Dienstag, 25. Juni 2019

Ein aufschlußreicher Blick in die Vergangenheit

Zur Neuerscheinung von Franz Urban: „Die deutsche Besiedlung der Banater Großgemeinde Jahrmarkt – Jarmatha - in den Akten des Hofkammerarchivs Wien“
Prof. Nikolaus Engelmann zitiert in der ADZ-Beilage BANATER ZEITUNG vom 20. November 1996 in einem hervorragenden biographischen Porträt des Prälaten Josef Nischbach den Banatia-Absolventen Franz Urban wie folgt: „Basierend auf einer rigorosen, manchmal gar zelotenhaft anmutenden Religiosität und, nach der Madjarisierung verständlich, erfüllt von überschäumenden nationalen Idealen, war die Banatia eine Bastion deutscher Pädagogen schlechthin und damit ein Hort donauschwäbischen Selbstbewußtseins.“
Diesem „donauschwäbischen Selbstbewußtsein“ ist es wahrscheinlich zuzuschreiben, daß Franz Urban seinem unwiderstehlichen Forscherdrang erlag und sich auf die äußerst zeitraubende, aber auch unbeschreiblich faszinierende Vergangenheitsreise durch die Akten des Wiener Hofkammerarchivs begab. Was dabei herauskam, ist nicht nur für die Jahrmarkter interessant – für die birgt der Inhalt der alten Schriftstücke sogar Stoff von geschichtlicher Brisanz -, sondern es kann vielmehr jeden Banater Schwaben in seinen Bann ziehen.
Oberstudienrat Prof. i. R. Franz Urban (Seitenstetten / Niederösterreich) hat in der pietätvollen Stille der Aktenregale 45 Dokumente entdeckt, die in den Jahren 1760 bis 1770 in Wien und Temeswar niedergeschrieben wurden, und in Transkription (lautgerechte Übertragung in eine andere Schrift) in einem broschierten Band (A4) als drittes Jahrmarkter Heimatblatt veröffentlicht.
Man stelle sich zwei Aktenbündel vor. Das erste umfaßt Verheissungen und Conditiones, Flugblätter, das Kolonisationspatent Maria Theresias, Berichte, ein „Gemeinschaftliches Protokolum“, Pläne und Ansiedlungskosten, die alle die sozialpolitische Problematik des zweiten Schwabenzuges widerspiegeln. Wer sich Zeile für Zeile in die Schriftstücke vertieft und die „barocke Kanzleisprache“ (so Hans Frombach in „Zum Geleit“) zu entschlüsseln beginnt, wird eine ergreifende Reise zu den Wurzeln unseres Seins als jüngster deutscher Volksstamm erleben. Für ihn/sie wird sich der Schleier der Verklärung, der sich über die Jahrhunderte vor unser Geschichtsempfinden geschoben hat, allmählich lüften, und ein mühsames, von viel menschlichem Leid gezeichnetes Kolonisationswerk zum Zweck der deutschen Besiedlung „des Banats …, als jene dermahl mit Walachen besetzte Gegénd zwischen der Maros, und Temesvar, in dem Lippaer und Temesvarer District“ kann sich ihm/ihr öffnen. Einblicke gewähren uns einen Überblick, lassen uns den Hauch der großen Geschichte fühlen, offenbaren uns aber auch die Bedeutungslosigkeit des Einzelnen, jeweils unseres Ahnen. Und trotzdem verfällt man immer wieder der Versuchung, dieser Unscheinbarkeit einen Sinn im kontinentalen Machtgerangel beizumessen. So gewöhnt man sich ganz unbemerkt an eine Amtssprache, mit der unsere Vorfahren bestimmt weniger anfangen konnten als wir heute.
Wie eine Offenbarung liegt dann das erste Schriftstück des zweiten Aktenbündels vor uns, in dem Die Gemeinde ‚Jarmatha‘ im Spiegelbild der Sitzungsprotokolle der Temesvarer Landes-Administration auftaucht. In einer leicht verständlichen, bereits auf eine literarische Zeitenwende zusstrebende Sprache – der achtzehnjährige Goethe feilte in Leipzig schon an seinen ersten Versen – dürfen wir uns eine Beschreibung der banatischen ‚Ansiedlungs-Örter‘, Anno 1761, Jarmatha zu Gemüte führen. Dabei kommen wir leider nicht an der Frage vorbei: Begann die zweite deutsche Besiedlungsperiode Jahrmarkts mit einer Vertreibung?
„Zu dem alten Deutschen aus 62 Häusern bestehenden Dorf Jarmatha, nachdeme die daselbst gewesene Raitzen vor 3 Jahren weggeschoben waren, sind 238 neue Familien hinzugesetzt worden, …“, ist obigem Schriftstück aus der Handschriftsammlung, von Kempelen, Wiener Hofkammerarchiv, 10. Februar 1768 zu entnehmen. Wie gewichtig mag das Wort „weggeschoben“ sein? Viele andere Akten deuten auf die Problematik dieses Vorganges hin und lassen erkennen, daß selbst eine mit Entschädigungen versüßte Zwangsumsiedlung Unrecht war und bleibt.
So mancher von uns war schockiert, als ihm hier in Deutschland bewußt wurde, daß er als Aussiedler zwar geduldet, aber nicht unbedingt willkommen war. So ähnlich erging es schon unseren Vorfahren, als sie im Banat eine neue Heimat suchten. Sie wurden als „Colonisten“ des zweiten Schwabenzuges von den bereits heimisch gewordenen Siedlern des ersten Schwabenzuges nicht gerade mit offenen Armen empfangen. In einem Faszikel aus dem Jahre 1768 hat Franz Urban diesbezüglich einen aufschlußreichen Bericht gefunden.
„Die Jarmathaer neue Colonisten Gemeinde de praes: 3ten July bittet, weilen sie mit denen auch dasigen alten Innwohnern immer hin in Zanck und Streit leben …“, die „Temesvarer Landes-Administration“, ihr einen eigenen Schultheiß (Richter) zu genehmigen.
Die bewegendsten Akten bleiben aber doch die, aus denen nicht nur die Historiker, sondern vor allem auch der geschichtsbewußte Laie Aufschlüsse über die Alltagsschwierigkeiten der „Supplicanten“ (Bittsteller) bekommt. Diese Einzelschicksale verleihen der vorliegenden „Quellenedition“ eine eigene Dynamik, die den Leser wie beim Verinnerlichen einer spannenden Romanhandlung fesselt.
Es ist Dank, den man empfindet, wenn man dieses Buch zum ersten Mal gelesen hat, Dank dem Verfasser und seinem im Vorwort gewürdigten Mitarbeiter- und Herausgeberteam. Aber auch Neidgefühle will ich nicht leugnen, wenn ich nochmal die vier Handschriftenreproduktionen, die von den Herausgebern (HOG-Jahrmarkt) in das Buch aufgenommen wurden, betrachte. Sie zu lesen und verstehen können, muß einen geistigen Reichtum darstellen, der jedes Surfen im Internet in den Schatten stellt.

Anton Potche

Franz Urban: Die deutsche Besiedlung der Banater Großgemeinde Jahrmarkt – Jarmatha – in den Banater Akten des Hofkammerarchivs Wien, HOG Jahrmarkt, 1996, Preis 20 DM; Bestellung: http://www.jahrmarkt-banat.de/Publikationen.html

aus BANATER POST, München, 20.02.1997


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