Dienstag, 26. März 2013

Zeitenwende

Zu "Durch Fehleinschätzungen in die Katastrophe" in DER DONAUSCHWABE vom 17. März:

Der Golfkrieg ist vorbei, aber das gewaltsame Sterben im Irak nimmt kein Ende. Dem blutrünstigen Diktator aus Bagdad reichen die toten Landsleute zweier verlorener Kriege, die ausgerotteten Kurden und die ermordeten Oppositionellen seiner Herscherzeit nicht. Er tötet lustvoll weiter.
Der Sieg der verbündeten Streitmacht am Golf hat bewiesen, daß die Vernunft der Menschheit so weit gediehen ist, um internationales Recht geltend zu machen. Ein Schritt, der fürwahr als Meilenstein auf dem Weg zu einer erdumfassenden Menschengesellschaft mit gleichem Recht, bei Berücksichtigung der geographisch, religiös und national bedingten Eigenarten, gelten kann, ist damit getan. Die UNO-Resolutionen und ihre konsequenten Durchführungen haben das Vertrauen in die existierende Staatsordnung gestärkt. Grenzen sollen, ja müssen unantastbar bleiben. Annexionen und andere gewaltsam vorgenommene Territoriumsaufteilungen sollen endgültig dem Arbeitsbereich der Historiker angehören. 
Zu schön um wahr zu sein, muß man bei diesen Betrachtungen wohl sagen, denn wie alle Problembereiche hat auch dieser sein Dilemma. Stehen die Völker, die überall in der Welt für den Austritt aus großen Staatenbündnissen (Sowjetunion, Jugoslawien, Nordirland) kämpfen, nicht im Widerspruch zu diesem erstrebenswerten Grenzenstillstand?
Hier liegt der zweite, viel größere Meilenstein, den die Menschheit im ewigen Zivilisationsprozess aus dem Weg zu räumen hat. Besonders bei Nationalitätenkonflikten wird die Vernunft von Emotionen sehr schnell verdrängt. Die Folge davon sind immer Tote. In der Regel sterben unschuldige Menschen, während die Schürer der Gewaltleidenschaften in unantastbarem Hintergrund bleiben. Wenn man bedenkt, dass die UNO-Resolutionen zur Golfkrise nur zustande kamen, weil das politische Klima zwischen den Großmächten gerade milde ist und die innere Sicherheit keiner der beiden Mächte durch die Lage am Golf gefährdet war, so kann man kaum glauben, daß es so bald eine internationale Rechtsauffassung über die Unabhängigkeitsrechte vieler einverleibter Staaten und Völker geben wird. In der Sowjetunion müssen sich zuerst grundlegende Auffassungen zu diesem Themenkomplex ändern. Das ist ein sehr schwieriger Schritt, weil er viele Verzichte und Kompromisse beinhaltet. Aber, trotz der Toten, die die Freiheitskämpfe noch fordern, muß man feststellen, daß sich die Bemühungen, dieses Problem auf dem Verhandlungsweg zu lösen, intensivieren. Es werden noch viele Generationen von dieser Problematik betroffen sein. Die Erkenntnis, daß Gewaltverzicht immer in der Ziellinie liegt, muß auf jeden Fall ein Basisstein in der friedlichen Entlassung der Völker in die Unabhängigkeit werden.
Ein weiterer Fundamentstein eines währenden, als natürlich und absolut empfundenen Weltfriedens muß die Garantie des individuellen Menschenrechts auf Demokratie sein. Es gibt viele Saddam Husseins, die, von der Weltöffentlichkeit ignoriert, ihre Völker mit Gewaltherrschaft terrorisieren. Internationales Recht über nationales (Gewalt)recht stellen, wird eine schwierige Aufgabe der friedliebenden Staatengemeinschaft sein. Die von allen Diktatoren angepriesene Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten wird auch zur Zeit nicht nur vom irakischen Regime voll ausgenützt, um Andersdenkende gnadenlos zu vernichten. Hier müssen internationale Bestimmungen her, die dem sinnlosen Morden in einem Land Einhalt gebieten können. Freilich werden sich auch hier sowjetische, chinesische und andere Machthaber der asiatischen, afrikanischen und südamerikanischen Länder schwertun. Den nötigen Motivationsschub könnten sie jeweils aus dem eigenen Volk bekommen, denn das Einsehen und Nachgeben scheint, gemessen an den Ereignissen in Osteuropa, kein Tabuthema für absolutistisch regierende Staatsmänner mehr zu sein. 
Vor den friedliebenden Völkern und ihren Repräsentanten bei der UNO liegt ein weiter Verhandlungsgang. Auch wenn das Ende der Straße zum Weltfrieden noch nicht sichtbar ist, sollten sie ihre Bemühungen, es zu erreichen, nie abschwächen, kämpfen sie doch für die höchsten Ideale, die dem Menschen erstrebsam erscheinen. Sie sollten dabei nie aus den Augen verlieren, daß die Vernunft eine, zwar langsam, aber stetig reifende Frucht ist. Von dieser Frucht kostend, wird die Schar der sich nach ewigem Frieden sehnenden Völker unaufhörlich größer.
Die Zeit der "Heiligen Krieger" geht ihrem Ende zu.

Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 21. April 1991

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