Im
Verlag "Das Wunderhorn" ist ein Buch mit zwei Erzählungen von Johann Lippet
erschienen.
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Die Falten im Gesicht. Wovon kommen sie? Bestimmt nicht von einem
sorglosen, glücklichen Alltag. Horst Bachner, ein Mittdreißiger, verlebt einen
Tag völlig nutzlos. Was er unternimmt, ist meist absurd, und doch offenbart sich
dem Leser ein ganzes, zwar junges, aber sehr intensiv gelebtes Leben, in dem
wiederum für Sinnlosigkeiten kaum Freiräume existieren.
Diese Erzählung, in zwei Zeiten aufgebaut, macht den Blick für eine Dorf- und
Stadtwelt frei, deren Charakter ausschließlich vom täglichen Überlebenskampf der
Menschen geprägt war und ist. Das spezifische Dorfleben mit seinem bäuerlichen
Romantikhauch, der selbst von den Härten des sozialistisch geregelten Daseins
nie ganz verwischt werden konnte, ist nun doch Vergangenheit geworden. Das ihm
gefolgte Leben in einer Blockwohnung der Stadt ist düster und deprimierend.
Horst Bachner existiert in der Gegenwart und lebt von der Vergangenheit. Dabei
sind die Erinnerungen meist klarer konturiert als die oft undurchsichtigen
Handlungen des bärtigen Intellektuellen in seiner räumlichen Enge und zeitlichen
Abhängigkeit. Sein Blick geht immer zur Uhr. Dieses ständige Nachlaufspiel
zwischen War und Sein erzeugt eine unbewußte Erwartung des Lesers auf den
folgenden Zeitabschnitt. Während das Präsens zeitlich klar durch Sekunden,
Minuten, und Stunden in seinen Abläufen überschaubar und, wieder nur zeitlich
betrachtet, sogar vorausschaubar ist, stellen sich die Erinnerungen in
unchronologischer Folge ein, was der Erzählung eine knisternde Spannung
verleiht. Diese wird gegen Mitternacht im Accelerando gesteigert und ermöglicht
ein überraschendes Finale, das - so düster es auf den ersten Blick auch scheinen
mag - durch seine Skurrilität einem unbelasteten Leser (es hat ja zum Glück
nicht jeder alle idiotischen Schikanen des Kommunismus erleben müssen) sogar ein
- natürlich verständnisloses - Lächeln abringen kann.
Johann Lippet hat nicht nur eine menschliche Figur, die in ihrer Einsamkeit einen
Extremfall (keinen Einzelfall) darstellt, kreiert. Er hat die Aussichtslosigkeit
einer ganzen, als Minderheit im kommunistischen Rumänien herangewachsenen
Generationen in eine literarische Gestalt konzentriert. Wer selbst in diesen
Breitenkreisen gelebt hat, wird sich oft unschwer in dieser Erzählung
wiederfinden, was durchaus die Vermutung zuläßt, daß Johann Lippet auch
viel Autobiographisches in die Ein-Mann-Geschichte eingebracht haben könnte.
♣ ♣ ♣
Anton Baumgartner, der
Mittelpunkt der Welt ist eine flache Geschichte, flach wie das Land,
in dem das Dorf W. liegt. "Feld so weit das Auge reicht, bis zum Horizont."
Ein Mann und seine Frau, Anton und Maria Baumgartner, leben in diesem Dorf.
In ihrem leidenschaftslosen, aber ehrlichen Neben- und Miteinander, in dem
kleine Ruppigkeiten eher als willkommene Abwechslungen des Alltagstrotts
empfunden werden, widerspiegelt sich das Leben des ganzen Dorfes. Werden,
Sein, Kampf, Sieg, Niederlage, Freude, Leid, Tod, und schließlich das
angedeutete Ende der ganzen Dorfgemeinschaft liegen greifbar nahe
beieinander. Niemand kann den Zerfall aufhalten. Die von außen wirkenden
zerstörerischen Faktoren werden als Schicksal hingenommen. Das Aufbäumen
wirkt nur symbolhaft und ist jeweils von kurzer Dauer. Es geht immer gleich
weiter, das Leben inmitten der Abgeschiedenheit. Die Weltgeschichte spielt
sich irgendwo, weit weg von W., ab und erreicht das Dorf ziemlich
verunstaltet. "Anton hat auch einen Schwengelbrunnen im Hof und macht sich
zwei Tage vor dem 23. August 1968 an die Arbeit... Es wird Krieg kommen,
weiß man seit heute morgen im Dorf. Soldaten sind einmarschiert, die
Regierung ist gefallen."
Anton und
Maria Baumgartner sind leibliche Verkörperungen der Einsamkeit. Man liest
und denkt an Hundert Jahre Einsamkeit. Nein, hier sind es mehr als
hundert Jahre. Die Erzählweise vermittelt das Gefühl, daß dieses Dorf schon
immer im Zentrum der Einsamkeit lag; bloß haben seine Bewohner diese nie als
Lebensbürde empfunden. Nur der Betrachter von nah oder fern nimmt sie wahr
und ist desto mehr vom Lebenswille dieser Menschen angetan.
Ein Dorfleben, das sich nur an den
seit Generationen im wesentlichen unveränderten Arbeits- und Ritualrhythmen
orientiert, ist für viele heute unvorstellbar. Und doch hat es die vor noch zehn
Jahren gegeben und gibt es mancherorts auch heute noch. Man vermißt in diesem
Leben besonders die Liebe. Sie wird heute so oft in der Literatur mißbraucht, zu
ordinären Sexstatements (merkwürdigerweise gelingt es denen sehr leicht, an die
Öffentlichkeit zu gelangen) degradiert, mit denen ruhmsüchtige Literaten/innen
angebliche Tabus brechen wollen. In dieser Erzählung scheint sie zu fehlen, die
Liebe, zumindest so, wie man sie gegenwärtig in den modernistischen (nicht
unbedingt auch modernen) Wohlstandsgesellschaften kennt. Sie ist trotzdem da.
Sie ist allgegenwärtig und sie triumphiert im vibrierenden, für viele Leser
wahrscheinlich ergreifenden Finale - wobei jeder billige Sentimentalismus außer
Frage steht - förmlich auf. Der Autor führt die Liebe nicht ins Geschehen ein;
er macht den Ausgang dieser Erzählung von ihrer Existenz abhängig.
Anton Baumgartner und seine Frau
Maria gehören zu dem Menschenschlag, dessen Besonderheit erst auffällig wird,
nachdem es ihn nicht mehr gibt. Mit dem Untergang eines Dorfes, dessen Name W.
(für Wiseschdia) nicht nur am Ende des Alphabets angesiedelt ist, sondern auch
für das Ende einer Diasporagemeinschaft bezeichnend ist, verändert sich eine
Landschaft, und die Menschheit ist um eine lebendige Eigenart ärmer.
Bleibt nur die Hoffnung, dass es dem
Wunderhorn-Verlag gelingt, diesem Buch die wohlverdiente Publizität zu
verschaffen, um seine Existenz einem je größeren Leserkreis kund zu tun.
Anton
Potche
Johann Lippet: Die Falten im
Gesicht, Erzählungen; Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 1991; 229 S., DM ca.
36,-, ISBN 3-88423-073-5.
aus BANATER POST, München,
10. Dezember 1991
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