Dienstag, 3. Dezember 2024

Die Landsmannschaft ist für alle Landsleute da

 Gedanken zum 50. Geburtstag

Jubiläen haben auch immer etwas mit Wesensgleichheit zu tun. Nur wer zu einem gewissen Ereignis einen emotionalen Bezug hat, kann einer Jubiläumsfeier auch etwas abgewinnen. Die einem Jubiläum zugrunde liegenden Ereignisse können vielfältigster Natur sein: Von ganz persönlichen bis zu großen geschichtlichen Umwälzungen. Während man einen Geburtstag im kleinsten Kreis jährlich feiern kann, bescheren uns die größeren gesellschaftlichen Ereignisse meist im Jahrzehnte-Rhythmus Augenblicke des Erinnerns, Bilanzierens und Planens. 
Dem „Fünfzigsten“ wird in aller Regel eine immer größere Aufmerksamkeit zuteil. Das mag etwas mit der stetig steigenden Lebenserwartung der Menschen zu tun haben, kann man diesen Geburts- oder Gedenktag doch immer mit berechtigterer Hoffnung (dank des medizinischen Fortschritts) als Mitte einer Lebensstrecke betrachten.
Unsere Landsmannschaft wurde „50“. Wir haben also Geburtstag. Wir, das sind all jene, denen es nicht schwer fällt, etwas (wenn auch oft Undefinierbares) zu empfinden, wenn sie irgendwann irgendwo einen Landsmann treffen, mit dem sie unbeschwert ein Gespräch über eine gewisse geografische Region oder ein beidseitig erlebtes Ereignis anknüpfen können. Für sie, also für uns, wurde die Landsmannschaft der Banater Schwaben gegründet. 
Als ideeller Hort des Treffens, des Plauderns wider das Vergessen und des Austausches über die Gegenwart wurde sie ins Leben gerufen und nicht als Klub der ewig Gestrigen, wie Klischeejäger dies ab und zu in die Welt posaunen. Es war die Verankerung in die jeweilige Gegenwart und die Vielschichtigkeit der sich mit der Zeit herauskristallisierenden Erlebnisgruppen, die unsere Landsmannschaft zusammen mit dieser Republik wachsen ließen. Am Anfang standen die Kriegsgefangenen und Vertriebenen, es folgten ihre Familienangehörigen und schließlich die Aussiedler. 
Niemand musste der Landsmannschaft beitreten, und trotzdem ist sie für alle Landsleute da. Überparteilich, aber nicht unpolitisch. Wie anders als einen Akt höchster politischer Kultur könnte man ihr Engagement in der Fremdrenten-Problematik bezeichnen. In gleichem Maße, in dem hinter solchen landsmannschaftlichen Aktivitäten oft persönliche Höchsteinsätze Einzelner stehen (mir fällt ganz spontan stellvertretend für viele Leistungsträger unserer Landsmannschaft der Name Hans Huniar ein), kann die Landsmannschaft, als agierende Einheit betrachtet, nicht allen Vorstellungen des Einzelnen gerecht werden. Sie hat es aber geschafft, wesentlich zur Identitätsbewahrung der Kriegs-, Vertriebenen- und Aussiedlergenerationen beizutragen. Mut zum eigenen Ich hat sie durch ihr Handeln gegeben und bewirkt, dass Menschen mit einer präzise definierbaren Herkunft und einem gesunden Heimatgefühl sich zu einer Vergangenheit bekennen, die nicht mehr und nicht weniger als ein Teil der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist. 
Diese Unbefangenheit im Bekenntnis zur eigenen Abstammung wirkt sich in unzähligen Alltagssituationen aus und tut den Beteiligten schlicht und einfach gut. Da stehe ich doch tatsächlich – es ist noch gar nicht lange her – an meinem Arbeitsband und bringe wegen einer grippalen Heiserkeit kein Wort mehr hervor. Schlimm! Alle stehen um mich herum und überhäufen mich mit Ratschlägen; sogar die, denen die Schadenfreude ob meines Schweigezwangs aus den Augen lacht. Bandarbeit funktioniert heutzutage nun mal schlecht ohne Sprache. Zum Schluss meinte einer: „Zwiweltee mit gebreintem Zucker is es beste Mittel gegen die Grippe. Dee hot mei Oma schun in Knies forr uns Lauskerle gekocht.“ 
Man solle nicht dauernd in der Vergangenheit leben, warnen die Psychologen zurecht. Das mache krank. Sich-Erinnern kann aber im wahrsten Sinne des Wortes heilende Kräfte freisetzen. Das gelingt allerdings nur, wenn man sich auch mit überlieferten Werten identifizieren kann. Wenn man 50 ist, tut ein Tee ab und zu schon gut. Wir sollten uns auch weiterhin nicht schämen, bei Gelegenheit einen Erinnerungstee zu genießen. Er stärkt das Selbstwertgefühl und lässt in uns die Hoffnung keimen, an diesem 50. Geburtstag unserer Landsmannschaft tatsächlich erst am Anfang der zweiten Lebensstrecke zu stehen. 
Dass dieser Optimismus durchaus nicht unrealistisch sein muss, könnte uns die Erfahrung vieler anderer Volksgruppen liefern, die von Identitätskrisen heimgesucht wurden. Da liegt ein Interview mit dem Juristen und Schriftsteller Bernhard Schlink vor mir, woraus ich zum Abschluss meiner Geburtstagsgedanken gerne zitiere: „Ja, ich kenne es auch bei meinen akademischen Bekannten, dass sie um die fünfzig plötzlich wieder ihre jüdische Identität entdecken. Davor waren sie ganz säkular. Aber da ist eine Identität, die liegt bereit wie eine Heimat, in die man zurückkehren kann. Diese Identität ergreifen sie und haben nochmal eine ganz neue Welt, fast ein neues Leben mit neuen Erfahrungen, neuem Glück, Verpflichtungen und Riten.“

Angesteckt von dieser Zuversicht kann ich unserer Landsmannschaft natürlich nur wünschen: „Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag alles Gute!“

Anton Potche

aus BANATER POST, München, 5. Juni 2000


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