Zeiten erscheinen überall Personen auf der politischen Bühne, die mit dem revolutionären Geist der Massen nichts zu tun haben. Während durch den deutschen Vereinigungsprozeß Namen wie Modrow, de Maiziére, Diestel und andere schnell wieder verschwanden, konnten sich solche Leute in Rumänien sechs Jahre lang behaupten.
Die von Journalisten als Sensation gewertete Absetzung hochrangiger Offiziere aus den Militär- und Polizeistäben ist eher ein Routinewechsel, der sich nach dem im November 1996 erfolgten Machtwechsel vollzog – ein Prozeß, der auch in anderen Bereichen stattfindet.
Viel wichtiger ist für die rumänische Gesellschaft, daß in den letzten Wochen Figuren wie Adrian Păunescu (einstiger Hofpoet Ceaușescus und bis vor kurzem stellvertretender Vorsitzender der rumänischen KP-Nachfolgepartei SPA) und Gheorghe Funar (Politiker mit antisemitischer, besonders antiungarischer Prägung, wurde seines Vorsitzendenamts im Parteipräsidium der Nationalen Union der Rumänen enthoben) von der politischen Bühne verschwunden sind. Diese Entwicklung deutet auf eine neue Qualität des bisher sehr schleppenden Demokratisierungsprozesses in Rumänien hin.
Anton Potche
aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 11. März 1997

Dienstag, 23. April 2019

Arbeitsplätze sterben heimlich


Zum Bericht „Erleichterung über Frieden zwischen Autokonzernen“ vom 11./12. Januar:
Woher so viel Blauäugigkeit in dieser Republik? Glauben die Herren Schröder, Rexrodt und Zwickel wirklich, dass durch den Milliardendeal zwischen VW und GM bei den deutschen Autozulieferern und sogar in den Werken des VW-Konzerns keine Arbeitsplätze gefährdet sind, oder wurde die moralische Meßlatte für Entscheidungsprozesse in deutschen Konzernzentralen bereits so weit abgesenkt, dass es auf ein paar Arbeitslose mehr oder weniger sowieso nicht mehr ankommt?
In der Beurteilung dieses merkwürdigen Schuld- und Sühne-Pakts scheint sich eine tiefe Kluft zwischen den im Scheinwerferlicht und auf dem Börsenparkett erkannten „Erleichterungen“ und den an vielen Fließbändern empfundenen, teilweise nur im Flüsterton artikulierten und von den Medien kaum registrierten Sorgen aufzutun. Die wirklichen, meist schweißbedeckten Schmiedegesellen der oft bis zum Überdruß bemühten Wertschöpfungskette in der deutschen Automobilindustrie wissen längst, daß Arbeitsplätze still und heimlich sterben, nämlich dann, wenn Kameras und Bleistifte schon vom Tatort verschwunden sind.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 21. Januar 1997

Dienstag, 19. Februar 2019

Bitterkeit verhindert Befriedung Europas

Zum Leitartikel „Der Zorn, der isoliert“ vom 14. Dezember:
Immer wieder führen überholte Standpunkte einzelner Landsmannschaftsfunktionäre bezüglich der aktuellen Aussöhnungspolitik der Bundesregierung mit Tschechien in den deutschen Medien zu einer Kollektivschelte aller Vertriebenen. Viele Journalisten übersehen bewusst oder aus Unwissenheit, daß dem Bund der Vertriebenen (BdV) sage und schreibe 20 Landsmannschaften angehören – nicht nur die Sudetendeutsche LM -, die Vertriebene, Flüchtlinge des Zweiten Weltkrieges und Aussiedler aus aller Herren Länder Ost- und Südosteuropas vertreten.
Viele Funktionäre dieser Landsmannschaften pflegen konstruktive Kontakte zu den Regierungen ihrer Herkunftsländer, die durchaus im Sinne deutscher Außenpolitik als Brücken zu den Staaten des ehemaligen Ostblocks verstanden werden können. Obwohl zum Beispiel die Deutschen in Rumänien kurz nach dem Krieg deportiert, enteignet und später vom Ceaușescu-Regime als Devisenquelle mißbraucht wurden, überwanden die Vorstände der rumäniendeutschen Landsmannschaften ihre Abneigung gegen den immerhin kommunistisch gefärbten Ex-Präsidenten Rumäniens, Ion Iliescu, und verhandelten mit ihm in München im Sommer dieses Jahres. Dafür haben sie bestimmt nicht von allen ihren Landsleuten nur Lob erhalten.
Diese Männer sind aber der Meinung, daß man geschehenes Unrecht zwar nie vergessen, aber auch nicht als Quelle ewiger Verbitterung verinnerlichen soll. Nur mit dieser Einstellung wird eine endgültige geistige Befriedung Europas gelingen.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 
20. Dezember 1996

