Nikolaus Wolcz inszeniert in Ingolstadt
Ein Sommernachtstraum
von William Shakespeare
Ein
Sommernachtstraum, der Stoff, aus dem die Träume sind? Wohl doch
nicht, denn ich schlief danach tief und traumlos in den nächsten
Tag. Literaturwissenschaftler vermuten, daß ein Teil der
Inhaltsfäden, aus denen dieser Sommernachtstraum gewebt ist,
Ovids Verwandlungssagen (Metamorhoses)
entstammen. Der Mann, der diesen Traum jetzt auf die Bühne zauberte,
war Lehrling des großen Theatermeisters Liviu Ciulei. Er
studierte an der Theater- und Filmhochschule Ion Luca Caragiale
in Bukarest, unweit von Ovids Verbannungsort Tomis. Dieser
Bogen mag nun sehr flüchtig sein. Fakt ist, daß Nikolaus Wolcz
Shakespeares Sommernachtstraum im Theater Ingolstadt so
inszeniert hat, daß die dadurch hervorgerufene Sinnesanregung nicht
schon in der Theatertiefgarage verflogen war.
Spielzeiteröffnung
in Ingolstadt. Das heißt mehr als städtischer Kulturbetrieb mit
Sehen und Gesehenwerden. Das heißt Spielbeginn an einer der
erfolgreichsten Bühnen Deutschlands mit einer durchschnittlichen
Platzausnutzung von 89,25 Prozent in den drei Spielstätten (Großes
Haus, Studio, Werkstatt) und einem Abonnentenstamm von 6651
Theaterfreaks. Mit einem Kostenzuschuß von nur 42,07 DM pro Karte
aus dem Kulturfonds der Stadt hält dieses Theater einen einsamen
Spitzenrekord in Deutschland. - Das heißt auch Aktivitäten wie der
Ingolstädter Theater-Frühschoppen Sonntag um 11 Uhr im zum Stehcafé
umfunktionierten Foyer des Großen Hauses, eine Idee des Intendanten
Wolfram Krempel. Es gibt keine Bühne, keine andere,
künstliche Welt. Sie sind da im Theatercafé, ungeschminkt,
erreichbar, alle, die mit der bevorstehenden Premiere zu tun haben:
Schauspieler, Bühnenbildner, Intendant und natürlich der Regisseur.
Die Künstler bieten einen Vorgeschmack auf das Kommende, ganz
locker, oft noch mit dem Text in der Hand, nur so zum Appetitmachen,
und die Gestalter von Bühnenbild und Handlung erläutern ihre
Konzepte. Auch Nikolaus Wolcz hat das am 14. September 1997 im
Ingolstädter Theater-Frühschoppen getan.
Der
aus der Temeswarer Josefstadt stammende und heute an der Columbia
University New York lehrende Schauspieler und Regisseur, im wahrsten
Sinne des Wortes ein Weltenbummler auf den Bühnen vieler Metropolen
der westlichen Welt, wirkte fast schüchtern und strahlte eben darum
eine besondere Faszination aus. Der Träger des Bayerischen
Theaterpreises 1992 sprach von alchimistischen Vorgängen und
Shakespeares gelungenem Entwurf eines Kollektivraums. Da
fehlte es nicht an Denkanstößen, die die Besucher dieses
Frühschoppens mit in den Sonntag nahmen, und die Meßlatte für die
bevorstehende Premiere lag entsprechend hoch. Als dann am Abend der
Erstaufführung (19. September 1997) die Zuschauer ein in Hochform
agierendes Theaterensemble mit rhythmischem Applaus verabschiedeten,
waren sie der Faszination eines Zauberlehrlings erlegen, der eine
dreistündige Märchenwelt nach Shakespeares
Vorlage, in der Übersetzung von August Wilhelm Schlegel, auf
die Bretter, die die Welt bedeuten, gezaubert hatte. So nachsichtig
kann Schicksal sein! Obwohl dieser Zauberlehrling in den
politgeographischen und geistigen Grenzen einer Diktatur sein
Kunstgewerbe erlernte, blieb nichts von all dem Bösen an seinem
Genius haften.
