Dienstag, 19. Mai 2015

Ich bitte um Vergebung

Gott sei's Dank! es ist vorbei, das große Spektakel, das kein Spektakel zuließ und das man gemeinhin Fußball-WM 1994 nannte. Spektakel auf dem Rasen war strengstens untersagt. Wer es wagte, spektakulär zu dribbeln, zu paßen oder gar Tore als Krönung spektakulärer Fußballspielzüge zu schießen, wurde schnellstens von seinem Trainer ermahnt. Taktik war angesagt. Taktik als höchstes Fußballgebot mußten alle Kicker dieser WM beherzigen.
Da gab es dann allerdings einige Jungs aus der Wüste, dem Urwald und aus den Karpaten, die wollten am Anfang partout nicht kapieren, was Taktik im Fußball bedeutet. Sie dribbelten und paßten, rannten und spielten aus Vergnügen, wie ihre augenblickliche Eingebung es eben wollte. Und siehe da: Sie schossen Tore, viel zu viele, zum Verdruß aller Fußballwissenschaftler. Aber ihre Trainer reagierten prompt und brachten ihnen das taktische Fußballgeschiebe bei. Folglich gaben sie das Spielen auf und widmeten sich dem Denken. Umgehend stellten sich die Niederlagen ein und alles verlief im vorgegebenen Lot.
Zum Schluß blieben die besten Taktierer im rennen. In einem wahnsinnig denkanstrengenden Fußballmarathon philosophierten 22 Fußballmillionäre vor den Augen der ganzen Welt, ob es überhaupt sinnvoll sei, in der regulären Spielzeit - noch immer 90 Minuten, ließ ich mir sagen - ein Tor zu schießen. Es gelang ihnen, auch den letzten Langsamdenkern begreiflich zu machen, was taktisches Fußballspielen bedeutet.
Leider mußte ich bei dieser Zeitlupenfußball-Lehrstunde passen und habe folglich bis heute den Sinn dieser umwerfenden Taktik nicht begriffen. Ich schlief in der zweiten Spielhälfte des großen Finales leider ein.
Die Fußballgötter mögen mir verzeihen! Es war ja so schwül an jenem Julisonntagabend.
Anton Potche


 aus BANATER POST, München, 
20. August 1994

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