Dienstag, 17. April 2018

Jahrmarkt heute

Aus dem Leben der deutschen Einwohner einer Banater Gemeinde
Die tiefe sozialpolitische Wandlung, die im Laufe der letzten Jahre im Leben der werktätigen deutschen Landbevölkerung im Banat vor sich gegangen ist, kann am Beispiel der am Rande der „Hecke“ und wenige Kilometer von Temesvar entfernt gelegenen Gemeinde Jahrmarkt besonders klar erkannt werden. Der weitaus überwiegende Teil der deutschen Einwohner Jahrmarkts hat den Weg zum sozialistischen Sektor unserer Wirtschaft gefunden und arbeitet zum Teil in den Industrie– und Bauunternehmungen Temesvars und zum anderen Teil als Mitglieder der Kollektivwirtschaft und auf dem Staatsgut. Wie in allen Dörfern des Banats hat in Jahrmarkt auch für die deutsche werktätige Bevölkerung ein neues Leben begonnen, ein Leben voll freien und glücklichen Schaffens, ein Leben, das vor allem die Perspektiven einer bejahenswerten, hellen und frohen Zukunft erschließt. Die werktätigen Deutschen von Jahrmarkt haben in der Vergangenheit die Not und die Mühsal eines Lebens in Ausbeutung zur Genüge kennen gelernt. Schon allein die Tatsache, daß früher etwa drei Fünftel der deutschen Dorfbewohner ohne Landbesitz waren und als Maurer,  Zimmerleute, Fabriksarbeiter und Tagelöhner in verschiedener Herren Dienst ihr Leben fristen mußten, daß außerdem von den restlichen zwei Fünftel der überwiegende Teil Klein- oder Mittelbauern waren, geben den wirtschaftlichen Hintergrund für das Leben, das die Menschen führen mußten. 
Heute fahren nahezu 3000 deutsche Jahrmarkter Einwohner täglich in die Stadt zur Arbeit. Wie früher arbeiten Jahrmarkter Männer und Frauen, Burschen und Mädchen – allerdings in einer weitaus größeren Zahl – an den verschiedensten Baustellen der Stadt und deren Umgebung. Doch heute arbeiten sie nicht mehr im Dienste des Bauherren X oder Y, sondern die Bauten, die unter ihren fleißigen Händen entstehen, gehören dem werktätigen Volke, sind Bauten einer glücklichen Zukunft. Jahrmarkt, das den Beinamen der „Gemeinde der Maurer und Zimmerleute“ trug und jetzt noch trägt, ist heute die Gemeinde der Maurer und Zimmerleute, die frei und zielbewußt am Bau des Sozialismus schaffen. Mit den Maurern und Zimmerleuten ziehen täglich hunderte deutsche Frauen und Mädchen in die Stadt, vor allem in die dortigen Textil- und Trigotagefabriken. Sie arbeiten unter Einsatz aller Kräfte für die Erfüllung der Planaufgaben und erzielen Täglich hohe Normüberschreitungen. In der Jahrmarkter Kollektivwirtschaft schaffen über 80 deutsche Familien Seite an Seite mit ihren rumänischen und ungarischen Genossen für das Erstarken ihrer Wirtschaft, für eine bessere Zukunft ihrer Kinder. Und ebenfalls groß ist die Zahl derer, die sich als Arbeiter und Angestellte, der Staatswirtschaft für das Aufblühen der neuen sozialistischen Landwirtschaft einsetzen.
Es ist noch lange vor der sechsten Morgenstunde. Auf dem Jahrmarkter Bahnhof sind schon hunderte Männer und Frauen, Burschen und Mädchen versammelt, die auf den Frühzug warten, der sie in die Stadt zur Arbeit bringen soll; die einen zu den verschiedenen Baustellen des Bauunternehmens Sovromconstrucție, und die anderen in die Fabriken. Lachen und fröhliche Worte fliegen zwischen den einzelnen Gruppen hin und her. Die letzten Ereignisse aus dem Leben des Dorfes und der Arbeitsstelle werden hier besprochen und mit frohen und heiteren Redewendungen kommentiert. Auf diese Weise verbringen sie die Zeit des müßigen Wartens auf den Zug; aus allem aber, was hier gesprochen und gesagt wird, tritt die gesunde und lebensbejahende Haltung dieser Menschen zu Tage, eine Haltung, die eben durch das neue Leben, das sie mit ihren eigenen Augen emporwachsen sehen, das sie täglich erleben, bedingt ist.
