Roman über eine Banater Schwäbin
Gerda von Kries: Verena Enderlin, Wanderschaft und Heimkehr; Roman,
Herausgegeben von der Landsmannschaft der Banater Schwaben,
Kreisverband München, 1996, 320 S., DM 28,--; Bestellung:
Kreisverband München der Landsmannschaft der Banater Schwaben,
Sendlinger Straße 46/I, 80331 München
Soeben ist ein Mensch in mein Leben getreten, der mich wohl noch
lange begleiten wird. Eine Frauengestalt offenbart sich mir, die in
ihrer Einfachheit und unverfälschten Gefühlswelt in der Literatur
ihresgleichen sucht. Verena Enderlin erhebt sich aus einer Zeit, als
die Menschen noch weniger als heute wußten, wie ihnen geschieht. Sie
konnten die politischen Entscheidungen der Mächtigen nicht
nachvollziehen und kannten kein Mitbestimmung einforderndes
Aufbegehren. Ihre einzige Hoffnung lag in ihrem unerschütterlichen
Gottvertrauen, aus dem sie die Kraft für Schicksalsschläge
schöpften, denen wir „moderne“ Menschen heute kaum noch
gewachsen wären.
Man sucht nach dem Lesen des Romans Verena Enderlin von
Gerda von Kries unwillkürlich nach
vergleichbaren Romanfiguren, deren gescheiterte Entwurzelungsversuche
aus der heimatlichen Scholle schon immer als Begleiterscheinung
geschichtlicher Umwälzungen in Erscheinung traten, und stößt dabei
auf Namen wie Grigori Melechow aus Michael Scholochows Der
stille Don, Wang Lang aus Pearl S. Bucks (Nobelpreis 1938)
Die gute Erde oder auf Achim Moromete aus Marin Predas
Delirul (Delirium). Nun hängt es aber wesentlich davon
ab, ob der nach Vergleichen Suchende aus rein literarischem und /
oder geschichtlichem Interesse Bücherregale durchstöbert, oder ob
er bereits zu irgendeinem der Gestalten ganz unbewußt eine
emotionale Beziehung aufgebaut hat. Wenn ihm dies widerfahren ist,
wird er von dem Schicksal seines Helden so erschüttert sein, daß
jeder angestrebte – womöglich auch noch objektive – Vergleich
zum Scheitern verurteilt ist. In den Vordergrund rückt die
Einzigartigkeit der vom Leser verinnerlichten Romanfigur, die man
liebt oder haßt, mit der man leidet und sich freut …
Sich freut? Mit Verena Enderlin kann man sich wenig freuen. Ihr Leben
war eine Passion und die unergründbarsten Tiefen ihres Leidens sind
eine Kurzfassung unseres donauschwäbischen Werdens und Vergehens.
Die Frau aus dem malerischen Schwarzwald an der Schweizer Grenze ist
mit Mann und Kindern zur Zeit Maria Theresias ins ferne Banat
aufgebrochen, um ein menschenwürdigeres, vom Bettelstab unabhängiges
und von der Arbeit der eigenen Hände gestaltetes Leben zu führen.
Sie ist gescheitert.
„Umsonst?“ lautet die Überschrift des 21. Kapitels. Nein, können
wir heute sagen, denn wir sind. Aber Freude empfinden wir ebenso
wenig wie Verena Enderlin. Das materielle Werk unserer Väter ist
bereits mit einer anderen Farbe übertüncht und ihr geistiges Erbe
erleichtert lediglich unser augenblickliches Identitätsempfinden,
das unschwer im 22sten, und letzten, Kapitel dieses Romans
nachzuvollziehen ist: „Die Heimkehr“.
Da sind die Augen längst feucht. Und was sich dann entlädt, kann
nur Heimweh sein, das so hartnäckig in uns wurzelnde und nur
oberflächlich verdrängbare Gefühl. Aber das ist ja nur ein Roman,
tröstet man sich zum Schluß, um dann im Nachwort erschüttert zu
erfahren, daß Gerda von Kries (1901 – 1973) Dichtung und
Wahrheit sehr eng miteinander verknüpft hat.
Nun lege ich den Bleistift hin, ohne die bereits im Ansatz zum
Mißraten verurteilte Rezension überhaupt richtig begonnen zu haben.
Was müßte denn da drin stehen? Vielleicht etwas von
Sentimentalität, von zum Glück nur wenigen Sätzen, die in ein
Geschichtsbuch gehören, vom bedauerlichen Fehlen einer ISBN-Nummer,
von … Alles verblassende Nebensächlichkeiten neben der heroischen
Frau aus dem Hotzenwald, die, dank dem mit offenen Augen und Ohren
immer wieder durch die deutschen Lande reisenden Banater Schwabe
Franz Andor, dem Vergessen entrissen und unserem Gemüt
zugeführt wurde.
Mark Jahr
aus DER
DONAUSCHWABE, Aalen, 22. Juni 1997
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen