Ein Kapitel Jahrmarkter Ortsgeschichte
„Niklos, de Finef-Uhr-Zugg kummt. Kumm hinner die Beem, daß
die Zuggleit uns net siehn.“
Dabei hatte weder Niklos
(Nikolaus Potche) noch Phit (Peter Oberle), der Mann, der zu dieser Vorsichtsmaßnahme mahnte,
irgendeinen Grund sich zu verstecken. Im Gegenteil, sie gehören zu den
Standhaften, die eine Idee bis zu ihrer Gestaltung verfolgten, und der es zu
verdanken ist, daß Jahrmarkt einen der schönsten Dorfstrände Rumäniens hatte.
Als 1965 Ceaușescu
an die Macht kam, war der später berüchtigte Diktator erstmals „mit der
Konsolidierung seiner Macht beschäftigt und ließ Rumänien weitgehend in Ruhe.
Daraus erwuchsen einige wenige glückliche Jahre. Die Kultur blühte auf.
Stalinistische und oft prosowjetische Funktionäre wurden alle mit der Keule des
neuen rumänischen Nationalismus aus ihren Ämtern verjagt. Mit diesem etwas
bizarren Nationalismus hat sich Rumänien zweifellos ideologisch von Moskau
entfernt, wenn auch nicht Lichtjahre weit. Genug allerdings, dass der Westen
sofort zur wenig fundierten Ansicht gelangte, Rumänien sei der liberalste Staat
Osteuropas.“
Diese von Dr. Malte
Olschewski in seinem Buch Der
Conducator – Phänomen der Macht festgehaltene Stimmung spürten auch die Banater
Schwaben in ihren weitgehend noch intakten Dorfgemeinschaften, und es gibt ein leuchtendes
Beispiel dafür, daß sich in jener Zeit sogar ungewöhnliche kommunalpolitische
Projekte in den banatschwäbischen Dörfern durchführen ließen. Daß man natürlich
alle dem Kommunismus eigenen „Werte“ kennen und auch geschickt und
risikofreudig für das Wohl der Dorfgemeinschaft einsetzen musste, war wohl das
Schwierigste für die von – heute kaum noch nachvollziehbarem – Idealismus angetriebenen
Gestalter banat-deutscher Kulturgüter.
In Jahrmarkt gibt es seit 1962 eine Tischlerei, die in ihren
ersten zwei Jahrzehnten mit einer überwiegend deutschen Belegschaft gearbeitet
hat. Es muß um 1968 gewesen sein, als in diesem Unternehmen die Idee reifte, in
den „Kotstoonlecher“ eine Freibad- und Sportanlage zu errichten. Peter Oberle, der damalige
Betriebsleiter und Promotor dieses für viele unrealisierbaren
Luftschloßprojekts, sagt heute zum Impuls der ursprünglichen Überlegungen: „Ich
hun halt immer versucht, unser Kinn im Dorf zu halle, dass se net sunntachs aah
noch in die Stadt fahre.“ Die große Stadt. In ihr lauerten die Gefahren, die
unsere Selbstwertgefühle gefährden konnten. Die kleinen, überschaubaren Räume
sollten sich damals wie heute leichter zu einem Hort heimatlichen Bewusstseins
entfalten; eine fast prophetische Gedankenverbindung, wenn man heute sieht, wie
traditionelle Werte auf dem Altar einer falsch verstandenen multikulturellen
Gesellschaft geopfert werden.
Ideen sind Schöpfungen der Begeisterung und schenken ihren
Müttern und Vätern vorfreudige Erregungen. Die Ernüchterungen kommen aber meist
schon beim zielstrebigen Planen und spätestens beim Umsetzen ins Anschau- und Greifbare.
Umso schwieriger hatten es die Jahrmarkter Tischler mit ihrer Idee, wollten sie
diese doch in einem – trotz allem Liberalisierungsschein – immerhin
kommunistischen Staat, in dem Mitdenken von unten verpönt war, verwirklichen.
Peter Oberle und
seine Mannen griffen an, und zwar richtig planstabsmäßig. Zu den aktivsten
Mitarbeitern in diesem vielköpfigen Planungs- und Durchführungsstab zählten
schon bald der Bautechniker Adam
Kernleitner und der vom Zimmermann zum Tischler konvertierte Nikolaus Potche.
Die erste Hürde stand für die beherzten Männer im
Jahrmarkter „Sfat popular“ (Volksrat), heute Gemeinderat. Die Mitglieder dieses
Gremiums mussten vom Sinn und der Realisierbarkeit des Vorhabens überzeugt
werden. Peter Oberle erinnert sich:
„Das war schon darum schwer, weil ich kein Parteimitglied war.“ Der Antrag
wurde wegen Geldmangel und anderen als wichtiger eingestuften Gemeindeprojekten
abgeschmettert.
Aufgeben? Von wegen! Eine Niederlage in einen Teilerfolg
ummünzen, das ist Optimismus, und den hatten die Männer mit der Strandidee. Das
Thema Strand war Dorfgespräch. Der Augenblick musste genutzt werden. Erich Tassinger fertigte ein Holzmodell
der gesamten Anlage an, die zusammen mit einem von Adam Kernleitner gezeichneten Plan in der „Autoservire“
(Selbstbedienungsladen) neben der Apotheke ausgestellt wurde. Nach etwa einem
Monat war in der Dorfbevölkerung eine positive Haltung für das Projekt zu
erkennen.
