Ehemalige Schauspieler des
Temeswarer Deutschen Staatstheaters sprechen über ihre Arbeit auf
den Brettern, die die Welt bedeuten
Die
höchste Auszeichnung der 18. Bayerischen Theatertage, der
„Ensemblepreis“, ging heuer an das Theater Ingolstadt. Vom
22. Juni bis zum 21. Juli spielt dieses Ensemble auf der Ingolstädter
Freilichtbühne Turm Baur das Schauspiel Der Glöckner von
Notre Dame nach Victor Hugo von Friedrich Schilha.
Regie führt der in Temeswar geborene Opern- und Theaterregisseur
Nikolaus Wolcz, zur Zeit Professor an der Schauspielabteilung
der Columbia University in New York. Seine Operninszenierungen
haben weltweit Anerkennung gefunden. Ursula Wolcz spielt in
diesem Schauspiel die Mutter der Esmeralda und die Klausnerin. Sie
ist eine geborene Nussbächer und stammt aus Kronstadt. Nach
ihrem Studium an der Bukarester Film- und Theaterhochschule Ion
Luca Caragiale spielte sie 1975 am Temeswarer Deutschen
Staatstheater. Auch sie lehrt an der Columbia University.
Der gebürtige Reschitzaer Friedrich Schilha präsentiert sich
heuer zum ersten Mal, nach sieben erfolgreichen Schauspielerjahren am
Theater Ingolstadt, dem Publikum als Autor eines
Theaterstücks. Über das harmonieren von Mensch und Technik wacht
die Inspizientin Eleonore Schilha. In Großsanktnikolaus
geboren, trug sie den Familiennamen Grün und spielte von 1974
bis 1979 am Deutschen Staatstheater Temeswar.
A.P.:
Herr Schilha, Sie haben einen bereits mehrmals erfolgreich verfilmten
Roman für das Theater dramatisiert. Glauben Sie, dass die Kraft des
Dialogs im "Glöckner von Notre Dame" den filmischen
Szenen gewachsen ist?
Friedrich
Schilha: Absolut. Hugo hat fantastische Dialoge geschrieben. Das
Schönste, das Humorvollste, das Tragischste musste herausgeschält
werden. Natürlich musste auch gekürzt werden; vielleicht so stark
gekürzt, dass es sich ein bisschen reibt und nicht so langatmig
bleibt, wie Romandialoge das ja gelegentlich sind. Die Gespräche im
Roman sind für uns heute, die wir an ein ganz anderes Tempo gewöhnt
sind, zu weitschweifig geführt. So lange Sätze sind auch sehr
schwer zu sprechen. Die mündliche Sprache erfordert ein klares
Zupacken und kein Ausbreiten. Man kann natürlich nicht die
spektakulären Mittel einsetzen, die der Film zur Verfügung hat. Das
Theater lebt vom Dialog, aber nicht nur davon. Im "Glöckner von
Notre Dame" wird auch viel gespielt. Das Stück lebt vom
Fühlen und Handeln der Protagonisten.
A.P.:
Wenn im
wahrsten Sinne des Wortes großes Theater angesagt ist, mit vielen
Darstellern und Statisten, scheint Nikolaus Wolcz der richtige
Regisseur zu sein. Kommen Ihnen bei so aufwendigen Inszenierungen
vorwiegend Ihre an der Bukarester Film- und Theaterhochschule
erlangten Filmkenntnisse zugute oder stehen eher Ihre
Operninszenierungen Pate?
Nikolaus
Wolcz:
Beides. Die Arbeitsmethoden mit Opernchören können durchaus
übernommen werden. Bewegungen von Statistengruppen erfordern schon
eine gewisse Art von Orchestration, von Rhythmik in den Gruppen
selbst. Es geht ja auch da oft um vordergründige dramatische
Auseinandersetzungen.
A.P.:
Victor Hugo hat
auch Dramen geschrieben. Haben Sie, Herr Schilha, sich mit diesen
Werken auseinandergesetzt, bevor Sie Ihre Arbeit am "Glöckner"
begonnen haben?
Friedrich
Schilha: Nein, unmittelbar vorher nicht, aber während meines
Germanistikstudiums habe ich einige gelesen. Verdis Oper "Rigoletto",
der Hugos Stück "Der König amüsiert sich" zugrunde
liegt, kenne ich aber bis in alle Einzelheiten. Mir waren schon in
meiner Studienzeit Hugos Romane sehr wichtig; vor allem "Die
Elenden".
