Eine Trennung aus taktischen Erwägungen
Businesswetter beim Nachrichtensender n-tv. Toll. Man kann
die momentanen Wettertemperaturen aller europäischen Hauptstädte ablesen. Aller?
Bukarest fehlt. Keine Temperaturangaben. Liegt Rumänien nicht in Europa? Wer
der Nicht- oder nur sehr spärlichen Berücksichtigung Rumäniens in den großen
deutschen Tages- und Wochenblätter gewahr wird, muß wohl denken, dass dieses
Land zumindest von den politischen europäischen Gesamtstrukturen noch weit
entfernt ist, obwohl der Slogan „Zurück nach Europa“ schon gleich nach dem
Sturz Ceauşescus dort lauthals
ausgegeben wurde.
Warum sowohl Europaparlamentarier als auch Privatinvestoren
sich spürbar zurückhalten, wenn das Thema Rumänien auf den Tisch kommt, liegt
augenscheinlich an dem als gescheitert bewerteten Reformprozeß, den das Land
nach dem Dezember 1989 durchgemacht hat. Dieser Prozeß hat im wirtschaftlichen,
sozialen und politischen Leben Rumäniens keine demokratischen Strukturen nach
westeuropäischem Muster geschaffen. Die Privatisierung kommt weiterhin nur sehr
schleppend voran, ein Großteil der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze und in
der Regierungskoalition sorgen Nationalisten und Altkommunisten für
Dauerspektakel.
Die PDSR (Partidul Democraţiei Sociale din România – Partei der Sozialen Demokratie aus Rumänien)
hat, um regieren zu können, einen Teufelspakt geschlossen, der ihren stets
beteuerten Wandel vom Kommunismus zu einer demokratischen Partei in Frage
stellt. Die im Januar 1995 eingegangene Koalition mit den nationalistischen
Parteien PUNR (Partidul Uniunii Naţionale al Românilor – Partei der Nationalen
Union der Rumänen), PRM (Partidul România Mare – Partei Großrumänien) und der
neokommunistischen PSM (Partidul Socialist al Muncii – Sozialistische Partei
der Arbeit) hat besonders durch die unbotmäßigen chauvinistischen Äußerungen
des PRM-Vorsitzenden Corneliu Vadim
Tudor dem Land ein schlechtes Image beschert.
Jetzt, im Vorfeld
der in Rumänien bevorstehenden Kommunal-, Parlaments- und
Präsidentschaftswahlen (1996) sucht die PDSR sich der selbst aufgebürdeten Last
zu entledigen. Die Faszination der Macht scheint doch nicht alle Mittel zu
rechtfertigen. Die PDSR hat am 19. Oktober ihre Zusammenarbeit mit der PRM des
einstigen Hofschranzen Ceauşescus, C. V. Tudor, gekündigt. Rumort in den
Gehirnen der PDSR-isten plötzlich ein Demokratiegerinsel, das jeden
Nationalismus im Keim ersticken soll, oder ist alles nur Taktik? Ein kluger
Schritt scheint es allenfalls zu sein, denn man versucht, gleich mehrere
Fliegen auf einmal zu schlagen. Dem Ausland wird so Bereitschaft zur Demokratie
signalisiert, die aufmüpfige ungarische Minderheit bekommt einen
Beruhigungshappen vorgeworfen und an den Wahltagen kann die in der Gunst der
Wähler noch immer führende Regierungspartei (bei einer Meinungsumfrage vom Juni
1995 führte die PDSR die Parteienliste mit 28 Prozent an) mit moralisch
geputzter Weste dastehen.
Die Rumänen
werden es honorieren. Sie haben anscheinend längst vergessen, daß auch die
PDSR trotz allem nur eine Nachfolgepartei der PCR (Partidul Comunist Român –
Rumänische Kommunistische Partei) ist und das viele ihrer jetzigen Würdenträger
einst Mitarbeiter Ceauşescus waren. Besonders
im Falle ihres Präsidenten Ion Iliescu
scheint das Gedächtnis vieler Rumänen zu klemmen. Der Mann wird zum Teil sogar
von der unabhängigen Presse des Landes ob der unqualifizierten Angriffe C. V. Tudors bedauert. Die PDSR-Oberen
haben die Volksstimmung prompt genutzt und sich und den von ihnen politisch
gestützten Präsidenten von dem Wadenbeißer befreit.
Rumänien hat
seine politische Sensation. Noch nie war seine Demokratie so spannend. Der PDSR
sei gedankt. Man kann bei diesen Ränkespielchen so schön die ökonomische und
soziale Misere des Alltags vergessen. Ob das allerdings auch die ausländischen
Investoren und politischen Beobachter beeindruckt, bleibt dahingestellt.
Mark Jahr
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