"Wir bedauern die Menschen, die stumm sind."
Diese Worte sprach der Bürgermeister des ungarischen Dorfes Szendehely, Ignac
Altsach, beim zehnjährigen Gründungsjubiläum des Chores der
Siebenbürger Sachsen in Ingolstadt am 14. Mai. Die Folge dieser Aussage
muß das Reden - auch wenn man sich dazu noch oft gestikulierender Hand- und
Kopfbewegungen bedient -, das Singen und auch der Tanz sein. In diesem Sinn hat
der Chor der Siebenbürger Sachsen unter der Leitung von Ludwig
Seiverth auch seine Jubiläumsveranstaltung organisiert.
Zehn Jahre jung und schon im Ingolstädter
Kulturleben voll etabliert - das bestätigten den 45 Chormitgliedern, die aus 20
siebenbürgischen Ortschaften stammen, nicht zuletzt die Ansprachen des
Ingolstädter Stadtrates Otto Six und des Vorsitzenden des
Oberdonau-Sängerkreises, Fritz Bohländer, der auch viele Sänger/innen mit
der Ehrennadel und Urkunde des Oberdonau-Sängerkreises ehrte.
Ludwig Seiverth, nicht nur der Gründer
und musikalische Leiter dieses Chores, sondern auch Vorsitzender der
Kreisgruppe Ingolstadt der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen,
hielt Rückschau. Und weil Kultur, Politik und Geschichte nie unabhängig
voneinander existieren können, war der Blick zurück in die 850-jährige
Vergangenheit und die Erinnerung an die letzten Jahre in der Heimat im oft als
Schutz empfundenen Schatten der Karpaten ein Wermutstropfen, der nicht nur aus
der Stimme des Redners, sondern auch aus so manchem feuchten Auge quoll.
Die Darbietungen des Chores und der
eingeladenen Gastensembles entfalteten sich in einem wahren Mammutprogramm von
drei Stunden. Der Männergesangverein Ingolstadt-Mailing/Feldkirchen,
die ungarndeutsche Tanzgruppe aus Szendehely, die
Prinzengarde "Eggspatzen aus Retzbuck", die Blaskapelle der
Siebenbürger Sachsen aus Ingolstadt und nicht zuletzt der Gastgeberchor
boten Kostproben aus ihren reichen Repertoires.
Natürlich wurde nach so viel Kultur auch noch
das Tanzbein geschwungen. Es ging diesmal nicht nur im Walzer- und Polkaschritt
über das Parkett. Die Ungarndeutschen aus Szendehely lebten so richtig auf, als
die Blaskapelle unerwartet einen Csárdás und einen Frisch intonierte. Und wer
dann zusah, wie diese Frauen und Männer, Mädchen und Buben die ungarischen Tänze
tanzten - natürlich hielt auch so mancher Sachse mit -, der konnte sich dem
schönsten Sinnieren über den Sinn eines vereinten und den Unsinn eines bis vor
kurzem getrennten Europas hingeben. Wer sich dann dabei auch noch Gedanken über
diese Menschen deutscher Abstammung aus Ungarn machte, mußte erkennen, daß es
noch schwieriger als zu Jakob Bleyers Zeiten sein wird, das
Deutschbewußtsein der Deutschen in Ungarn aufzufrischen. Nötig ist es aber
allemal, denn nur durch lebensfähige Minderheiten kann Europa das Maß an
Toleranz erreichen, das das Leben hier auf dem alten Kontinent lebenswerter
machen soll.
80 Prozent der Bewohner Szendehelys haben
deutsche Vorfahren. Maria Meszavos, die Tanzgruppenleiterin, die
hervorragend deutsch spricht, nannte Familiennamen aus ihrem Dorf: Szegner (Segner),
Bach, Rottenbacher, Virsinger (Viersinger) German (Germann), Mänich, Schlenk und
andere. Man bemühe sich zur Zeit um die geschichtliche Aufarbeitung der
deutschen Vergangenheit des Dorfes. Die Ahnen der meisten Szendehlyer kommen
wahrscheinlich aus Franken, wie die jüngsten Forschungen ergeben haben. Die
Tanzgruppe des Dorfes präsentiert sich selbstverständlich auch in Ungarn als
deutsche Gruppe. Es ist aber sehr schwer, zurück zur deutschen Sprache als
Umgangssprache zu finden. Frau Meszavos weiß, woran es liegt: "Wir
brauchen viele Kontakte zu deutschen Menschen." Der Deutschunterricht in der
Schule sei nicht ausreichend. Erst ab der 4. Klasse wird eine Stunde am Tag
deutsch unterrichtet. In der Familie wird nur ungarisch gesprochen.
Mark Jahr
aus DER
DONAUSCHWABE,
Aalen,
28. August 1994
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