A.P.:
Spielen Sie auch im "Glöckner"?
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Nikolaus Wolcz (l.) & Friedrich Schilha in einer Probe des Stückes Der Glöckner von Notre Dame |
Friedrich
Schilha: Ja, den Claude Frollo. Das ist eine sehr interessante
Figur, ein Archidiakon, den wir allerdings aus dramaturgischen
Überlegungen gleich zum Bischof ernannt haben. Irgendwie gehört er
zu dem Menschenschlag, der nicht so richtig an den Platz passt, den
er gerade einnimmt. Wenn er sich in das Zigeunermädchen Esmeralda
verliebt, fällt er hoffnungslos aus seiner Ordnung. Bei diesem
Claude Frollo laufen zwar alle Handlungsstränge zusammen, ohne dass
er dabei aber eine Hauptfigur ist. Dieses Stück hat überhaupt keine
Hauptfigur. Der Roman heißt im Französischen auch nur "Notre
Dame". Den Glöckner hat der deutsche Übersetzer hinzugefügt.
Eigentlich ist dieser prächtige Dom die zentrale Figur des Stückes.
A.P.:
Darf ein Regisseur an den Dialogen eines Stückes überhaupt etwas
ändern?
Nikolaus
Wolcz: Je nachdem, wen Sie fragen?
A.P.:
Haben Sie diesmal eingegriffen und wenn ja, mit mehr oder weniger
Skrupel als bei einem Ihnen persönlich nicht bekannten Autor?
Nikolaus
Wolcz: Na ich glaube schon. Scheu? Wir wurden ja so erzogen, dass
wir auch den Shakespeare immer korrigiert haben. In der Hackordnung
ist da der Hugo etwas kleiner und dann hat man mehr Mut. Und der
Fritzi [Schilha] ist ja Autor, der jetzt mit
einer lebenden Größe zusammenarbeitet und sich das gefallen lassen
muss … Also im Ernst: Es wird dauernd umgestellt. Die natürliche
Auslese ist ja das Hauptkriterium. Ich glaube, die endgültige Fassung
wird erst am Tag der Premiere stehen.
Ursula
Wolcz: Es werden immer noch ein paar Zettel mit Änderungen
nachgereicht.
Friedrich
Schilha: Ja, ich habe sogar noch eine ganze Szene
dazugeschrieben. Man muss immer wieder einen gewissen zeitlichen
Abstand zu einem Werk gewinnen, um dann sinnvolle Änderungen
vornehmen zu können.
Nikolaus
Wolcz: Es gibt schon auch andere Dramatisierungen dieses Stoffes.
Die haben uns aber nicht gefallen. Hugo hat eben sein erfolgreichstes
Theaterstück als Roman geschrieben.
A.P.:
Also Wolcz hat dieses Stück vor Krempel [Intendant des Theaters
Ingolstadt] gelesen?
Friedrich
Schilha: Ja, klar. Das war so.
Nikolaus
Wolcz: Ich glaube, Krempel hat es bis heute nicht gelesen.
A.P.:
Das heißt, er hat volles Vertrauen.
Friedrich
Schilha: Ja, ja. Vor allem in Wolcz. Er kennt ja seine zwei sehr
erfolgreichen Inszenierungen in Ingolstadt: "Cyrano de Bergerac"
und "Ein Sommernachtstraum".Diese Stücke sind wahnsinnig
schwer zu inszenieren, und nur wenige Regisseure wagen sich an sie
heran.
A.P.:
Während der Aufführungen hängt dann auch sehr viel von der
Übersicht des Inspizienten oder in unserem Fall der Inspizientin ab.
Frau Schilha, wie würden Sie Ihre Arbeit umschreiben?
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Probenpause - Der Glöckner von Notre Dame v.l.: Eleonore Schilha, Ursula Wolcz, Nikolaus Wolcz, Friedrich Schilha |
Eleonore
Schilha: Organisieren, koordinieren, überwachen. Vom ersten
Gongschlag bis zum letzten Fall des Vorhangs müssen alle
Kulissenbewegungen und Lichtspiele mit den szenischen Abläufen auf
der Bühne übereinstimmen. Das erfordert natürlich eine intensive
Zusammenarbeit schon im Vorfeld mit dem Regisseur, den
Bühnentechnikern, den Beleuchtungs- und Tontechnikern. Der Ablauf
eines Schauspiels ähnelt einem Uhrwerk. Schon der Bruch des
kleinsten und scheinbar unbedeutendsten Rädchens im Getriebe kann
einen verheerenden Stillstand bewirken.