Zu diesen nahezu dreitausend deutschen Einwohnern in Jahrmarkt, die täglich in die Stadt zur Arbeit fahren, gehört auch Gertrude Jauch. Schon seit zwanzig Jahren legt sie täglich den gleichen Weg zurück. Seit zwanzig Jahren schon arbeitet sie in der Trikotagewarenfabrik Ocsko Terezia. Wie sie uns aber selbst sagte, hat ihr Leben erst in den letzten Jahren, seitdem der Betrieb, in dem sie einst für den Fabriksherrn schuften musste, volkseigen, also auch ihr eigener Betrieb geworden ist, einen richtigen Sinn und Zweck bekommen. Als Mitglied der Partei, der sie nun schon seit einigen Jahren angehört, geht sie bewußt unter Einsatz ihrer ganzen Arbeitskraft den Weg, der unserem Land ein besseres Morgen bringt. Wenn Gertrude Jauch an ihren 13jährigen Sohn denkt, der in diesem Jahr die Elementarschule absolviert, und dem jetzt die Tore in höhere Lehranstalten, zu unentgeltlicher und vielseitiger beruflicher Weiterbildung offen stehen, dann weiß sie, wofür sie kämpft und arbeitet, dann scheint ihr ihre Arbeitsleistung – eine tägliche durchschnittliche Normüberschreitung von 45-50%  - zu gering. Sie selbst und ihr verstorbener Mann hätten dem Jungen aus eigenen Kräften die Tore in ein freies und schönes Leben niemals so weit öffnen können, wie sie ihm heute offen stehen.
Im selben Betrieb sprachen wir auch mit Katharina Rosar. Erst seit zwei Jahren – seit sie aus der Sowjetunion nach Hause gekommen ist – arbeitet sie hier, und trotzdem erreicht sie an ihrer Strickmaschine eine durchschnittliche Normüberschreitung von 80-90%. Katharina Rosar ist die Tochter armer Tagelöhner aus Jahrmarkt, die früher in harter Arbeit und um kargen Lohn bei den Großbauern oder auf den Baustellen ihr Leben fristen mußten. Auch sie hat als junges Mädchen dieses Leben, leider in vollen Zügen, kosten müssen. In der Sowjetunion aber, während der fünf Jahre, die sie dort verbrachte, lernte sie etwas Neues, etwas völlig Anderes kennen. Nicht, daß sie dort von aller Anfang an ein Leben in Reichtum und Wohlversorgtheit hätte führen können. Nein, das nicht. Die Nachkriegsjahre waren schwer und entbehrungsreich. Erst später begannen die Menschen immer besser zu leben – erzählt sie uns - aber sie hat dort Menschen gesehen und kennengelernt; junge Menschen, die das Wort Ausbeutung nur vom Hörensagen kennen, und die sich dessen bewußt sind, daß der Ertrag ihrer Arbeit ihnen und der Gemeinschaft, in der sie leben, zugute kommt. Und sie sah diese Menschen aus diesem Bewußtsein heraus arbeiten und schaffen. Sie arbeitete mit ihnen Schulter an Schulter, sie sah, wie aus diesem einigen Schaffen heraus die größten Schwierigkeiten überwunden wurden, wie das Zerstörte schnell und sicher wieder aufgebaut wurde, sah, wie ein Land und seine Menschen aussehen, in dem die bestehende Ordnung Sozialismus heißt. Wenn Katharina Rosar heute an ihrer Spinnmaschine steht und arbeitet, dann weiß sie, daß die Menschen um sie herum einst auch so einig, so zielbewußt und so glücklich leben werden wie die Sowjetmenschen, und sie weiß, daß das Glück unserer Heimat mit diesem Zielbewußtsein Hand in Hand geht. In diesem Sinne arbeitet und schafft sie.

In diesen Junitagen herrscht eine eigenartige Stimmung in der Heckegemeinde Jahrmarkt. Es ist diese alljährlich vor der großen Ernteschlacht wiederkehrende Stimmung, die man Stille vor dem Sturm nennen möchte. Nicht, daß man jetzt nicht arbeiten würde. Nein. Nach außen hin geht alles seinen gewohnten Gang, nur herrscht ein teils gewolltes, teils natürliches Entspanntsein in den Menschen, verbunden mit dem Gefühl des Wartens, der Vorbereitung auf das größte Ereignis im Arbeitsjahr des Bauern: die Ernte. Nun sollte der Boden die Früchte eines Arbeitsjahres hergeben. Nun sollte die Erde die Körner, die man ihrem Schoße anvertraut hat, die Mühe und den Schweiß, mit denen die Saat gedüngt wurde, vielfach vergelten. Bei den Kollektivbauern herrschte diese Stimmung in erhöhtem Maße vor. Sie haben ihren Boden in einiger und gemeinsamer Arbeit bestellt, und nun sollen sie den Ertrag dieses gemeinschaftlichen Schaffens heimführen, der ihren Wohlstand mehren, ihr Leben schöner und leichter gestalten, und ein neuer Sieg des Gedankens der kollektiven Bodenbearbeitung sein wird.
