Dienstag, 12. Juli 2022

Original Jahrmarkter Musikanten

Die jüngste und (wahrscheinlich) letzte Jahrmarkter Musikkapelle wurde 10 Jahre alt

So mancher Musikant, der im Banat noch aktiv war, wird Wehmut empfinden, wenn er hierzulande in einem Lokalblatt von zwanzig-, dreißig-, vierzig- bis zu hundertjährigen Gründungsjubiläen verschiedener Musikformationen (meist Blaskapellen) liest oder wenn er vielleicht als Mitglied einer dieser Kapellen sogar an den Feierlichkeiten eines solchen Jubiläums teilnimmt.

Wenn unser Auswandern auch einen negativen Aspekt aufzuweisen hat, dann ist es vor allem der Verlust unseres in den siebziger Jahren besonders regen Kulturlebens in den Banater Dörfern. Die vielen Musikkapellen spielten bei den Veranstaltungen stets eine wesentliche, in einigen Ortschaften sogar eine dominierende Rolle.
Die in zwei Jahrhunderten gewachsenen Dorfstrukturen mit ihren introvertierten, stark traditionsbetonten Lebensabläufen schufen ein ideales Klima für das Wirken von Musikgruppen über lange Zeiträume hinweg. Die Jahrmarkter Kaszner-Kapelle wäre vor einem Jahr 40 Jahre alt geworden, und die Ehemaligen der Loris-Kapelle trafen sich heuer anläßlich ihres neunzigjährigen Gründungsjubiläums, das vermutlich mehr dem Gedenken als musikalischem Jubilieren dienen durfte. Was Krieg und Diktatur nicht zerstören konnten, hat letztendlich die Aussiedlung bewirkt. Keine der beiden Kapellen erlebte in Deutschland eine Wiederauferstehung. Die damaligen Juniorkapellmeister der Jahrmarkter Blaskapellen sind heute erfolgreiche Leiter von Jugendblaskapellen im Westen Deutschlands. Die Jahrmarkter Musikanten spielen aber trotzdem weiter, und zwar im Süden Deutschlands.
Sepp Tritz hat vor zehn Jahren in München die Original Jahrmarkter Musikanten gegründet. Somit ist er der letzte Jahrmarkter, der sich in diesem Jahrhundert in die Riege der Jahrmarkter Kapellmeisternamen eingereiht hat: Jauch (Gründungsjahr: ca. 1900), Rastädter (ca 1900), Loris (1908), Kelter (ca. 1920), Kreuter (1937), Kern (1946), Kaszner (1957), Schütt (1983), Linz (1986) – die zwei letzten hatten die Leitungen der Kaszner- bzw. Loris-Kapelle bis zu deren endgültigen Auflösung inne -, Tritz (1988).
Daß die letzte Namenseintragung nicht mehr in Jahrmarkt, sondern bereits in neuen Gefilden (die Tag für Tag, Schritt für Schritt als Heimat erschlossen werden mußten) stattfand, mag signifikant für den Werdegang unseres ganzen Volksstammes sein. Wir gingen, um Banater Schwaben zu bleiben, denn viel mehr als seine Identität kann ein Mensch auf Heimatsuche nicht über die Zeit retten. Alle materiellen Mitbringsel gehen irgendwann verloren.
Bei der mühseligen Erschließung einer neuen Heimat können Erinnerungen als hilfreicher Innehaltefaktor eingesetzt werden. Vertraute Musik, gespielt von Kapellen mit vertrauten Namen, kann – wenn auch nur für ein paar Stunden – in Menschen Gefühle wachrütteln, die diese in weit zurückliegenden Jahren schon einmal erlebt haben. Die Mannen um Sepp Tritz und seine Gesangspartnerin Lotte Hehn pflegen den Musikstil, der für die meisten Kapellen im Banat charakteristisch war: eine Mischung aus Blas- und auf Schlager basierender Tanzmusik. Vielleicht deutet das Original im Namen dieser Tanzkapelle nicht nur auf die Instrumentenbesetzung hin, sondern auch auf den Erinnerungswert einer bewehrten Dorftradition mit all ihren gesellschaftlichen Implikationen. So selbstverständlich, wie zu einer neuen Heimaterschließung auch neue Bekanntschaften gehören, so normal ist es auch, daß heute Nicht-Jahrmarkter einen wichtigen Beitrag zum guten Klang dieser Tanzkapelle leisten.
Die Original Jahrmarkter Musikanten blieben von einer in solchen Musikgruppen nicht seltenen Fluktuation weitgehend verschont, was sich natürlich positiv auf ihren Werdegang ausgewirkt hat. Sie traten in den vergangenen zehn Jahren bei vielen Kulturveranstaltungen unserer Verbandsgliederungen auf und gestalteten den musikalischen Rahmen für so manches Heimatortstreffen. Auch die zwei bei TYROLIS erschienenen MC/CDs Wir sind alle Sonntagskinder und Die Botschaft der Berge zeugen von dem Engagement, traditionelle, altbekannte Melodien zu bewahren und gleichzeitig neues Tanzmusikgut zu vermitteln.
Nach persönlichen Wünschen zum 10. Geburtstag seiner Kapelle befragt, sagte der „Jahrmarkter“ Sepp Tritz: „Mit den gleichen Leuten weitermachen wäre schön, auch wenn es ab und zu mal Auftragsflauten gibt.“ Der Mann weiß, wovon er spricht, denn die Praxis hat gezeigt, daß nur Gruppen mit einem stabilen Personalkern die Riffe des Musikbetriebs unbeschadet durchschiffen können.
In diesem Sinn kann man dem Stammpersonal der Original Jahrmarkter Musikanten nur wünschen, daß es bei seinem zwanzigjährigen Gründungsjubiläum noch die gleichen Namen aufzeigen kann wie heute: Lotte Hehn (Bakowa / Gesang), Ernst Bechler (Bakowa / Trompete, Flügelhorn), Hartmuth Bechler (Bakowa / Schlagzeug), Josef Hehn (Niederbayern, Eltern aus Schiwatz in der Batschka / Tenorhorn, Posaune), Josef Probst (Jahrmarkt / Tuba, E-Baß), Alwin Schreier /(Jahrmarkt / Akkordeon, Keyboard), Michael Tritz (Jahrmarkt, / Trompete, Flügelhorn), Sepp Tritz (Jahrmarkt / Leitung, Gesang, Tenorhorn, Posaune).

Anton Potche

aus BANATER POST, München, 5. Januar 1999


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen