Donnerstag, 19. Dezember 2013

Vertriebenenkultur

Zum Bericht "Jährliches Feilschen um Fördermittel für Vereine" (Ausgabe vom 12. 3. 1992):
Siebenbürger Sachsen in Ingolstadt
5500 Mark für die Kulturtätigkeit der Ingolstädter Vertriebenenvereine ist wirklich eine Wahnsinnssumme. Das ist ja ein Vermögen, was diese Tanzgruppen und Chöre der Schlesier, Egerländer, Sudetendeutschen, Oberwischauer, Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Böhmerwälder, Niemeser, Prachatitzer und Lindenwiesener aus dem Kulturfonds der Stadt bekommen. Nach Adam Riese sind das für jede Gruppe - falls es nicht mehr als die genannten gibt - 550 Mark. Da halten nun die Vereinsvorsitzenden diese Riesensummen in den Händen und zerbrechen sich die Köpfe, sie sinnvoll anzuwenden. Eine wahrlich nicht zu beneidende Aufgabe, wenn man bedenkt, daß man, um eine Frau in die farbenprächtige Banater Tracht zu kleiden, mindestens 600 Mark hinblättern muß, während ein kunstvoll besticktes Trachtenhemd für einen Siebenbürger Sachsen immerhin auch schon 400 Mark kostet! Ähnlich sieht es bei allen Gruppen aus.
Im Rathaus wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Der Kulturausschuß scheint noch in Faschingsstimmung zu sein. Beamte der Verwaltung sollen jetzt herausfinden, was die Landsmannschaften mit diesen überwältigenden Zuschüssen "kulturell machen" und ob die überhaupt "gerechtfertigt" sind. Das kann eine angenehme Aufgabe werden, kann sie doch im geselligen Trubel von Bürgerfest, Herbstfest, heuer auch Landesgartenschau, oder gar im sonnigen Carrara sowie in vielen vereinsinternen Kulturabenden mit Tanzvorführungen, Blasmusikkonzerten, Chordarbietungen und Theateraufführungen bewältigt werden; und das mit garantiertem Erfolg.
Der Volkskultur überliefernde Idealismus der Vertriebenenvereine paßt offensichtlich nicht mehr in eine mehr und mehr von Rang und Namen und den dazugehörenden Gagen vereinnahmte Kulturlandschaf.
Ob die Mitglieder der Ingolstädter Vertriebenenverbände mehr oder weniger politisch gesinnt oder gar aktiv sind, ist für ihr Vereinsengagement sekundär. Daß sie aber soviel politisches Verständnis haben, um die Richtung des Windes, der ihnen in Ingolstadt ins Gesicht bläst, zu erkennen, davon kann Frau Büttner (SPD) überzeugt sein.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 31. März 1992


DONAUKURIER, 10. April 1992

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