Zeichnung zum Artikel - ohne Signatur
Es war an einem der letzten Sonntage in diesem Monat. Heute war Festtag bei den Kollektivbauern von Jahrmarkt. Heute wollten sie den zweiten Gründungstag ihrer Kollektivwirtschaft feiern. Früh am Nachmittag schon herrschte reges Treiben in der Kollektivwirtschaft. Hier wurde in zwei Kesseln das gemeinsame Festessen gekocht, dort errichteten die Männer und Burschen die Bühne, auf der die Kulturgruppe einer Militäreinheit ihr Programm geben sollte. Mit diesen Vorbereitungen, mit dem Kulturprogramm, mit dem gemeinschaftlichen Abendessen verging der Nachmittag, bis dann endlich die Bläserkapelle der Kollektivwirtschaft zu dem schon lange erwarteten Tanz aufspielte. Und nun brach sich eine heitere und frohe Ausgelassenheit Bahn. Die Einigkeit, die unter den rumänischen, deutschen und ungarischen Mitgliedern der Kollektivwirtschaft bei der Arbeit vorherrscht, kam auch hier klar zum Ausdruck. Unter Lachen und Jauchzen drehen sich die Paare nach den Weisen einer Polka oder eines Walzers, eines Tschardasch oder einer Sârba, bis sich dann ganz unwillkürlich in der Mitte des Hofes ein Kreis bildete; rumänische, deutsche und ungarische Kollektivbauern umschlangen sich brüderlich und tanzten bald eine Sârba, bald einen Tschardasch oder eine Polka. „Einig in der Arbeit und einig beim Frohsinn“ – rief ein rumänischer Kollektivbauer begeistert aus und warf mit einem lauten Jauchzer seine Mütze in die Luft. Und ein Deutscher bewegte bei der Sârba die Beine so flink, dass er seine gestrickten Pantoffeln verlor und sie nachher im Hofe auflesen mußte.
Etwas abseits von dem lustigen Treiben steht ein großer, hagerer Mann. Er mag wohl schon gut in den Vierzig sein, der deutsche Kollektivbauer Jakob Pollak. „Warum tanzt Ihr nicht, Vetter Jakob?“, fragt ihn einer. „Lass nur, das Tanzen ist nicht mehr für meine alten Knochen.“ Wenn Jakob Pollak so auf das lustige und ausgelassene Treiben sieht, das sich vor seinen Augen abspielt, dann steigt ein starkes und frohes Gefühl in ihm hoch. „Das ist eine gute Stimmung, so lässt sichs arbeiten“, sagte er bei sich. Jakob Pollak war einer der ersten aus dem Dorfe, die der Kollektivwirtschaft beigetreten sind. Im vergangenen Jahr ging die Wirtschaft schlecht. Es waren zu wenig Arbeitskräfte vorhanden, und auch viele der Mitglieder kamen nur sehr unregelmäßig oder fast gar nicht zur Arbeit. Doch in diesem Winter wurden die nötigen organisatorischen Maßnahmen getroffen, um den Gang der Wirtschaft zu verbessern, neue Mitglieder wurden aufgenommen, und es kam viel mehr Schwung in die Arbeit. Und nun ging sie. Er war froh und stolz darüber, daß er auch seinen redlichen Teil dazu beigetragen hatte. Während der Wintermonate verging fast kein Abend, an dem nicht irgend einer zu ihm gekommen wäre, der beitreten wollte, um ihn um Rat zu fragen. Und Jakob Pollak erzählte ihnen bereitwillig von der Wirtschaft, erklärte ihnen, dass eine Kollektivwirtschaft ja gar nicht schlecht gehen könne, wenn alle Mitglieder die Arbeit entschlossen anpacken. Viele neue Mitglieder traten der Wirtschaft bei, und in diesem Jahr „ging die Wirtschaft“.
