Sie haben es also doch
herausgekriegt, die Autoren dieser literarischen Abhandlung. Ich meine die
faszinierende Einmaligkeit in Herta Müllers Prosa. Es geht schon mit
überschwänglichen Lobliedern los. Sogar eine "literarische und
gesellschaftliche" Institution soll Herta Müller sein. (Norbert
Otto Eke).
"Die
Einzigartigkeit der Stimme Herta Müllers" (Friedmar Apel) scheint
diese jungen Gelehrten - der älteste von ihnen ist 1948 geboren - gebannt zu
haben. Sie geben sich wirklich viel Mühe und nehmen die Sätze und Satzfetzen
Herta Müllers auseinander, um deren "Duplizität der Wahrnehmung" (Claudia
Becker) zu ergründen. Gar nicht so einfach, wenn man bedenkt, daß sie
die Banater Verhältnisse nie direkt kennenlernen konnten.
Dabei kommen ganz eigenartige Bemerkungen über die
"Bevormundung des Lesers" durch die Erzählungen Herta Müllers (Michael
Günther) zu Papier. Es ist zumindest mir neu, daß die Urteilskraft eines
Lesers vorwiegend wirkt, wenn das Primat der Erzählung in einem Text fehlt.
Als Wissenschaftler kann man mit Herta Müllers Texten allerdings
seine eigene Intelligenz voll ins Rampenlicht rücken. Da ist die Chance zu
Wortjonglierereien wie selten geboten und man kann gefahrlos, auch fast
wahllos, "Bildschaltstellen oder real-allegorisch-symbolische Kreuzungen" (Stefan
Gross) ausmachen oder auch selbst kreieren.
"Der böse Blick
verweist auf Verletztheiten und Haßgefühle." (Bernhard Doppler). Extreme
Gefühlszustände werden zu Kunstquellen und führen hier zu einer Kunst, die von
vielen nicht verstanden wird, nicht verstanden werden kann. Für die
Literaturwissenschaftler der Universität Paderborn sowie für viele Rezensenten
in Presse und Rundfunk scheint sie geradezu herausfordernd zu sein.
Nur die Landsleute
Herta Müllers können sich weiterhin nicht mit dieser Art von Literatur
anfreunden. Wen wundert's? Das sind Menschen, deren Leben ein ewiger Kampf ums
Heute und ein stetes Vorsorgen fürs Morgen war. Für tiefsinnige
Wahrnehmungsirritationen, wie sie in Herta Müllers Prosa sprühen, können
sie gar kein Verständnis haben. Sie wären andernfalls wirklich so fatal, wie die
Extremfiguren der Müllerschen Texte. Dem Menschenschlag, dem trotz allem auch
Herta Müller entstammt, steht nun mal nicht der Sinn nach "ästhetischer
Diagnostik", sondern eher nach greif- und überschaubarer Realität. Wer sich mit
den Banater Schwaben näher befasst, wird verstehen, warum die wenigen von ihnen,
die sich überhaupt mit Herta Müllers Literatur auseinandersetzen, nicht
gerade in Lobhymnen schwelgen. Eine zur "Denunziation, mit der ästhetische
Diagnostik ausläuft in den Gestus der persönlichen Abrechnung," verkommene
Literaturkritik, wie N. O. Eke schreibt, dürften die
Herta-Müller-Rezensionen in der BANATER POST und im DONAUSCHWABEN nun doch nicht
sein. Bloß der Blickwinkel, aus dem sie verfaßt wurden, ist wahrlich ein anderer
als der von bundesdeutschen Rezensenten.
Mark Jahr
aus DER
DONAUSCHWABE,
Aalen,
24. Januar 1993
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