Der
Lyriker Mircea Dinescu in Augsburg
Es
gibt Aussagen und spontane Ausrufe, die in die Geschichte eingegangen sind. Man
kennt diese Sätze und benutzt sie, ohne an die Personen und Ereignisse, denen
sie zu verdanken sind, zu denken oder sie überhaupt zu kennen.
In
der Geschichte Rumäniens könnte der Verkündung "Dictatorul a fugit! Am
învins, am învins!" eine geschichtliche Bedeutung beigemessen werden. Ihr
Ausrufer, der Dichter Mircea Dinescu, wurde auf den Schultern der
rumänischen Revolutionäre zur Zentrale des ersten
"Revolutionsfernsehens" getragen, um diesen auch für das Deutschtum
in Rumänien folgenschweren Satz in den Äther zu rufen. Für die Banater
Schwaben und Siebenbürger Sachsen bedeuteten diese Worte das Ende einer
jahrhundertelangen freiwilligen, kulturell und wirtschaftlich fruchtbaren und
erst in den letzten 50 Jahren unfreiwilligen und geistig lähmenden
Enklavenexistenz im Südosten Europas.
Während
die letzten Deutschen Rumänien verlassen, reist der Rumäne Mircea
Dinescu durch Deutschland, um die Früchte seiner literarischen
Schweigepflicht der späten 80er Jahre der Ceauşescu-Diktatur
zu ernten. Der Präsident des rumänischen Schriftstellerverbandes, der
die gestrigen kommunistischen Hofpoeten und heutigen nationalistischen
Scharfmacher um Eugen Barbu und Corneliu Vadim Tudor
vorläufig (man muß dieses Wort angesichts der Situation in Rumänien
leider gebrauchen) aus dem Schriftstellerverband verdrängt hat, genießt
in Deutschland für einen fremdsprachigen zeitgenössischen Poeten
außergewöhnlich hohes Ansehen. In der Südwestfunk-Bestenliste der
letzten 3 Monate, die von 28 Literaturkritikern in unabhängiger Auswahl
zusammengestellt wird, ist Mircea Dinescus zweisprachiger
Gedichtband Ein Maulkorb fürs Gras, übersetzt von Werner
Söllner, auf Platz 4 vorzufinden.
Am
8. Mai wurde der 41jährige "rumänische Majakowski" (so die
AUGSBURGER ALLGEMEINE) zum Akademischen Ehrenbürger der Universität Augsburg
ernannt. Der Dichter nahm das Medieninteresse, das von diesem Ereignis
ausgelöst wurde, auch prompt zum Anlaß, die Menschen, die in den Städten
Rumäniens gegen den Kommunismus kämpften und gestorben sind, und ihm, dem
Hausarrestler, dadurch die Chance der Unsterblichkeit eröffneten, vor den
Experten in Schutz zu nehmen, die den revolutionären Charakter und damit auch
die Wahrhaftigkeit ihres Freiheitskampfes in Frage stellen.
In
einem Interview der AUGSBURGER ALLGEMEINEN rückte der Mann der ersten Stunde
die Dinge wieder ins rechte Lot: "Es wäre zugleich lächerlich, absurd und
tragisch zu glauben, daß zwischen dem 19., 23. und 24. Dezember 1989 in
Rumänien eine Farce inszeniert wurde. Das war ein Volksaufstand. Mehr als
tausend Menschen sind gestorben, viele Tausende wurden schwer verletzt. Aber
das, so scheint mir, ist hier im Westen vielen Leuten enttäuschend wenig. Die
Gerüchte, daß die Revolution eigentlich nur eine Inszenierung von KGB und 'Securitate'
war, wurden von diesen Geheimdiensten in die Welt gesetzt. Wir, die wir
gekämpft haben, wissen es besser."
Mircea Dinescu |
Natürlich durfte man auf eine
Lesung mit Mircea Dinescu gespannt sein. Wer sich aber im
Bert-Brecht-Hörsaal (14. Mai, 20 Uhr) der Universität Augsburg
eingefunden hatte, um einer gewöhnlichen Dichterlesung beizuwohnen, sah
sich bald eines Besseren belehrt. Dinescu erzählte in seiner
gekonnt schwungvollen, an Gestik und Mimik reichen Art, wie einige seiner
Gedichte entstanden sind. Daß die Übersetzerin bei diesem Wortschwall
Mühe hatte, den geistigen Winkelzügen des Dichters zu folgen, war da
verständlich. Es gelang ihr trotzdem, die humorvolle Hintergründigkeit
aus Dinescus Ausführungen dem deutschen Auditorium verständlich
zu machen und dieses immer wieder zu erstauntem oder verständlichem
Lächeln zu veranlassen. Was Mircea Dinescu vorlas, war eine von
Metaphern durchwachsene, aber in keiner Zeile entstellte Erlebnisdichtung.
Hier hat nicht einer abgehoben, um sich in irgendwelchen sprachlichen
Gipfelstürmen zu erproben, sondern in diesen Gedichten wurde die Sprache
des Alltags mit all seinen Nöten und der einzigen ihm verbliebenen
Freiheit, dem bissigen, galligen Humor, zur dichterischen Kunstform
erhoben. Dabei darf man nicht übersehen, daß die deutschen
Nachdichtungen Werner Söllners dem Niveau des Originals in jeder
Weise ebenbürtig sind.
Trotzdem konnte
man diese Dichterlesung auch mit gemischten Gefühlen verlassen. Gegen Ende
seines Vortrages war von Mircea Dinescu zu vernehmen: "Ich wünsche
mir manchmal, von einigen Kritikern unter Hausarrest gehalten zu werden."
Oder ganz zum Schluß dankte er der Universität Augsburg, daß sie ihm die
Gelegenheit gegeben hat, sich zu erinnern, welch großartiger Dichter er in
seiner Jugend war. War das überhaupt noch der Dichter aus dem Hausarrest, oder
stand da ein Intellektueller, dessen Denken und Handeln längst vom politischen
Alltag bestimmt wird? Trugen die Aufständischen am Tag des Ceauşescu-Sturzes
den Dichter Mircea Dinescu auf ihren Schultern oder den Vorzeigerevolutionär, von dem sie sich die Befreiung vom kommunistischen Joch
erhofften?
Anton
Potche
aus BANATER POST, München,
20. August 1991
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