Dienstag, 17. November 2020

Zweifel an eigener Muttersprache

Zum Artikel Vom Nonnenkloster zum Jungfernzwinger in der Ausgabe vom 20./21. Dezember:

Wenn heute Martin Opitz so manchem fortschrittlich denkenden Zeitgenossen wegen seiner „aggresiven Ablehnung von uns heute selbst völlig unverdächtig scheinenden Fremdwörtern“ als ein zu national, ja gar nationalistisch gesinnter Sprachreformer vorkommt, so muß dieser bloß einen Blick auf die fernöstlichen Wortkreationen, mit denen seit einigen Jahren Arbeitsabläufe in deutschen Unternehmen benannt werden, werfen, und er wird sich förmlich nach so einem Mahner sehnen. Wer kopfschüttelnde Arbeiter ratlos vor mit Losungen und Informationen bestückten Arbeitstafeln stehen sieht und beobachtet, wie die sich beim Anblick von Wortschöpfungen wie Kaizen und Kanban – von der Initialenflut ganz zu schweigen – die Augen reiben, der wird gewahr, daß hier Menschen an den Ausdrucksmöglichkeiten ihrer eigenen Muttersprache zu zweifeln beginnen.
Das Anliegen dieses Barockdichters ist und muß zeitlos bleiben, wenn Völker auch in Zukunft ihre jeweils eigene Sprache als Kulturgut bewahren wollen. Daß ein Kämpfer für die Reinheit einer Sprache nicht gleich ein engstirniger Geselle sein muß, zeigt uns ebenfalls das Beispiel Martin Opitz. Der Dichter hat seinen Lehrauftrag im siebenbürgischen Weissenburg (heute Alba Iulia) dazu benutzt, ein anderes Volk, nämlich das rumänische, kennenzulernen.
Auch das verschollene und bei Forschern um seines Gattungscharakters umstrittene Werk Dacia antiqua – vielleicht sogar eine Geschichte Dakiens – ist ein Beleg dafür, daß ein leidenschaftlicher Verfechter des ungetrübten Gebrauchs der eigenen Muttersprache weit und fruchtbar über den eigenen Tellerrand blicken kann. Für uns bedeutet das, Fremdwörter ja, aber mit Augenmaß, und für unsere Wirtschaft könnte die aus dem Leben und Wirken des Martin Opitz gewonnene Erkenntnis lauten: Erfolgreich globales Handeln muß nicht unbedingt mit dem Import von zeitgeistträchtigen und kurzlebigen Fremdwörtern – je exotischer desto besser – einhergehen.
Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 30. Dezember 1997

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