Dienstag, 12. Juni 2018

Literaturpolitiker


Zum Artikel Beim Weg zur Ost-West-Einigung verliert der PEN Federn und Ansehen vom 27./28. Juli 1996:
Jetzt wird es aber langsam Zeit, dass einige Damen und Herren Schriftsteller in Deutschland sich auf das Wesentliche ihrer Spartenzugehörigkeit, nämlich das Schreiben von literarischen Werken, besinnen. Das trifft besonders auf jene zu, die sich durch ihre öffentlichkeitswirksamen Wortmeldungen und Rücktrittserklärungen aus dem West-PEN in den Kulturseiten der Zeitungen wohl gerne mal wiederfinden.
Wie schwer es war, in Ländern, in denen die Zensur fröhliche Urstände feierte, überhaupt zu veröffentlichen, müsste doch mittlerweile bekannt sein. Literaten wollen nun mal ihre Werke gedruckt sehen. Daß sie dabei auch ab und zu einem bestimmt nicht von allen Ost-PEN-Mitgliedern geliebten Staatssystem kleinere oder größere Zugeständnisse machten und sogar einer Stasimitarbeit verfielen, muß im Bereich der menschlichen Schwächen gesucht werden. Darum kann man doch nicht eine totale Verweigerung der Ost-West-Vereinigung des PEN proklamieren, die einer pauschalen und daher bestimmt einigen – selbst wenn es nur wenige wären – Ost-PEN-Mitgliedern ungerecht widerfahrenen Verurteilung gleichkommt.
Haben Herta Müller und Richard Wagner vergessen, dass sie für ihr literarisches Schaffen den Preis des Zentralkomitees (ZK) des Verbandes der Kommunistischen Jugend (VKJ) in Rumänien – Wagner 1973, Müller 1983 – entgegengenommen haben? Eine Ablehnung dieses Preises wäre doch eine heroische Tat gewesen. Damals freuten sie sich aber über ihre Erfolge, denn im Rachen des Ungeheuers verhält man sich anscheinend sehr menschlich. Daran sollten Herta Müller und Richard Wagner besonders jetzt denken, wenn sie in einem demokratischen Land Literaturpolitik betreiben, anstatt Literatur zu schreiben.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 2. August 1996

