Ein sterbendes
Volk wird von den Medien entdeckt
Wenn das Wort
"Lobby" die Gesamtheit der Lobbyisten bezeichnet, so müssen wir uns
ihnen zuwenden. Lobbyist ist jemand, der Abgeordnete für seine Interessen zu
gewinnen sucht. "Wir haben keine Lobby". Also wir haben niemand, der
für unsere Interessen und unser Erscheinungsbild wirbt.
Unwahr, muß man
feststellen, wenn man die Aktivitäten der Landsmannschaften der vergangenen 40
Jahre unter die Lupe nimmt. Da hat es an Werbung für die eigene Sache und
derer, die noch "unten waren oder sind", nicht gefehlt. Daß hier eine
weiterführende Diskussion über Qualität und Sinn dieser (oder nur einzelner)
Veranstaltungen unbeschränkt viel Raum für subjektive, ja sogar ideologische
Argumentationen eröffnet, sollte eigentlich vom Grundkonsens aller
landsmannschaftlichen Aktivitäten nicht ablenken: das Werben für Verständnis
und Akzeptanz eines sterbenden Volksstammes.
Wahr, wenn man
berücksichtigt, daß das Sterben der Donauschwaben bereits durch die Trianoner
Beschlüsse begann, ja von ihnen sogar eingeleitet wurde, ohne daß die
Weltöffentlichkeit davon Notiz nahm. Jenes Jahr 1920 brachte den ersten
schweren Schlag für die kulturelle und wirtschaftliche Einheit der deutschen
Diaspora in Südosteuropa. Der Sturz des kommunistischen Diktators Ceauşescu
im Dezember 1989 brachte das endgültige Aus für die letzten Bastionen
habsburgischer und damit verbunden reichsdeutscher (18. Jahrhundert) Geschichte.
Das waren 70 Jahre langsamen Sterbens in Form von Deportation (Jugoslawien,
Rumänien, Ungarn), Vernichtung in Konzentrationslagern (Jugoslawien),
Vertreibung (Jugoslawien, Ungarn) und Auswanderung (Rumänien). Das Aussterben
der Donauschwaben und der Siebenbürger Sachsen, die einzigen Relikte deutscher Geschichte
in Fleisch und Blut, blieb im unheimlichen Schweigen, daß nach 1945 über
Europa lag, unbemerkt.
Nach
dem gesellschaftlichen Urknall in Osteuropa stieg das Interesse für die
Deutschen in Rumänien schlagartig an. Plötzlich wurde auch das Todesröcheln
der Banater Schwaben wahrgenommen. Das ist, Gott sei Dank nur nebenbei, auch dem
Ministerpräsidenten des Saarlandes, Oskar Lafontaine, zu verdanken. Zum
Glück sind es aber nicht dessen Deutschtümelei-Theorien, die sich in der
Öffentlichkeit durchgesetzt haben, sondern eher die sachlichen, geschichtlich
und auch geographisch zwar nicht immer einwandfreien, aber von
unvoreingenommenen Informationsabsichten zeugenden Kommentare in den deutschen
Medien.
Die
Banater Schwaben bringen in ihrem Auswanderungsgepäck nicht nur ihre letzten
und liebsten Habseligkeiten mit. Ihr Schicksal beendet das Sein des Volksstammes
der Donauschwaben im geographischen Raum, den ihm die europäische Geschichte
zum Werden, Leben und Vergehen zugewiesen hat. Noch nie wurde das Ende eines
deutschen Volksstammes so bewußt erlebt wie jetzt. Man will dabei sein, denn es
geht letztendlich nicht nur um ein grandioses Spektakel, sondern man verspürt
plötzlich die Faszination des Entdeckens. Da reift ein neues Bewußtsein. Nur
1000 km südöstlich von uns - einst sehr weit, heute nur ein paar
Autobahnstunden entfernt - existierte zweieinhalb Jahrhunderte lang ein
deutscher Volksstamm und wir wußten kaum etwas von ihm. Schnell hin und auf
Filmband festhalten, was noch erkennbar ist.
Während
in den ersten Monaten nach der Wende in Rumänien noch die Berichte über die
miserable soziale Lage der rumänischen Bevölkerung und über die exotischen
Zigeuner überwogen, wendeten sich die Berichterstatter der Fernseh- und
Rundfunkanstalten langsam aber sicher dem Problem der Deutschen in Rumänien zu.
