Stimmungsbericht aus der Sicht
eines "reichsdeutschen" Touristen
Schon früh lastet
eine Hitzeglocke über dem Dorf - einem noch fast deutschen Dorf. Nur einige
Rumänen wurden in Randbebauungen und in durch Auswanderung freigewordene Häuser
bisher angesiedelt.
Ein altes Auto
fährt staubaufwirbelnd die breite, teils unbefestigte Dorfstraße entlang und
scheucht einige Gänsescharen auf, welche sich unter schattigen Bäumen im
grasigen Angerstreifen rechts und links niedergelegt hatten.
Alle von Deutschen
bewohnten Häuser sind frisch gestrichen. Farbig abgesetzt sind die
Fenstereinfassungen und Gesimsgurte. Alle im gleichen Baustil errichteten Häuser
reihen sich mit dem Giebel nach vorne, entlang der Straße.
Nur lange, schmale
Hausparzellen von max. 500 qm blieben von der Enteignung verschont. Der hintere
Teil ist zur Selbstversorgung als Feld- oder Gemüsegarten bebaut. Hier scharren
einige Hühner, die im rückwärtigen Gebäudeteil im angebauten Holz- und
Geräteschuppen untergebracht sind, und hier befindet sich das notwendige "Häusle"
mit Herz. In der Mitte des Hofes steht der Ziehbrunnen, dessen Wasser aber zum
Trinken nicht mehr benutzt werden darf. Man betritt durchs Straßentor und vorbei
an Vorgarten mit Blumen und Rebstöcken den Mittelteil des Langhauses über einen
längsverlaufenden, teils offenen, teils geschlossenen Gang unter dem
vorgezogenen Dach.
Hier atmet noch
Vergangenheit; von alten, auf dem Dachboden abgestellten Gerätschaften wurde
erst kürzlich ein Dorfmuseum eingerichtet.
Alle Zimmer sind
hintereinander angeordnet. Gußeiserner Ofen, hohe Bettgestelle mit noch höheren
Daunenbetten, bedeckt mit buntbestickter Brokatdecke, Klöppeldeckchen auf
barockartig geschwungenem Nußbaumschrank, ovale alte Fotografien und Drucke mit
Engeln im Paradies an der Wand.
Hier werden die
letzten Vorbereitungen getroffen für den größten Feiertag im Jahr, die Kerweih,
wie es in schwäbischer Mundart heißt. Die letzten Kartoffeln werden geschält,
Hähnchen und Fleisch vorgebraten und im tieferliegenden Vorratsraum auf kühlem
Lehmboden gelagert; und es werden die letzten Verzierungen gespritzt auf die
berühmten "Mehlspeis"-Plätzchen und Gebäckschnitten aus verschiedenen Lagen mit
Zuckerguß, Creme und Nußsplitter.
Lange ist dafür
gespart und sind die Vorbereitungen getroffen worden. Die jetzige
Großeltern-Generation mit 80 Jahren möchte besonders an diesem Tage die
Angehörigen um sich haben zum Essen und Trinken, Tratschen über die heutige
Jugend und Erzählen von früher.
Und während einige
Frauen mit Blumen aus den Vorgärten den Kirchaltar schmücken, eine andere am
Straßenhydranten einen Eimer Wasser holt - denn seit kurzem braucht man nicht
mehr bis zum 300 m entfernten Dorfbrunnen -, der Mittagsbus noch einige Bewohner
mit den letzten Lebensmitteln aus der Stadt zurückbringt, ertönt von fern
Blasmusik. Die Kirchweihbuben haben sich beim Vortänzer versammelt und
marschieren im offenen weißen Hemd, mit einer Weinflasche bewaffnet, wie junge
Wölfe heulend, durch die Dorfstraßen.
