Dienstag, 9. Januar 2024

Rettungsanker für Arbeitnehmer

Zum Artikel BDI: IG-Metall-Forderung, „verheerendes Signal“ in der Ausgabe vom 11. Oktober:
Es gibt in der Metallindustrie trotz aller Automatisierung nach wie vor Arbeitsplätze, die den Menschen physisch extrem belasten. Ein Arbeiter, der tagein, tagaus das wohl unwiderlegbar wichtigste Glied der Wertschöpfungskette eines Produktes schmiedet, kann beim Zwickel-Vorstoß zur 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich nur dankbar aufatmen, auch wenn er selbst vielleicht nicht mehr in deren Genuss kommt.
Sein Dankbarkeitsgefühl an diese Vision entspringt dem Schweiß, seinen schmerzenden Gliedern, lädierten Bandscheiben und nicht zuletzt dem demütigenden gesellschaftlichen Image seiner oft als an der untersten Stelle menschlicher Würde empfundenen Arbeit. Es ist wahrscheinlich für selbst nicht betroffene Menschen kaum nachvollziehbar, welche selbstzerstörerischen Kräfte von im Laufe eines Arbeitsalltages angehäuften Frustrationen hervorgerufen werden können. Demotivation, Depression und nicht selten die Flucht in eine Sucht (meist Alkohol) sind die Folgen. Das alles natürlich unter für Außenstehende unvorstellbaren Zeit- und Stückzahlvorgaben!
Was in den Augen eines Präsidenten des BDI ein „verheerendes Signal“ ist, muss leider von vielen arbeitenden (schuftenden!) Menschen als Rettungsanker empfunden werden. Wer von ihnen eine ökonomisch ausgewogene Ratio erwartet und den IG-Metall-Beschluss als „egoistisch“ apostrophiert, trägt blanken Zynismus zur Schau, der offenlegt, wie weit sich die Gräben zwischen den gewerblich tätigen Menschen und den Vorgebern und Verwaltern der Arbeit aufgetan haben.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 26. Oktober 1999

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