Vetter Jakob, wo wird morgen gearbeitet?“ fragt ihn eine junge Frau, ein Mitglied der Gartenbaubrigade, deren Leiter er ist, noch etwas atemlos von der raschen Polka, die sie eben getanzt hat. „Bei den Paradeis“, antwortet ihr der Brigadier. „Wenn es nur regnen würde“, meint die Kollektivbäuerin besorgt. Dann sagt sie ihm schalkhaft: „Vetter Jakob, warum redet ihr nicht mit dem heiligen Petrus, daß er Regen schickt?“ Der andere antwortet ihr trocken: „Wir reden nicht, wir gießen lieber. Aber lass nur, es wird schon gut gehen.“
Der Schmiedemeister der Staatswirtschaft, Wilhelm Hoffmann, steht mit angekrempelten Ärmeln an der Esse. Mit dem rechten Fuß tritt er den Blasebalg, während er ein Hufeisen im Feuer hält. Breit und kräftig steht er da, mit vorgebundener Lederschürze und schweißnassem Hemd. Von früh bis spät hört man ihn in seiner Schmiede hämmern. Er gehört zu den besten Arbeitern des Staatsgutes. Seine Normüberschreitungen liegen stets über 40%. „Ja, Arbeit gibt’s bei uns genug“, sagt Meister Hoffmann, „besonders jetzt vor der Erntezeit. Aber auch sonst habe ich noch zu tun. Als Mitglied des Büros unserer Parteigrundorganisation muss ich auch politische Arbeit leisten. Aber was getan werden muss, wird eben getan, wenn es auch schwer geht mit den alten Gliedern und dem alten Kopf. So sind wir halt…“ Er brach mitten im Satz ab und es war, als wollte er noch sagen: „Wenn auch die Glieder und der Kopf alt sind, die Hauptsache, das Herz ist jung und weiß wofür es schlägt. Das ersetzt alles.“ Als Handwerker hatte Wilhelm Hoffmann auch früher wovon zu leben, so recht und schlecht zwar, aber es ging. Dennoch floß das Leben für ihn wie ein grauer, zäher Brei dahin, ausweg- und aussichtslos, ohne Ziel und Zweck. Heute aber ist Wilhelm Hoffmann ein freier Mensch, der das Wissen in sich trägt, daß in unserem Lande das Leben für die Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben, immer schöner wird.
Sein Sohn wird nun bald die Mittelschule absolvieren, und dann will er Medizin studieren und Arzt werden. Seinen Sohn als Arzt zu sehen, das hätte Wilhelm Hoffmann früher nicht einmal zu träumen gewagt.
Ein Junge bringt die Zeitung. Der Schmiedemeister schlägt sie auf: „Gegen das Treiben der Hitler-Schwaben in Österreich“, liest er mit lauter Stimme. „Unsere Führer“, ruft er mit einer ironischen Betonung des zweiten Wortes aus. „Führt euch nur selbst ins Unglück; uns kriegt Ihr diesmal nimmer dran. Wir haben genug von euch.“
Auf dem Jahrmarkter Parkplatz hält die deutsche und die rumänische Elementarschule ihre Jahresschlußfeier. Wie in allen Schulen unseres Landes wird auch hier die Bilanz eines Jahres erfolgreicher Arbeit für die gesunde Erziehung der jungen Menschen unserer Heimat gezogen. Und wie überall, so war auch in der deutschen Elementarschule in Jahrmarkt die ständige und vielseitige Hilfe der Partei und Regierung der Schlüssel und die Grundlage zu dieser erfolgreichen Erziehungstätigkeit.
395 Schüler umfasste die Deutsche Elementarschule aus Jahrmarkt in diesem Schuljahr. Niemals war es in früheren Zeiten der Fall, daß eine einfache Dorfschule, so reichlich mit Lehrmitteln ausgestattet worden wäre, wie es z. B. in dieser Schule heute der Fall ist. Anschauungsmaterial von den Bildertafeln bis zu den zerlegbaren Modellen einzelner Organe des menschlichen Körpers, Mikroskope, physikalische und chemische Gerätschaften – Dinge, die den Unterricht lehrreicher und um vieles interessanter gestalten, von denen aber ein Dorflehrer früher niemals auch nur  zu träumen gewagt hätte – wurden der deutschen Schule, genauso wie der rumänischen, von der Regierung zur Verfügung gestellt. Und heute erfolgt die Bewertung der Lernergebnisse nach den wirklichen Leistungen der Schüler. Diese sind entscheidend und nicht mehr der Geldbeutel und der Feldbesitz des Vaters. Stolz und mit glücklichem Lachen nehmen die Schüler Anna Lukas, Magdalene Schaff und Matthias Werner aus der VI. Klasse, Nikolaus Potye aus der III. und Nikolaus Kilzer aus der IV. Klasse z. B. – alles Kinder von Kollektivbauern und Arbeitern – ihre Buchprämien und Diplome hin.
Den Schülern der VII. Klasse, die jetzt die Schule verlassen, öffnet sich der Weg in die deutschen Mittelschulen des Banats und die unzähligen Fachschulen. Fast alle wollen weiterlernen. Katharina Seibert ist das Kind armer Bauern. Ihr Vater ist im Krieg gefallen. Im nächsten Jahr will sie nun nach Temeswar in die Textilmittelschule mit deutscher Unterrichtssprache gehen. Dort wird sie dann Textiltechnikerin und später vielleicht auch Ingenieurin werden.
Die Zukunftsträume unserer Jugend sind groß und kühn, aber der Entwicklungsgang unserer Heimat ist die Gewähr dafür, daß sie in Erfüllung gehen.
Hugo Hausl


aus NEUER WEG, Bukarest, 2. Juli 1952

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