Es sind jeweils mit
ca. 19 Jahren die Jahrgänge vor der Militäreinberufung. Beim Kulturhaus wird der
Bürgermeister durch einen symbolischen Schluck Wein zur Teilnahme eingeladen und
das erste gespendete Geld eingesammelt. Dieses wiederholt sich dann von Haus zu
Haus. Niemand schließt sich trotz herrschender Armut aus, jeder trinkt ein Glas,
wünscht Glück und Gottes Segen und gibt sein Scherflein. Mit diesem gesammelten
Geld werden gemeinschaftlich alle Ausgaben, einschließlich die der
Musikkapelle, bestritten. Von zwei
Musikkapellen wird die Dorfjugend in
zwei Gruppen mit zwei Gottesdiensten gespalten. Wenn es doch nur auf anderen
Gebieten auch so eine Konkurrenz gäbe!
Und während die
Buben am Vorabend wie bei einem Polterabend den Abschied vom Junggesellenleben
feiern, müssen die Mädel im Haus helfen, nochmal die acht Unter- und Überröcke
der Tracht aus gestärkten Leinen und Kunstseide mit Plisseefalten bügeln und
weitere Vorbereitungen treffen für den großen kommenden Tag.
Hier zeigt sich
schon der Unterschied der emanzipierten Frau bei uns und dem
traditionsbehafteten Mann-Frau-Verhältnis in den deutsch-rumänischen Dörfern, wo
nicht nur äußerlich die Zeit seit 1750 stehengeblieben zu sein scheint. Hier
wird das "Mädle" noch "hoffiert" vom Buben, wird gefragt, vielleicht auch
nachgeholfen von Eltern oder Großeltern; hier gilt man mit 15 als erste
Kirchweihpartnerin so gut wie verlobt und ein harmloses Ausgehen während der
zweijährigen Dienstzeit des Freundes gilt in den Augen der älteren Generation
fast als Ehebruch - oder richtiger als Treuevergehen, denn die Jugend ist doch
etwas moderner in der Denkungsweise geworden. Eine gemischt deutsch-rumänische
Freundschaft oder gar Ehe ist jedoch auf dem Dorf noch immer undenkbar.
Ca. drei
Monatsgehälter läßt sich der Vater eines Mädels die Kirchweih kosten, Höchstens
zweimal wird die Tracht angezogen, dann für die Geschwister aufbewahrt oder
verkauft. Aus der Überlieferung und nach alten Bildern werden Röcke, Leibchen
und Überwürfe genäht und in langen Abenden bestickt.
Fast eine Stunde
dauert das Anziehen und ist ohne Hilfe gar nicht möglich. Trotz der Begeisterung
und Freude ist es eine Tortur, in der Hitze, mit Schnüren eingezwängt, den Tag
zu überstehen - ohne zu trinken -, denn ein Hinsetzen, auch auf der Toilette,
ist wegen der steifen Röcke nicht möglich.
Früh schon beginnt
der Tag. Wieder sammeln sich die Buben beim Vortänzer, die Mädel bei der
Vortänzerin, und unter Trommeln und Blasmusik werden sie abgeholt. In farbiger
Tracht geht es im Gleichschritt paarweise zur Kirche - angeführt vom
Vortänzerpaar, mit buntgeschmücktem Strauß aus Rosmarin, welcher symbolisch in
der Kirche vor dem Altar geweiht wird mit folgendem Spruch: "Jesus Christus,
hochwürdiger Herr Pfarrer, verehrte Kirchweihgäste! / Ich trete heute als
Sprecherin hervor / aus dieser Jugend fröhlichem Chor. / Im Namen der
festlichen, schmucken Schar, / nämlich dieser 17 jungen Kirchweihpaar' / möchte
ich Euch alle zu Beginn ein Wort des Grußes sagen, / an diesem schönsten unserer
Feiertage. / Wir feiern doch heute unser Kirchweihfest, / so wie es bei uns
Brauch war vor 247 Jahren bis jetzt. / Denn der Kirchweihfeste Sinn / ich Euch
heute wieder künden will. / Und das erste, was ich Euch sagen will, ist: / Ich
trage den Kirchweihstrauß in der Hand, / geschmückt mit Seide und farbigem Band.
