Zu
den Artikeln Historiker über Walsers Tabubruch entzweit: Nur eine
Stammtischwolke? und Waffenstillstand zwischen Bubis und
Dohnanyi im Streit um Walser-Rede in den Ausgaben vom 8. und 9.
Dezember:
Während
der Rede Martin Walsers und noch einige Stunden danach, beim
Nachdenken über das soeben Gehörte, fiel mir nichts Anstößiges
auf. Bis dann Herr Bubis auf den Plan trat. Und was bewirkte
sein Antisemitismus-Vorwurf (an Walser) bei mir, einem
Mittvierziger? Er warf lediglich alte Fragen neu auf: War mein
Großvater, auf dessen eisenbeschlagenen Holzfüßen ich die ersten
Rollstuhlfahrten (noch bevor ich richtig laufen konnte) in den
Hausgarten – das war „die Welt“, die der Krieg ihm gelassen
hatte – erlebnishungrig genoß, ein Antisemit; oder war es mein
anderer Großvater, den ich nie kannte, weil er unweit von Stalingrad
ins Graß biß; oder war es mein alter Nachbar, der angeblich in
einem Konzentrationslager Wache schieben mußte; oder ist es gar der
Überlebende aus meinem Bekannten- oder Verwandtenkreis, der heute
noch seine jugendliche DJ- und HJ-Begeisterung mit dem damaligen
Zeitgeist rechtfertigt?
Meine
Kindheitserinnerungen an den erlebten Großvater und an den
gutmütigen Nachbarn verbieten mir, dieses schreckliche Urteil über
sie zu fällen. Und ich bin mir sicher, so oder ähnlich wird es
Tausenden in unserem Land gehen, wenn sie die ausgelöste Debatte auf
die jeweils eigene Familienbiographie übertragen.
Wir sollten jetzt, an den angebrochenen Tagen des Besinnens und des Zuhörens unsere damals betroffenen und zum Teil vielleicht auch mitschuldigen Eltern und Großeltern mit der gebotenen Behutsamkeit zum Erzählen anregen. So mancher der älteren Generation könnte es als Erleichterung empfinden, das damalige Mitmachen oder nur Wegschauen als Fehler zuzugeben, und wir Nachkriegsgeborenen könnten diese Einsichten als wertvolle Wegbegleiter mit ins nächste Jahrhundert nehmen, damit Geschehenes auch solches bleibt.
Nur in einer Entflechtung hat diese Debatte noch Sinn. Als Generalabrechnung zwischen zwei Völkern dient sie, so wie Herr Bubis sie jetzt führt und die FDP sie politisch auch noch zur Selbstdarstellung mißbraucht, niemand, weder den Juden noch den Deutschen. Wie dieser Entflechtungsprozess letztendlich aussehen kann, hängt von jedem einzelnen Bürger, dem etwas an der Geschichte seines Landes liegt, selbst ab. Schuldzuweisungen à la Bubis haben allerdings darin nichts verloren. Sie sind dem Gedenken an das himmelschreiende Unrecht, das Deutsche dem Volk der Juden zugefügt haben, nur abträglich und rufen viel eher als Walsers Tabubrüche rechtsradikale Trotzreaktionen hervor.
Wir sollten jetzt, an den angebrochenen Tagen des Besinnens und des Zuhörens unsere damals betroffenen und zum Teil vielleicht auch mitschuldigen Eltern und Großeltern mit der gebotenen Behutsamkeit zum Erzählen anregen. So mancher der älteren Generation könnte es als Erleichterung empfinden, das damalige Mitmachen oder nur Wegschauen als Fehler zuzugeben, und wir Nachkriegsgeborenen könnten diese Einsichten als wertvolle Wegbegleiter mit ins nächste Jahrhundert nehmen, damit Geschehenes auch solches bleibt.
Nur in einer Entflechtung hat diese Debatte noch Sinn. Als Generalabrechnung zwischen zwei Völkern dient sie, so wie Herr Bubis sie jetzt führt und die FDP sie politisch auch noch zur Selbstdarstellung mißbraucht, niemand, weder den Juden noch den Deutschen. Wie dieser Entflechtungsprozess letztendlich aussehen kann, hängt von jedem einzelnen Bürger, dem etwas an der Geschichte seines Landes liegt, selbst ab. Schuldzuweisungen à la Bubis haben allerdings darin nichts verloren. Sie sind dem Gedenken an das himmelschreiende Unrecht, das Deutsche dem Volk der Juden zugefügt haben, nur abträglich und rufen viel eher als Walsers Tabubrüche rechtsradikale Trotzreaktionen hervor.
Anton Potche
aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 15. Dezember1998
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen