Herta Müller und ihre veröffentlichten neuen Versuche als Essayistin
Herta
Müller: Hunger und Seide. Essays. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,
Reinbek bei Hamburg, März 1997, 1490-ISBN 3-499-13601-5, 174 S., DM
14,90
Michael
Krüger, der Herausgeber der Zeitschrift Akzente,
schrieb sein Vorwort zum Heft 1/Februar 1985 wahrscheinlich mit
gemischten Gefühlen: „Wer sich die Mühe gemacht hat, die kurz vor
Weihnachten in den überregionalen Zeitungen von deutschen Kritikern
zusammengestellten ‚Buchtips‘ zu studieren, dem mußten zwei
Phänomene auffallen. Erstens das Verschwinden zeitgenössischer
Literatur, zweitens die Bevorzugung des Essays.“ Als positiv
bewertete Essayisten werden Namen wie Butor, Calvino,
Eco, Böll, Rühmkorf genannt. Neuentdeckungen
auf dem Gebiet dieser literarischen Gattung waren damals Michel de
Montaigne und Günther Anders.
Es
sind zwölf Jahre ins Land gegangen und Krügers
pessimistische Andeutungen – Krise der Literatur und
Literaturkritik – haben bis heute keine erschreckenden
Bestätigungen gefunden. Zum Glück!
Das
Essay kann man zurzeit nicht gerade als die dominierende
Literaturform bezeichnen, aber Neuerscheinungen werden nach wie vor
von der Kritik aufmerksam zur Kenntnis genommen. Einer der neuesten
Namen im Bereich der Abhandlungsliteratur ist Herta Müller.
Hunger
und Seide heißt eine Sammlung von 13 Essays, in denen
Herta Müller
ihre Erfahrungen mit der Ceaușescu-Diktatur
und mit ihrer neuen Wahlheimat verarbeitet. Ein Essay bietet dem
Autor die Möglichkeit, ein wissenschaftliches, kulturelles oder
politisches Thema geistreich, subjektiv und ohne Systemzwang zu
behandeln. Eine solche Betrachtungsweise kann natürlich nicht
losgelöst von der eigenen Biographie funktionieren. Auch die Essays
von Herta Müller ruhen auf autobiographischem Fundament und
sind durch die Erfahrungen des – einst und immer wieder –
Erlebten stark emotional geprägt.
Der Titel des Buches sagt schon einiges über die Auslöser seines Inhaltes aus. Es sind die Gegensätze, denen Herta Müller versucht auf den Grund zu gehen. Gegensätze früher und heute, sowohl in der Diktatur als auch in der Demokratie: „Meine Bücher stoßen hier in Deutschland auf zwei immer wiederkehrende Fragen. Die eine: wann ich endlich etwas über Deutschland schreibe. Die andere: weshalb ich über Deutschland schreibe. Diese zweite hält meine Sicht auf dieses Land für ‚falsch‘, weil sie mit der gewohnten Sicht nicht übereinstimmt. Das Fremde daran irritiert, man wittert die illegitime Einmischung. Die zweite Frage verweist mich ins Abgezirkelte: wo ich herkomme, darüber habe ich zu schreiben.“
Das ist ein Buch für Menschen, denen das Leben mehr als der gelebte Alltag in empfindbarer Gemütlichkeit und Sicherheit bedeutet, für Menschen, die sich dafür interessieren, wie Empfindsamkeiten in anderen – aus unserer heutigen westeuropäischen Sicht extremen – Umständen in Gedanken, Worten und Werken artikuliert werden. Dieses Buch wendet sich aber auch an Menschen, die aus der Diktatur kommen, eben wegen den gemeinsamen Erfahrungen, auch den unangenehmen und nicht gerne ausgesprochenen.