Dienstag, 20. März 2018

Clever aus der Affäre gezogen

Zum Artikel Zum Treffen der Oberwischauer kamen Gäste aus der Heimat (DK vom 28. Mai 1996):
Wer die nach 1989 in der deutschen Presselandschaft reichlich erschienenen Artikel und Kommentare über Rumänien – bedingt durch den Sturz Ceaușescus und die folgende Aussiedlerwelle - gelesen hat, mußte immer wieder über die meist geographischen Verwechslungen staunen. Da lag schon mal Kronstadt (Brașov) in Westrumänien oder war Temeswar (Timișoara) sogar die Hauptstadt Siebenbürgens.
Der Teufel steckt halt immer im Detail und verleitet dann auch schnell zum Kochen eines rumäniendeutschen Minderheitenbreis. Der Autor des DONAUKURIER-Artikels hat sich da sprachlich clever aus der Affäre gezogen und durch seine Formulierung verständlich gemacht, dass die Oberwischauer keine Gruppe der Sathmarer Schwaben sind, wie das fälschlicherweise oft angenommen wird.
Nach dem Zerfall der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn (1918) entstand Großrumänien durch die Einverleibung des Banats, Siebenbürgens, des Buchenlandes (Bukowina) und Bessarabiens (heute Teil Moldawiens und der Ukraine) in das von einem Regenten aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen regierte Königreich Rumänien. In diesem Großrumänien – 1940 gingen Bessarabien und die Nordbukowina wieder an die Sowjetunion – lebten sage und schreibe neun deutsche Volksgruppen, die sich durch ihre völlig unterschiedlichen Siedlungszeiträume und die jeweils vorgefundenen andersartigen landschaftlichen und sozialpolitischen Umfelder ethnisch und sprachlich unabhängig und grundverschieden voneinander entwickelt haben. Ein Banater Schwabe kann einen Dialekt sprechenden Siebenbürger Sachsen nur mit Mühe verstehen und umgekehrt.
Während die Bessarabien-, Buchenland- und Dobrudschadeutschen gänzlich aus ihren Siedlungsgebieten verschwunden sind (Umsiedlung ins Deutsche Reich, 1940, ca. 130.000 Menschen), leben in den heutigen Staatsgrenzen Rumäniens noch kleine Zellen der Banater Schwaben, Berglanddeutschen (auch Deutschböhmen genannt), Landler, Oberwischauer (die sich zur Volksgruppe der Zipser bekennen), Sathmarer Schwaben und Siebenbürger Sachsen.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 4. Juni 1996

Dienstag, 12. Dezember 2017

Im Handumdrehen ein Stück weiter

Zum Artikel Chefetagen deutscher Unternehmer müssen internationaler werden, in der Ausgabe vom 30./31. März 1996:
Fremde, oft exotisch klingende Namen in deutschen Chefetagen erleichtern zweifelsohne die angestrebte Internationalisierung der Konzerne. Sie vereinfachen aber vor allem die Verlagerung der hier in Jahrzehnten gewachsenen Arbeit. Diesen fremden Managern fehlt die Bodenständigkeit einheimischer Führungskräfte. Standortvor- oder –nachteile können sich nach ihrem Wirtschaftsverständnis ohne Appell ans eigene Gewissen in leblosen Zahlen, sogenannten Wirtschaftsfaktoren, ausdrücken lassen. Schon wegen einigen Millionen Mark – bei Milliardenumsätzen ist das eine in ihrer Bedeutung oft relativierbare Größe – werden Tausende von Arbeitsplätzen einfach gestrichen. Das ist leichter zu bewerkstelligen, wenn man für die Menschenschicksale, die sich hinter diesen Produktionsverlagerungen verbergen, persönlich nichts empfindet.
Durch diese Personalentwicklung in den Konzernzentralen werden auch schon die Weichen für die Zukunft gestellt. Sollte zum Beispiel eines Tages der Standort Ungarn zu teuer werden, kann man mit einer von Moralprinzipien unbelasteten Managercrew im Handumdrehen ein Stückchen weiter nach Osten oder auf einen anderen Kontinent ziehen. Was zurückbleibt ist immer das gleiche Elendsbild, ganz gleich ob hier oder anderswo: Menschen in Angst um ihre Zukunft.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 4./5. April 1996

