Tischlermeister Peter Oberle wurde 70
67.206 neue Buchtitel
wurden 1993 in Deutschland vorgestellt. Wer traut sich bei diesem
unüberschaubaren Angebot überhaupt noch zu schreiben? Milliarden Bücher füllen
die Regale der Buchhandlungen, Bibliotheken und Haushalte. Wer soll die alle
lesen? Das schafft selbst ein Volk der Dichter und Denker, wie andere die
Deutschen nennen, nicht. Und trotzdem gibt es Menschen, die immer wieder zur
Feder greifen und von der Erinnerung preisgegebene Erlebnisse in einem Heft oder
auf losen Blättern festhalten. Irgendwann bringt der eine oder andere dann ein
davon angefertigtes Manuskript in eine Buchdruckerei und beschenkt die Familie
schließlich mit einem leinengebundenen Werk, das in der Regel den Titel
Erinnerungen trägt. Ein solches Buch wird herumgereicht, gelesen und
diskutiert, um dann wie eine Reliquie als Familienvermächtnis nicht nur
Generationen, sondern vor allem viele der Jahr für Jahr im Buchhandel
auftauchenden Neuerscheinungen zu überleben.
Peter Oberle ist
einer dieser Menschen, die davon überzeugt sind, daß zukünftige Generationen den
Sinn ihres Daseins nur dann bewußt wahrnehmen können, wenn sie auch ihre Wurzeln
kennen. Daß dies für eine vom Schicksal so gebeutelte Volksgemeinschaft wie die
der Banater Schwaben besonders gilt, untermalen seine Erinnerungen
in nostalgischen, ernsten, lustigen, nachdenklich stimmenden, aber nie nach
Abrechnung lüsterne Bildern, die durch die bewegte europäische Geschichte
unseres Jahrhunderts führen.
Am 27. November 1994 wurde
Peter Oberle 70 Jahre alt. Sein Lebensweg begann in der Höniggasse in den
Temeswarer Weingärten. Von Jahrmarkt aus, wo er bei kinderlosen Verwandten seine
Jugend- und Lehrzeit verbrachte, zog er in den Krieg, während dessen Verlauf und
der folgenden russischen Gefangenschaft er zwangsläufig weite Teile Europas und
Vorderasiens, von Breslau bis zum Fuße des Ararats (Kaukasus) kennenlernen mußte.
In der "epoca luminii" leitete der zum Meister aufgestiegene Tischler die
Jahrmarkter Tischlerei, ein Unternehmen - man mag es heute wohl als Wunder
betrachten -, das bis in die siebziger Jahre mit einer rein schwäbischen
Belegschaft (40 Angestellte) arbeitete. Es war nicht nur die Arbeit, deretwegen
die "Tischlerei" für die Jahrmarkter so wichtig war, es waren vor allem die
gesellschaftlichen Impulse, die von diesem Kollektiv ausgingen. Die Idee,
Konzeption und auch Ausführung des Jahrmarkter Strandes zum Beispiel war
keineswegs eine Errungenschaft des Sozialismus, sondern eine Gesamtleistung der
Jahrmarkter Schwaben und ganz besonders der "Tischlereimannschaft" unter der
Leitung Peter Oberles.
Jetzt hat der am Fuße der
Achalm (Reutlingen) lebende Jubilar seine Erinnerungen niedergeschrieben, "daß
mal meine Kinder, die ja mit all dem nichts zu tun hatten und jetzt hier in
Deutschland leben, einmal wissen, von wo sie herkommen, wer ihre Vorfahren waren
und wie sie gelebt haben", wie er im Vorwort festhält. Man kann Peter Oberle
zu seinem Geburtstag neben der Gesundheit nur wissensdurstige Enkel wünschen.
Anton Potche
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