Zum Artikel "Schachtel" kommt zur Sonderfahrt (DK vom 13. Juni):
Die "Ulmer
Schachteln", auch Ordinarischiffe genannt, erlangten geschichtliche Bedeutung,
als sie im 18. Jahrhundert als Massentransportmittel eingesetzt wurden. Die
Donaukähne brachten in den drei "Großen Schwabenzügen" (1717 - 1726 unter Kaiser
Karl V., 1744 - 1772 unter Kaiserin Maria Theresia, 1782 - 1787
unter Kaiser Joseph II.) zirka 150.000 Siedler aus dem gesamten Gebiet
des Römischen Reiches Deutscher Nation nach Südosteuropa. Dieses Transportmittel
- 1897 transportierte eine "Ulmer Schachtel" zum letzten Mal Fracht donauabwärts
- hat sowohl bei Geschichtsschreibern als auch bei Literaten Anerkennung
gefunden.
Der
Historiker Emil Franzel schreibt in seiner Geschichte des deutschen
Volkes , Prisma Verlag, 1985: "Die entvölkerten Gebiete Südungarns wurden
von deutschen Kolonisten, vor allem von Schwaben, besiedelt. Der große
Schwabenzug hat Tausende Siedler auf den Donaukähnen, den Ulmer Schachteln,
stromabwärts in die Gebiete an der Donau, Save, Theiß und Temesch geführt. Im
Banat entstand eine der fruchtbarsten Provinzen des habsburgischen Reiches mit
zahlreichen deutschen Städten und Dörfern, im übrigen aber auch mit einer
nationalen Gemengenlage, wie sie in ganz Europa einzigartig blieb."
In Adam
Müller-Guttenbrunns (1852 - 1923) Roman Der große Schwabenzug, Hartmann
Verlag, Sersheim, 1990, ist nachzulesen: "Und da standen die Leute am Ufer, und
in ihren bunten Trachten spiegelte sich die Morgensonne. Sie schauten zu, wie
die Ulmer Schachteln sich zur Abfahrt bereitmachten und beredeten alles. Das Ordinarischiff ging immer zuerst. Das hatte längere Zollplackereien in Passau
und Engelhartszell zu bestehen, weil es allerlei Waren transportierte, die
versteuert werden mußten. [...] Jetzt bestieg der Schiffsmeister den Steuerstuhl
und schwang die Ulmer Flagge.
[...] Die Ruder griffen ein, das Ordinarischiff
setzte sich langsam in Bewegung. Zurufe wurden laut, Hüte wurden geschwungen,
und das Schiff sauste durch den mittleren der fünfzehn Brückenbogen in der
besten Strömung dahin." (Romanszene aus der "freien Reichsstadt Regensburg" zur
Zeit des ersten Schwabenzuges).
Wie
schicksalhaft eine Reise auf der Donau in die unbekannte, gefahrvolle und
beängstigende, aber trotzdem hoffnungsbeladene südosteuropäische Zukunft damals
war, belegen am deutlichsten erhaltene Zeitdokumente , wie zum Beispiel der
Brief, den der Siedler Johann Bornnert im Jahre 1784 nach Albersdorf in
Lothringen schrieb: "Wo mir auf Wien komen sein zu dem Kayser, so hat er uns in
das Ungern hinein gethan in Binat ... mir sein glücklich angekommen auf dieser
Reise frisch und gesund, meine Frau ist zwar in das Kindbet komen auf dem
Schiff, aber Gott sey Lob und Danck das Kind hat den heiligen Tauf bekomen, nach
dem der liebe Gott es von der Welt abgeholt. Mir ein schwerliche Reis gehabt, es
hat uns viel Geld gekost, aber mir haben es bald vergessen, den es ist alles
wollfäll." (aus DONAUSCHWABEN-KALENDER 1990, Donauschwäbischer Heimatverlag,
Aalen/Württemberg).
In
Anbetracht dieses erschütternden Dokuments sollte man doch auch Frauen auf die
Ulmer Schachteln lassen. Ohne die Opferbereitschaft der Frauen wären die "Großen
Schwabenzüge", nie in Gang gekommen, und die "Ulmer Schachtel" wäre um ein
prägendes Geschichtsmerkmal ärmer, ja vielleicht sogar in Vergessenheit geraten.
Anton
Potche
aus DONAUKURIER,
Ingolstadt, 27. Juni 1995
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