Friedrich
Schilha: Man muss bei dem heutigen Stand der Bühnentechnik als
Inspizient schon sehr reaktionsschnell sein. Und der Umgang mit den
Menschen ist natürlich äußerst wichtig. Leo [Schilha]
überbrückt so manchen kritischen Moment mit ihrem gesunden Humor.
A.P.:
Könnte man dieses Stück mit Aussicht auf Erfolg auch in Amerika
spielen?
Ursula
Wolcz: Auf jeden Fall. Es würde nur noch mehr gekürzt werden,
noch mehr Aktion eingefügt werden. Alles was nach Überlängen im
Text aussieht, wird schonungslos gekürzt. Die Story ist sehr
wichtig. Es wird alles sehr, sehr schnell gespielt. Pausen gibt es
kaum im Spiel. Alles muss dauernd mit Spannung und Energie geladen
sein. Da haben wir wirklich sehr viel gelernt. Das eine oder andere
kommt mir jetzt auch etwas gedehnt vor im deutschen Theaterspiel.
A.P.: Wird
von diesem Stil etwas im "Glöckner von Notre Dame" zu spüren
sein?
Ursula
Wolcz: Wir versuchen es. Aber wir bemühen uns auch, die
Amerikaner zu mehr tiefgründigem Spiel zu bewegen. Und die bringen
das auch. Das Gerede von dieser amerikanischen Oberflächlichkeit ist
ein Klischee.
Friedrich
Schilha: Der deutsche Zugang zum Theater ist ein sehr
analytischer …
Ursula
Wolcz: … während bei den Amerikanern der Spaß überwiegt. Die
reden nicht viel drüber, die probieren gleich alles aus, und das in
allen denkbaren Varianten.
A.P.:
In einer Theaterchronik des Deutschen Staatstheaters Temeswar,
die im "Pipatsch-Kulener fors Johr 1978" erschienen ist,
sind neben vielen anderen auch folgende Inszenierungen vermerkt: "Die
Rache" von I. L. Caragiale, Regie: F. Schilha, Premiere: 17.
Dezember 1975, und "Amphitryon", Komödie von Peter Hacks
(Regie: keine Angabe), Premiere: 10. Oktober 1974 in Lugosch und 6.
November 1974 in Temeswar, aber auch "Panoptikum,
Unterhaltungsabend mit Musik aus den Goldenen zwanziger Jahren",
Regie und Bühnenbild: Teamarbeit, Premiere: 9. April1975.
Ursula
Wolcz: Oh ja! Da waren wir alle drei dabei.
Friedrich
Schilha: Man hat die Leute, die ausreisen wollten oder die ‘s
schon getan hatten, einfach totgeschwiegen. "Amphitryon"
wurde damals von Wolcz inszeniert. "Panoptikum" war
wirklich eine Teamarbeit. Aber die Idee dazu kam auch von Niky
[Wolcz] und den Text dazu habe ich verfasst. Die Probearbeiten
an "Panoptikum" waren die schönsten, die ich je erlebt
habe.
Ursula
Wolcz: Für mich auch. Wir konnten in dieser Inszenierung als
junge Hochschulabsolventen so viel ausprobieren: Singen, tanzen,
spielen, Stummfilmszenen mimen.
A.P.:
Haben Sie noch irgendwelche Beziehungen zu Ihren damaligen
Wirkungsstätten?
Ursula
Wolcz: Wir haben 1993, als Andrei Șerban
Direktor des Nationaltheaters wurde, in Bukarest "Die
Vögel" von Aristophanes inszeniert. Ich habe die Kostüme
entworfen.
Nikolaus
Wolcz: Auch heuer waren wir schon in Rumänien. Mit einer
amerikanischen Studententruppe haben wir in Piatra Neamț
Eugen Ionescos Stück "Die Unterrichtsstunde"
gespielt. Die Rumänen hatten dort ein sehr gutes Theaterfestival
organisiert.
A.P.:
Zukunftspläne?
Ursula
Wolcz: Schmieden wir keine. Momentan leben wir sieben Monate des
Jahres in Amerika und fünf in Europa.
Nikolaus
Wolcz: Im September inszeniere ich noch in Ingolstadt "Warten auf Godot" von Samuel Beckett.
Friedrich
Schilha: Für mich das beste Stück des 20. Jahrhunderts.
Ursula
Wolcz: Das Theaterleben ist eben ein Karussell.
Das Gespräch führte Anton
Potche.
aus BANATER POST, München,
10. Juli 2000
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