Friedrich Schilha (Mitte) als Schneider Schlucker in der Wolcz-Inszenierung Ein Sommernachtstraum
Foto: Reinhard Dorn
FotoQuelle: KK
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Lebensfreude
von der ersten bis zur letzten Sekunde, voller erotischer
Glanzpunkte, beherrscht das nicht einfach zu entschlüsselnde
Geschehen in dieser Wolcz-Inszenierung. Theseus, Herzog von Athen,
bereitet seine Hochzeit mit der Amazonenkönigin Hippolyta vor. Ohne
Theateraufführung ist ein solches Fest im altertümlichen Athen
natürlich nicht vorstellbar. Sechs biedere Handwerker bereiten eine
Aufführung für die Hochzeitsgäste vor. Die Vorfreude auf das Fest
wird von einem Zwischenfall getrübt. Der Athener Bürger Egeus klagt
dem Herzog seiner Tochter Ungehorsam. Diese, Hermia, soll nach
väterlichem Wille Demetrius heiraten. Das Mädchen liebt aber
Lysander. Nach Athener Recht muß der Wille des Vaters gelten, oder
Hermia hat die Wahl zwischen Tod und Kloster. Die Liebenden flüchten
in den Wald, gefolgt von Hermias Freundin Helena und dem von ihr
vergötterten Demetrius.
Alles
ist in Bewegung. Das Schloß verwandelt sich in einen Märchenwald.
Die Natur übernimmt das Zepter. In einer fantastischen Traumwelt mit
sinnenbetörenden Elfentänzen verschmelzen die Liebes- und
Eifersuchtsszenen des Elfenkönigspaares Oberon und Titania mit den
Gefühlen der in ihrem Reich gestrandeten Menschenkinder. Selbst
Zettel, der Weber und Besserwisser aus der Handwerkergruppe, landet
in diesem Schmelztiegel der Seelenkonvulsionen. Puck, Oberons
Hofnarr, geistert durch das Zauberland und stiftet auf Geheiß seines
Herrn unheilvolles Durcheinander. Er verwandelt Zettel in einen Esel
und ergötzt sich an der blinden Liebe Titanias zu diesem Geschöpf.
Hermia erlebt verzweifelt, wie Demetrius und Lysander plötzlich um
ihre Freundin Helena, die bis dahin so glücklos Liebende, werben und
sogar die Degen kreuzen. Shakespeare läßt Puck die
Erleichterung verkünden: „Wenn wir Schatten euch mißfielen /
Denkt nur dies von unsren Spielen, / Daß euch hier ein Schlummer
hielt, / Als die Einbildung gespielt. / Daß die eitel dumm Geschicht
/ Nicht mehr wiegt als Traumgesicht.“
Der
Tag bricht an. Theseus begnadigt Hermia und genehmigt ihre Liebe zu
Lysander. Zettel ist wieder Zettel. Aber etwas ist von Pucks Spuck in
die Wirklichkeit eingedrungen; und es ist das Gute, das aus dem
Sommernachtstraum in das geordnete Tagesgeschehen fließt.
Demetrius entdeckt seine Liebe zu Helena, und nichts steht dem Fest
der drei Hochzeiten mehr im Wege. Die linkischen, gutherzigen
Handwerker spielen ihr Stück über die verbotene Liebe von Pyramos
und Thisbe. Szenenapplaus begleitet ihr Spiel. Wolcz parodiert
mit Mitteln des Stummfilms und läßt Shakespeares garndiose
Verse von sechs Chaplins rezitieren.
Im
Offenen endet die Begegnung des britannischen Genies mit dem Banater
Artisten, dem seine Landsleute Friedrich Schilha als
Regiemitarbeiter und Darsteller des Schneiders Schlucker sowie
Eleonore Schilha als Inspizientin zur Seite standen beim
Beweis, daß nichts so überregional ist wie die Phantasie.
Anton
Potche
aus KULTURPOLITISCHE
KORRESPONDENZ,
Bonn, 25. Oktober 1997
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