Ernüchternde Erlebnisse nach euphorischen Stunden können Betroffene in eine schmerzhafte,
selbstzerstörerische Isolation führen, weil es so unheimlich schwer
ist, zu akzeptieren, daß man Opfer einer Täuschung wurde. Sollte
ich den Künstlern, „unseren Künstlern“, wirklich auf den Leim
gegangen sein? Anscheinend ja! Zum Glück haben mich aber nicht alle
Sänger/innen und Instrumentalsolisten betrogen, und die, die es
taten, bestimmt nicht dauernd. Davon bin ich überzeugt! Zumindest
diese Gewißheit verschafft etwas Erleichterung und gibt mich nicht
ganz der Lächerlichkeit preis.
Die
Chronologie der Ereignisse ist schnell erzählt. Freitag, 3. April
1998, 23 Uhr. Ich verließ in glückseliger Stimmung, bar jedweder
Kritikfähigkeit oder gar -absicht, den Festsaal des Ingolstädter
Theaters. Das Benefizkonzert zugunsten des Banater Seniorenzentrums
„Josef Nischbach“ war soeben verklungen. Wunderschöne Musik von
Joseph Haydn, über böhmische Blasmusik bis zu
Eigenkompositionen Mara Kaysers hatten eine Begeisterung in
mir hervorgerufen, die bis in die späten Nachmittagsstunden des
folgenden Montags anhielt. Dann befand ich mich nämlich im Kreise
einiger Musikanten, die ebenfalls diesem Konzert beigewohnt hatten;
allerdings nicht nur mit Herz, so wie ich und viele andere
Konzertbesucher wahrscheinlich auch, sondern auch mit Verstand,
gepaart mit den jeweils entsprechenden Musikkenntnissen. Meine
spontanen Begeisterungsausbrüche prallten in dieser Runde auf Häme
und Spott. Bemerkungen wie „Hast du schon mal was gehört von
Playback“ oder „Wie kann man so naiv sein, um sich derart
verarschen zu lassen“ waren für mich dann die Auslöser, das
Erlebte so weit wie möglich aus meinen Erinnerungen hervorzurufen
und etwas realistischer zu analysieren, nicht ohne jedoch vorher auch
Nichtmusiker nach ihrer Meinung zu fragen, ist bekanntermaßen bei
Urteilen von Musikern über Musiker doch immer sehr viel
Subjektivität, um nicht zu sagen Neid, im Spiel. Leider bekam ich –
besonders von Leuten, die in den ersten Reihen des ausverkauften
Hauses (ca. 1200 Plätze) saßen – Ähnliches zu hören. Allerdings
glaube ich, aus diesen Stimmen eher Enttäuschung und Bedauern
vernommen zu haben.
Nun
könnten solche Gedanken sehr schnell den Eindruck erwecken , daß
dieser Abend der volkstümlichen Musik mit Banater Interpreten
ein Mißerfolg war. Das war er beileibe nicht. Wenn ich mir die
glücklichen, teils sogar verklärten Gesichtszüge vieler Landsleute
in Erinnerung rufe, so bleibt mir gar nichts anderes übrig, als
diese Benefizveranstaltung als vollen Erfolg zu bewerten. Das war sie
schon insofern, als die eingangs erwähnten Schatten das von den
überwiegenden Live-Darbietungen ausgestrahlte Licht in keiner Weise
beeinträchtigen konnten.
Den
Lichtquellen dieses Abends gebührt sowohl für ihren selbstlosen
(honorarfreien) Einsatz für ein großes Werk der Nächstenliebe, als
auch für die guten und sehr guten musikalischen Leistungen volles
Lob. Die Namen der Künstler, die dieses Konzert gestalteten, sind
unseren Landsleuten zum großen Teil bekannt und angesichts der
Vielfalt der zu Gehör gebrachten Musikgenres – eigentlich eine
angenehme Überraschung für eine als Abend der volkstümlichen
Musik angekündigte Veranstaltung – konnte wohl jeder
Zuschauer mit „seinem Star“ zufrieden sein. (Es war bestimmt
keine sehr glückliche Entscheidung der Regie, eine der auftretenden
Sängerinnen als „Star des Abends“ zu behandeln.)
Die Hollich-Familie war mit
den Rosenkavalieren bestimmt eine sowohl
gesamtmusikalisch als auch instrumental- und vokalsolistisch
betrachtet angenehme Erscheinung. Die kleine Geigerin Larissa
Hollich als Überraschung zu präsentieren, war eine gute Idee.
Bei ihrem für die Geigenpolka geernteten Riesenbeifall
erübrigt sich jeder Kommentar. Rose Hollich konnte durchwegs
mit ihrem Gesang überzeugen und wird aus dem Reigen Banater
Sängerinnen nicht mehr wegzudenken sein. Anton Hollich –
sein Hummelflug auf der Klarinette war der eigentliche Stein
des Anstoßes für die Konzertbesucher mit Verstand – leitet mit
den Rosenkavalieren eine sehr gut eingespielte
Tanzkapelle. Ob unsere etwas schwerblütigen Landsleute mit optischer
Musikgaudi á la „Lustige Musikanten“ allerdings zu beglücken
sind, möchte ich doch lieber bezweifeln, als ihnen kritiklose
Zugeständnisse an kurzlebige Zeitgeisterscheinungen anzudichten.
