Eleonora
Pascu stellte kürzlich in
ihrem Essay Franz
Liebhard als Dramaturg
(KR / 1. Juli 2000) das Pronomen „wir“ in dem Kontext „Banater
Identität – multikultureller Raum“ dar. Unabhängig davon, ob
dieser Begriffszusammenhang sich für den Einzelnen weniger im Mit-
als mehr im Nebeneinander oder umgekehrt ausgewirkt hat, war er
wirklich ein Identität stiftender Lebensfaktor. Das
bewusste Dazugehören zu einer gewissen ethnischen Gruppe hieß, sich
mit deren Traditionen, kultureller Gegenwart und Zukunftsperspektiven
auseinandersetzen. Die Aktivitäten jeweils herausragender
Persönlichkeiten aus Bereichen der Medien, Kultur, Politik und des
Sports bündelten das zum Überleben so nötige Wir-Gefühl. Franz
Liebhard war eine dieser
Persönlichkeiten.
Wenn
ich nun in der oben erwähnten Abhandlung weiter lese, dass zu einer
„retrospektiven Betrachtung der Spielzeiten, in denen Franz
Liebhard am DSTT als Dramaturg tätig gewesen ist“, auch „Pantomime
und Lyrik mit Nikolaus Wolcz“ gehören, fällt es mir nicht schwer,
über die Zeitlosigkeit eines einmal empfundenen Wir-Gefühls
nachzudenken. Dies um so mehr, als ich soeben aus dem imposanten
Innenhof des Ingolstädter „Turm Baur“, ein klassizistischer
zirkularer Festungsbau am Donauufer, komme. Ich verfolgte dort die
Freilichtaufführung des Schauspiels Der Glöckner von
Notre-Dame und versuche
jetzt, diese Inszenierung für die soeben begonnene Gedankenspirale
zu instrumentalisieren.
Das
Programm gibt Aufschluss über weitere Zusammenhänge. Der
Glöckner von Notre-Dame
nach Victor Hugo von
Friedrich Schilha, so
die Überschrift. Weiter erfährt man dann unter anderem: Regie -
Nikolaus Wolcz,
Claude Frollo – Friedrich Schilha,
Hermine – Ursula Nussbächer,
Klausnerin – Ursula Nussbächer,
Inspizienz – Eleonore Schilha.
Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die geborene Kronstädterin
Ursula Nussbächer
(verheiratete Wolcz)
hier unter ihrem Mädchennamen figuriert und Eeonore
Schilhas Geburtsname Grün
ist, müssten auch in den Programmheften des Deutschen Staatstheaters
Temeswar aus den siebziger Jahren Hinweise auf diese vier
Theaterleute (Grün,
Nussbächer, Schilha
und Wolcz) zu finden
sein.
Ehemalige
Schauspieler/innen aus dem Banat und Siebenbürgen wirken heute fern
ihrer künstlerischen Urheimat. Ursula
und Nikolaus Wolcz
lehren an der Columbia University in New York während Eleonore
und Friedrich Schilha
am Theater Ingolstadt arbeiten. Diese Namen, gleichermaßen wie Franz
Liebhard, Hans
Kehrer, Franz Keller,
Helga Sandhof, Hella
Sessler u. v. a., können
richtungsweisend für Menschen sein, die aus dem „multikulturellen
Raum“
Banat stammen und irgendwo in der Welt auf dauernder (oft
unbewusster und manchmal auch verdrängter) Suche nach Zeichen aus
längst vergangener Zeit sind.
„Wir“
war für viele Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben eine
Selbstverständlichkeit, die keiner zusätzlichen Erläuterungen
bedurfte. Heute hat dieses Pronomen im Gefühlsleben
vieler Ausgesiedelter einen besonderen Stellenwert
erlangt. Es gilt, „wir“ zur Rettung der von Uniformität
bedrohten Identität einzusetzen. Das Wirken in Deutschland von
Künstler/innen wie Schilha und
Wolcz hat für die
aus Rumänien gekommene Aussiedlergeneration eine Brückenfunktion
zwischen Gestern und Heute. Wer sich nicht scheut, diese Brücke der
Wehmut hie und da zu betreten, hat alle Chancen, das zu bleiben, was
er schon immer war, nämlich Siebenbürger Sachse oder Banater
Schwabe.
Mark
Jahr
aus KARPATENRUNDSCHAU, Kronstadt, 12. August 2000
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