Der Volksrat reagierte und brachte das Thema erneut auf die
Tagesordnung. In einer stürmisch verlaufenen Sitzung schlug Ingenieur Jakob Bild vor, das Bauvorhaben mit
freiwilligen Geldbeiträgen der Bürger zu finanzieren.
Der damalige Volksratsvorsitzende (Bürgermeister) Josef Wagner stellte sich hinter Oberles Vorstellung einer
Bürgerbefragung. Uff, kann man da aus heutiger Sicht nur sagen. Beide Vorschläge
passierten das Gremium und ein Stück Demokratie in einem kommunistischen Land
wurde verwirklicht. Die große Mehrheit der Jahrmarkter Bevölkerung sprach sich
für den Strand und eine finanzielle Beteiligung von 100 Lei pro Familie aus.
Etwa 100.000 Lei standen so für den Baubeginn zur Verfügung. Nikolaus Pannert, der Kassier des
Volksrates, war für die Einsammlung und Buchführung des Geldes zuständig.
Wichtig war, daß auch der Vorsitzende des Staatlichen
Landwirtschaftsbetriebs (SLB) Nicolae
Dogariu für das Projekt gewonnen werden konnte. Aber das Schönste war wohl,
daß Peter Oberle, Adam Kernleitner und Nikolaus Potche sich bei ihren
Vermessungsarbeiten in den „Kotstoonlecher“ nicht mehr vor den spöttischen
Blicken der Gegner verstecken mußten.
Man konnte mit den Arbeiten beginnen. Die Zahl der
freiwilligen Mitarbeiter stieg. Fast zwei Jahre lang leistete die Mehrheit der
Jahrmarkter Bürger ihre sowieso staatlich verordnete „prestația“
(Arbeitsleistung) für die Gemeinde hier ab.
Daß es beim Strandbau auch oft mit illegalen Mitteln zuging,
kann man bloß aus heutiger Sicht behaupten. Damals hieß es, alles Machbare für
das Projekt ist für das Wohl der Gemeinschaft.
Nikolaus Potche
besorgte die Schaltafeln und -bretter für das Becken und die Gebäude (Toiletten
und Umkleideräume). Dieses wieder verwertbare Baumaterial wurde auf Leihbasis
zur Verfügung gestellt. Das Geschäft fußte auf gegenseitigem Vertrauen und
wurde per Handschlag mit dem Bauleiter einer Temeswarer Baufirma in die Wege
geleitet. Die Tischlerei stellte während der Arbeitszeit Leute für den Strand
frei. Auch die dem SLB eingegliederten technischen Einheiten im Dorf waren
diesbezüglich nicht kleinlich. Fehlte es mal an Baugeräten, ließ Tierarzt Peter Stefan seine Beziehungen spielen,
und ging der Treibstoff aus, war Petricică
der richtige Ansprechpartner.
Zum Schluß gab es am Jahrmarkter Strandbau kaum noch
Unbeteiligte. Auch die Schulkinder halfen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Die
Lehrer Hans Speck und Josef Schäffer hatten die Bedeutung des
Projekts für die Dorfgemeinschaft von aller Anfang an erkannt.
Viele persönliche Opfer ließen eine gewaltige Baustelle
gedeihen. „Ich hun selmols mei Urlab am Strand verbrung; awwer net beim Bade,
norr beim Inschalle, Betoneere un Ausschalle“, erzählt Nikolaus Potche von der damaligen Aufbruchstimmung.
Jahrmarkter Strand im Jahre 1980 |
Biotop am Jahrmarkter Strand, 1970 |
Die Idylle war leider von kurzer Dauer. Eine
Kapitelüberschrift in Ion Mihai Pacepas
Buch Red Horizons (Rote Horizonte),
Washington 1987, lautet: „Die besten Exportgüter – das Rohöl, die Juden, die
Deutschen.“ Der gewesene Generalleutnant und Geheimdienstchef Ceaușescus mußte es ja wissen.
Die Jahrmarkter Banater Schwaben kannten, wie alle ihre
deutschen Landsleute in Rumänien, damals ihren besonderen Marktwert für das
größenwahnsinnige Diktatorenehepaar noch nicht, sonst würde es „ihren“ Strand
heute bestimmt nicht geben. Sie sollten ihrem Werk trotz allem nicht den
Stempel des Vergeblichen aufdrücken, denn zivilisatorische Leistungen erfahren
oft ihre wahre Anerkennung erst lange nach ihrem Erbringen.
Diese Zeit muß in Rumänien anscheinend erst reifen, denn
glaubt man einem Artikel der Temeswarer Zeitung RENAȘTEREA BĂNĂȚEANĂ vom 20.
Juli 1991, so war es um die Pflege der Anlage nach der Aussiedlung der
Deutschen aus Jahrmarkt schlecht bestellt. Die Zeiten der „Stranddirektoren“ Johann Weber und Barbara & Johann
Zimmermann sind halt längst vorbei. Barbara
Zimmermann erklärte der Zeitung: „Gut, dass Sie gekommen sind. Haben Sie
gesehen, wie der Strand aussieht? Schande! Mir tut das Herz weh, wenn ich das
sehe. Zehn Jahre haben wir dort gearbeitet, und der Strand war immer rein und
die Leute waren gut betreut. Jemand wollte den Strand kaufen, aber das Volk war
nicht einverstanden. Es hat gesagt, der Strand gehört dem Volk.“
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. Oktober 1996
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