Dienstag, 19. Juli 2016

Die Geschichte der Ulmer Schachtel

Zum Artikel "Schachtel" kommt zur Sonderfahrt (DK vom 13. Juni):
Die "Ulmer Schachteln", auch Ordinarischiffe genannt, erlangten geschichtliche Bedeutung, als sie im 18. Jahrhundert als Massentransportmittel eingesetzt wurden. Die Donaukähne brachten in den drei "Großen Schwabenzügen" (1717 - 1726 unter Kaiser Karl V., 1744 - 1772 unter Kaiserin Maria Theresia, 1782 - 1787 unter Kaiser Joseph II.) zirka 150.000 Siedler aus dem gesamten Gebiet des Römischen Reiches Deutscher Nation nach Südosteuropa. Dieses Transportmittel - 1897 transportierte eine "Ulmer Schachtel" zum letzten Mal Fracht donauabwärts - hat sowohl bei Geschichtsschreibern als auch bei Literaten Anerkennung gefunden.
Der Historiker Emil Franzel schreibt in seiner Geschichte des deutschen Volkes , Prisma Verlag, 1985: "Die entvölkerten Gebiete Südungarns wurden von deutschen Kolonisten, vor allem von Schwaben, besiedelt. Der große Schwabenzug hat Tausende Siedler auf den Donaukähnen, den Ulmer Schachteln, stromabwärts in die Gebiete an der Donau, Save, Theiß und Temesch geführt. Im Banat entstand eine der fruchtbarsten Provinzen des habsburgischen Reiches mit zahlreichen deutschen Städten und Dörfern, im übrigen aber auch mit einer nationalen Gemengenlage, wie sie in ganz Europa einzigartig blieb."
In Adam Müller-Guttenbrunns (1852 - 1923) Roman Der große Schwabenzug, Hartmann Verlag, Sersheim, 1990, ist nachzulesen: "Und da standen die Leute am Ufer, und in ihren bunten Trachten spiegelte sich die Morgensonne. Sie schauten zu, wie die Ulmer Schachteln sich zur Abfahrt bereitmachten und beredeten alles. Das Ordinarischiff ging immer zuerst. Das hatte längere Zollplackereien in Passau und Engelhartszell zu bestehen, weil es allerlei Waren transportierte, die versteuert werden mußten. [...] Jetzt bestieg der Schiffsmeister den Steuerstuhl und schwang die Ulmer Flagge. [...] Die Ruder griffen ein, das Ordinarischiff setzte sich langsam in Bewegung. Zurufe wurden laut, Hüte wurden geschwungen, und das Schiff sauste durch den mittleren der fünfzehn Brückenbogen in der besten Strömung dahin." (Romanszene aus der "freien Reichsstadt Regensburg" zur Zeit des ersten Schwabenzuges).
Wie schicksalhaft eine Reise auf der Donau in die unbekannte, gefahrvolle und beängstigende, aber trotzdem hoffnungsbeladene südosteuropäische Zukunft damals war, belegen am deutlichsten erhaltene Zeitdokumente , wie zum Beispiel der Brief, den der Siedler Johann Bornnert im Jahre 1784 nach Albersdorf in Lothringen schrieb: "Wo mir auf Wien komen sein zu dem Kayser, so hat er uns in das Ungern hinein gethan in Binat ... mir sein glücklich angekommen auf dieser Reise frisch und gesund, meine Frau ist zwar in das Kindbet komen auf dem Schiff, aber Gott sey Lob und Danck das Kind hat den heiligen Tauf bekomen, nach dem der liebe Gott es von der Welt abgeholt. Mir ein schwerliche Reis gehabt, es hat uns viel Geld gekost, aber mir haben es bald vergessen, den es ist alles wollfäll." (aus DONAUSCHWABEN-KALENDER 1990, Donauschwäbischer Heimatverlag, Aalen/Württemberg).
In Anbetracht dieses erschütternden Dokuments sollte man doch auch Frauen auf die Ulmer Schachteln lassen. Ohne die Opferbereitschaft der Frauen wären die "Großen Schwabenzüge", nie in Gang gekommen, und die "Ulmer Schachtel" wäre um ein prägendes Geschichtsmerkmal ärmer, ja vielleicht sogar in Vergessenheit geraten.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 27. Juni 1995