Gedanken zum 50. Geburtstag
Jubiläen haben auch immer etwas mit
Wesensgleichheit zu tun. Nur wer zu einem gewissen Ereignis einen
emotionalen Bezug hat, kann einer Jubiläumsfeier auch etwas
abgewinnen. Die einem Jubiläum zugrunde liegenden Ereignisse können
vielfältigster Natur sein: Von ganz persönlichen bis zu großen
geschichtlichen Umwälzungen. Während man einen Geburtstag im
kleinsten Kreis jährlich feiern kann, bescheren uns die größeren
gesellschaftlichen Ereignisse meist im Jahrzehnte-Rhythmus
Augenblicke des Erinnerns, Bilanzierens und Planens.
Dem „Fünfzigsten“ wird in aller
Regel eine immer größere Aufmerksamkeit zuteil. Das mag etwas mit
der stetig steigenden Lebenserwartung der Menschen zu tun haben, kann
man diesen Geburts- oder Gedenktag doch immer mit berechtigterer
Hoffnung (dank des medizinischen Fortschritts) als Mitte einer
Lebensstrecke betrachten.
Unsere Landsmannschaft wurde „50“.
Wir haben also Geburtstag. Wir, das sind all jene, denen es nicht
schwer fällt, etwas (wenn auch oft Undefinierbares) zu empfinden,
wenn sie irgendwann irgendwo einen Landsmann treffen, mit dem sie
unbeschwert ein Gespräch über eine gewisse geografische Region oder
ein beidseitig erlebtes Ereignis anknüpfen können. Für sie, also
für uns, wurde die Landsmannschaft der Banater Schwaben gegründet.
Als ideeller Hort des Treffens, des
Plauderns wider das Vergessen und des Austausches über die Gegenwart
wurde sie ins Leben gerufen und nicht als Klub der ewig Gestrigen,
wie Klischeejäger dies ab und zu in die Welt posaunen. Es war die
Verankerung in die jeweilige Gegenwart und die Vielschichtigkeit der
sich mit der Zeit herauskristallisierenden Erlebnisgruppen, die
unsere Landsmannschaft zusammen mit dieser Republik wachsen ließen.
Am Anfang standen die Kriegsgefangenen und Vertriebenen, es folgten
ihre Familienangehörigen und schließlich die Aussiedler.
Niemand musste der Landsmannschaft
beitreten, und trotzdem ist sie für alle Landsleute da.
Überparteilich, aber nicht unpolitisch. Wie anders als einen Akt
höchster politischer Kultur könnte man ihr Engagement in der
Fremdrenten-Problematik bezeichnen. In gleichem Maße, in dem hinter
solchen landsmannschaftlichen Aktivitäten oft persönliche
Höchsteinsätze Einzelner stehen (mir fällt ganz spontan
stellvertretend für viele Leistungsträger unserer Landsmannschaft
der Name Hans Huniar ein), kann die Landsmannschaft, als
agierende Einheit betrachtet, nicht allen Vorstellungen des Einzelnen
gerecht werden. Sie hat es aber geschafft, wesentlich zur
Identitätsbewahrung der Kriegs-, Vertriebenen- und
Aussiedlergenerationen beizutragen. Mut zum eigenen Ich hat sie durch
ihr Handeln gegeben und bewirkt, dass Menschen mit einer präzise
definierbaren Herkunft und einem gesunden Heimatgefühl sich zu einer
Vergangenheit bekennen, die nicht mehr und nicht weniger als ein Teil
der Geschichte des 20. Jahrhunderts ist.
Diese Unbefangenheit im Bekenntnis
zur eigenen Abstammung wirkt sich in unzähligen Alltagssituationen
aus und tut den Beteiligten schlicht und einfach gut. Da stehe ich
doch tatsächlich – es ist noch gar nicht lange her – an meinem
Arbeitsband und bringe wegen einer grippalen Heiserkeit kein Wort
mehr hervor. Schlimm! Alle stehen um mich herum und überhäufen mich
mit Ratschlägen; sogar die, denen die Schadenfreude ob meines
Schweigezwangs aus den Augen lacht. Bandarbeit funktioniert
heutzutage nun mal schlecht ohne Sprache. Zum Schluss meinte einer:
„Zwiweltee mit gebreintem Zucker is es beste Mittel gegen die
Grippe. Dee hot mei Oma schun in Knies forr uns Lauskerle gekocht.“
Man solle nicht dauernd in der
Vergangenheit leben, warnen die Psychologen zurecht. Das mache krank.
Sich-Erinnern kann aber im wahrsten Sinne des Wortes heilende Kräfte
freisetzen. Das gelingt allerdings nur, wenn man sich auch mit
überlieferten Werten identifizieren kann. Wenn man 50 ist, tut ein
Tee ab und zu schon gut. Wir sollten uns auch weiterhin nicht
schämen, bei Gelegenheit einen Erinnerungstee zu genießen. Er
stärkt das Selbstwertgefühl und lässt in uns die Hoffnung keimen,
an diesem 50. Geburtstag unserer Landsmannschaft tatsächlich erst am
Anfang der zweiten Lebensstrecke zu stehen.
Dass dieser Optimismus durchaus
nicht unrealistisch sein muss, könnte uns die Erfahrung vieler
anderer Volksgruppen liefern, die von Identitätskrisen heimgesucht
wurden. Da liegt ein Interview mit dem Juristen und Schriftsteller
Bernhard Schlink vor mir, woraus ich zum Abschluss meiner
Geburtstagsgedanken gerne zitiere: „Ja, ich kenne es auch bei
meinen akademischen Bekannten, dass sie um die fünfzig plötzlich
wieder ihre jüdische Identität entdecken. Davor waren sie ganz
säkular. Aber da ist eine Identität, die liegt bereit wie eine
Heimat, in die man zurückkehren kann. Diese Identität ergreifen sie
und haben nochmal eine ganz neue Welt, fast ein neues Leben mit neuen
Erfahrungen, neuem Glück, Verpflichtungen und Riten.“
Angesteckt von dieser Zuversicht kann ich unserer Landsmannschaft natürlich nur wünschen: „Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag alles Gute!“
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. Juni 2000
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