/ Und fragst Du, warum denn der Strauß aus Rosmarein, / nun - er ist der
Schwaben Heimatblümelein. / Er ist uns Bekenntnis unserer treuen schwäbischen
Art, / wie er auch unserer Väter, Großväter und Ahnen war. / Er ist uns
Mahnzeichen zu unserem schwäbischen Erbe auch, / zu Fleiß und Ehrlichkeit, zu
Ordnung und Brauch. / Und das zweite, was ich Euch künden will, ist: / Wir
stehen jetzt in unserem Gotteshaus, / in dem auch unsere Väter gingen ein und
aus. / Ihnen war diese Kirche wertvolles Gottesgeschenk, / und wir rufen uns
heute zu: nachgeborenes Schwabenkind gedenk: / Auch Du sollst in ihr bewußt zu
Deiner Kirche stehen, / daß sie Dir Heimat ist und Gotteslehen, / daß sie Dir
Mutter ist in all Deinen Tagen, / das soll Dir erneut diese Kirchweihstunde
sagen."
Nach dem
Gottesdienst geht es nocheinmal durch ein Spalier der Bewohner. Festlich
gekleidet sind alle, besonders die Alten: in schwarzem Anzug und großem
breitrandigen Hut bzw. dunklen Röcken, Leibchen, Blusen, Schulter- und
Kopftüchern die Omas.
Schon während des
Wartens gab es das erste Wiedersehen mit lange nicht gesehenen Bekannten, ein
Erzählen, wer wohl das schönste Paar sei, daß die Kathi von Josch ein Kind
bekommt, daß der Schmidt Josef seinen Paß "kriegt hat", daß aus dem Nachbardorf
wieder einer spurlos verschwunden ist - und vieles mehr.
Aber auch die
neuesten weltpolitischen Nachrichten, welche von der Deutschen Welle
ausgestrahlt wurden, werden kommentiert.
Und während die
Frauen bangend um die viele Arbeit mit dem guten Essen auf pünktliche Heimkehr
der Männer warten, stehen diese erzählend in Gruppen zusammen oder gehen zu
verschiedenen Nachbarn oder entfernten, lange nicht gesehenen Verwandten auf
einen Gruß, ein Wort, einen Schwatz bei einem oder mehreren Glas Wein.
Ganz besonders
herzlich und wissensdurstig wird man empfangen, wenn man sich, ohne
verwandtschaftliche Bindung aus dem "Reich" kommend, interessiert zeigt an den
überlieferten Bräuchen und der jetzigen ungeschminkten Lebensweise.
Bei der Kirchweih
merkt man allerdings nicht viel von den Entbehrungen , denn schon länger vorher
sind entsprechende Vorräte eingekauft worden. Und sogar Flaschenbier und einen
Bratwurststand gibt es, wenn am Nachmittag die Paare im Saal des Kulturhauses
und auf einem Podest im Park Polka tanzen unter den kritischen Blicken der
ringsum sitzenden Anverwandten.
So vergeht mit
Tanzen, Erzählen, Essen und Trinken der Tag, der so viel Vorbereitungen kostete,
mit unbeschwerter Freude für die Jugend und Rückbesinnung der Alten auf die
Vergangenheit und die schlimmen Nachkriegsjahre. In richtiger Bier- und
Zuikalaune werden nicht nur Volkslieder , sondern auch Soldatenmärsche gesungen.
Das ist eine
Freiheit - mehr Narrenfreiheit -, die von der Miliz eingeräumt wird. Dieses ist
die unbewältigte Vergangenheit der älteren Generation, doch die Bewältigung der
Zukunft wird der Jugend nur dann gelingen, wenn sie und alle Deutschen im Banat
und in Siebenbürgen nicht vergessen und möglichst aktiver als bisher seitens der
Bundesregierung unterstützt werden.
Harald Jäger
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