Wir haben doch kein Heimweh. Wir sind doch stark und pfeifen verächtlich auf diese unverbesserlichen Nostalgiker Oder … ja, ein bißchen Zurückdenken vielleicht. Sollten wir nicht wissen, wie uns geschieht, können wir bei Herta Müller nachlesen: „In Deutschland angekommen, gab es für mich zum ersten Mal eine Art Endgültigkeit. Die räumliche Entfernung zwischen den beiden Ländern, dachte ich, kann es nicht sein. Sie kann sich doch nicht so flach über den Schädel legen. ‚Heimweh‘ war mir verhaßt, ich weigerte mich, den Schmerz so zu benennen. Ich konnte das Wort immer von mir fernhalten. Den Zustand nicht.“
Man kann dieses Buch Zeile für Zeile auseinandernehmen und lernen, bestätigen oder auch ablehnen, je nachdem, ob man Außenstehender, Betroffener oder in gewissem Maße gar Mitschuldiger ist. (Es hat sie leider gegeben, die allzu strebsamen sozialistischen Menschen deutschen Zungenschlags in der rumänischen Diktatur.) Es ist eben die Zerlegbarkeit dieser Essays in schwer anfechtbare Details, die die euphorische Feststellung des FAZ-Feulletonisten Frank Schirrmacher glaubhaft klingen lässt: „Herta Müller zählt zu den glaubwürdigsten Schriftstellern der Gegenwart.“
Um diesen Nimbus zu erlangen, mußte die Schriftstellerin nicht nur die Diktatur, sondern auch ihren nicht immer leicht nachvollziehbaren Weg der Erzählung und des Romans verlassen und ihre Erfahrungen in der kunstvollen, aber noch verständlichen Sprache des Essays an die Öffentlichkeit tragen.
Der Titel des Buches sagt schon einiges über die Auslöser seines Inhaltes aus. Es sind die Gegensätze, denen Herta Müller versucht auf den Grund zu gehen. Gegensätze früher und heute, sowohl in der Diktatur als auch in der Demokratie: „Meine Bücher stoßen hier in Deutschland auf zwei immer wiederkehrende Fragen. Die eine: wann ich endlich etwas über Deutschland schreibe. Die andere: weshalb ich über Deutschland schreibe. Diese zweite hält meine Sicht auf dieses Land für ‚falsch‘, weil sie mit der gewohnten Sicht nicht übereinstimmt. Das Fremde daran irritiert, man wittert die illegitime Einmischung. Die zweite Frage verweist mich ins Abgezirkelte: wo ich herkomme, darüber habe ich zu schreiben.“
Das ist ein Buch für Menschen, denen das Leben mehr als der gelebte Alltag in empfindbarer Gemütlichkeit und Sicherheit bedeutet, für Menschen, die sich dafür interessieren, wie Empfindsamkeiten in anderen – aus unserer heutigen westeuropäischen Sicht extremen – Umständen in Gedanken, Worten und Werken artikuliert werden. Dieses Buch wendet sich aber auch an Menschen, die aus der Diktatur kommen, eben wegen den gemeinsamen Erfahrungen, auch den unangenehmen und nicht gerne ausgesprochenen.
Wir haben doch kein Heimweh. Wir sind doch stark und pfeifen verächtlich auf diese unverbesserlichen Nostalgiker Oder … ja, ein bißchen Zurückdenken vielleicht. Sollten wir nicht wissen, wie uns geschieht, können wir bei Herta Müller nachlesen: „In Deutschland angekommen, gab es für mich zum ersten Mal eine Art Endgültigkeit. Die räumliche Entfernung zwischen den beiden Ländern, dachte ich, kann es nicht sein. Sie kann sich doch nicht so flach über den Schädel legen. ‚Heimweh‘ war mir verhaßt, ich weigerte mich, den Schmerz so zu benennen. Ich konnte das Wort immer von mir fernhalten. Den Zustand nicht.“
Man kann dieses Buch Zeile für Zeile auseinandernehmen und lernen, bestätigen oder auch ablehnen, je nachdem, ob man Außenstehender, Betroffener oder in gewissem Maße gar Mitschuldiger ist. (Es hat sie leider gegeben, die allzu strebsamen sozialistischen Menschen deutschen Zungenschlags in der rumänischen Diktatur.) Es ist eben die Zerlegbarkeit dieser Essays in schwer anfechtbare Details, die die euphorische Feststellung des FAZ-Feulletonisten Frank Schirrmacher glaubhaft klingen lässt: „Herta Müller zählt zu den glaubwürdigsten Schriftstellern der Gegenwart.“
Um diesen Nimbus zu erlangen, mußte die Schriftstellerin nicht nur die Diktatur, sondern auch ihren nicht immer leicht nachvollziehbaren Weg der Erzählung und des Romans verlassen und ihre Erfahrungen in der kunstvollen, aber noch verständlichen Sprache des Essays an die Öffentlichkeit tragen.
Mark
Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, 15. März 1998
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