Mara
Kayser präsentierte sich wie gewohnt professionell, souverän.
Ihre den Landsleuten als Uraufführung geschenkten Eigenkompositionen
waren inhaltlich und interpretativ hochwertig, konnten aber bestimmt
nicht darüber hinwegtäuschen, daß die breite volkstümliche
Fangemeinschaft Deutschlands auch heute noch nicht um die wirkliche
Abstammung der Wahlsaarländerin Mara Kayser weiß. Identität
sollte auch von begnadeten Künstlern nicht wie ein je nach
Interessenlage nötiges oder lästiges Anhängsel zum Karrieremachen
instrumentalisiert, sprich, überbetont oder verleugnet werden.
Mathias
Loris bot eine solide Leistung. Der Mann kann seine Fähigkeiten
einschätzen, und er war auch an diesem Abend nicht angereist, um mit
technisch schwierigen Konzertpassagen Bewunderung zu erheischen,
sondern spielte dem andächtig lauschenden Publikum zwei wunderschöne
Melodien auf seiner Trompete vor. Der Dank des Auditoriums fiel auch
dementsprechend herzlich aus.
In
die Herzen der Zuhörer sang sich mit Unterstützung eines Klaviers
und eines Streichertrios der Männerchor MGV Liedertafel
Vohburg. Das imposante musikalische Erscheinungsbild dieses
lebendigen Klangkörpers gewinnt durch hervorragende Solopartien und
durch die eigenartige Dirigierweise seines Leiters Walter Kindl
eine ganz besondere Ausstrahlungskraft. Der Zuschauer wird mit den
aus den Handgelenken sehr eindrucksvoll angedeuteten Dynamik- und
Tempizeichen unmittelbar von dem aus Bentschek stammenden Musiklehrer
auch visuell in die Liedgestaltung eingeführt.
Helga
& Werner Salm. Ja, bei ihnen schien nicht nur die
Orchesterbegleitung, sondern (zumindest in einem Lied) auch der
Gesang vom Band zu kommen; so die kaltblütigen Analytiker. Schade,
denn besonders dieser Auftritt hat die nostalgische Ader vieler
Landsleute – das Durchschnittsalter des Publikums dürfte so bei 50
gelegen sein – anschwellen lassen. Und weil die überwiegende
Mehrheit der begeistert mitempfindenden Menge mit mehr Herz als
Verstand an jenem Abend bei der Sache war – ich schließe mich da
gerne mit ein -, wurde das Geschwisterpaar zurecht mit stürmischem
Beifall hinter die Kulissen entlassen.
Was
uns der Schwabenklang mit seinem
Kapellmeisterduo Johann Frühwald & Rudi Hellner
dargeboten hat, war Blasmusik der feineren Art, ausgefeilt bis zur
letzten Sechzehntel und … diese wohltuenden Piani, ein wahrer
Ohrenschmaus. Glückwunsch nach Reutlingen!
Weil,
wie gesagt, wahrscheinlich jeder Konzertbesucher an jenem 3. April
1998 mit seinem/seinen Lieblingsinterpreten im Herzen den Musentempel
an der Donau verlassen hat, so will ich diese gedankliche Rückschau
– im vollen Bewußtsein ihrer Subjektivität – mit „meinem
Star“ dieses Benefizkonzertes schließen. Er heißt: Ines
Aigner. Danke, besonders für diese beeindruckende Hommage an
Bertolt Brecht. Das liebliche Mädchen von gestern (Trio
„Herzblatt“) ist eine Sopranistin in stürmischer
Entwicklungsphase, die hoffentlich noch lange anhält und sie eines
Tages im Bereich ihrer Musiksparte (klassisches und modernes Liedgut)
dorthin führt, wo Mara Kayser heute im
volkstümlichen Musikstadel steht, nämlich an die Spitze.
Moderiert
wurde dieses dreistündige Musikprogramm von Anneliese Krutsch
so, wie man es von ihr gewohnt ist: vornehm zurückhaltend und
trotzdem informativ, mit klarer, deutlicher Diktion.
Die
auf eine große Leinwand projizierten Abbildungen des in die erste
Bauphase gestarteten Pflege und Seniorenheims „Josef Nischbach“
mit dem Namen des jeweils auf der Bühne stehenden Künstlers verlieh
dem Bühnengeschehen einen dauernd festlichen Rahmen. (Projektionen:
Hans Rothgerber).
Für
die Regie zeichnete Hans Szeghedi, assistiert von Stefan
Mlynarzek und Franz Mlynarzek.
FotoQuelle: BANATER POST |
Dank
dem starken, wohltuenden Licht und trotz des schwachen Schattens
gebührt Organisatoren und Künstlern gleichermaßen hohe Anerkennung
für dieses Benefizkonzert in Ingolstadt. Danke, und vielleicht
irgendwann auf ein Nächstes, denn die Palette unserer Banater
Künstler ist noch lange nicht ausgeschöpft.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. Mai 1998
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