Freilich hat die uneingeschränkt positive Haltung einiger Bonner Würdenträger
- Kohl, Schäuble, Genscher können nur stellvertretend
für viele genannt werden - zu diesem Wandel entscheidend beigetragen.
Als
ein Höhepunkt der Berichterstattung über die Geschichte der Donauschwaben kann
man den am 15. Juni im ARD-Programm "Nachbarn" (13.30 Uhr) gesendeten
Film "Der letzte Schwabenzug" bewerten. Die Besiedlungsgeschichte des
Banats mit seiner Hauptstadt Temeswar wird anhand einer Landkarte und mit Stefan
Jägers Einwanderungstryptichon anschaulich dokumentiert. Mit den Bildern
aus Jahrmarkt, dem Dorf, das baulich wohl die bemerkenswertesten Umwandlungen
vom alten österreichischen Barockstil zu einem neuen, den Bedürfnissen der
Zeit angepaßten Dorfhaus durchgemacht hat, kommt man schnell dem
Schwerpunktthema, das die Autoren sich gesucht haben, näher: der Zerfall des
deutschen Erbes in diesem Dorf und im ganzen Banat.
Das
menschliche Drama der Auswanderung kommt in diesem Film voll zur Geltung. Die
Worte des alten Pfarrers Josef Czirenner, der seine Hand auf der Quelle
des Prinz-Eugen-Brunnens wie auf einem schützenswerten Symbol
donauschwäbischer Urbarmachung ruhen lässt, enthalten den unsagbaren und von
Außenstehenden kaum nachvollziehbaren Schmerz, den das Auflösen einer bislang
intakten Dorfgemeinschaft mit sich bringt: "Da war Leben. Frosinn war in
der Gemeinde, Glück und Zufriedenheit. Schade, daß die Ruinen nur mehr da sind
und die Menschen, die damals so glücklich waren, das alles aufgebaut haben,
sie sind fort. Doch die Ruinen sind geblieben. Es war ein Stück Heimat. ... Wir
sind verschwunden, am aussterben. ... Es ist vorbei. ... Es ist schade, daß
gerade die letzten da so viel leiden müssen. ... Wir gehen zugrunde,
seelisch."
Das
Schicksal vieler zurückgebliebener, alter Menschen ist sehr schwer. Das
Deutsche Forum versucht den gegebenen Verhältnissen entsprechend zu helfen.
Leicht ist das nicht, denn Neid und Antisemitismus machen den Deutschen schwer
zu schaffen.
Das
Wirken der katholischen Kirche kann nur noch in Temeswar und wenigen größeren Ortschaften
aufrechterhalten werden. Bischof Sebastian Kreuter: "Dort (A. d. V.:
in den ehemals deutschen Gemeinden) bleibt nichts anderes übrig, als diese
Kirchen den Orthodoxen zu übergeben, damit sie sie instand halten. Das tut uns
wohl weh, aber die Frage ist nicht anders zu lösen."
Im
Deutschen Theater Temeswar verlieren sich wenige Zuschauer, in ihren Mänteln
vereinsamt und vergessen aussehend. Ildicko Jarcek Zamfirescu versucht
das Noch-Bestehen dieses Hauses zu rechtfertigen.
Die
Lenau Schule ist nur noch vom Namen her eine deutsche Schule. Die deutsche
Schule von Gottlob wird nur von vier Kindern besucht, die von einer
Kindergärtnerin betreut werden.
Die
Bodenreform ist eine Farce, die dem urigen Humor des bäuerlichen
Überlebenskünstlers Hans Tittenhofer aus Gottlob Geltung verschafft:
"Ja, 10 Prozent (A. d. V.: von seinem Feld) werden wir vielleicht
zurückbekommen. Aber wann das ist, weiß man noch nicht, ob im Sommer oder im
Herbst. Feld bekommen zuallererst die 5-Hektar-Bauern. Und nach den 5-Hektar
Bauern, so han mer gsagt, des ware die mit dem Titel, die han s'erscht gholl vun
de Schwowe, net?, un dann bekommen wir auch. Aso, die sin immer die erschte. Die
haben s'erscht bekommen im 45 un die bekommen wieder s'erscht. Un wenn noch was
bleibt bekommen wir auch... Im 45 war ich 15 Jahre alt. Dann, wie die komme sind
und uns alles weggenomme hab'n, hab ich gar net gwußt, was wolle die? Da bin
ich zu mei'm Vatter glaufen: 'Schau. die werfn uns den Stroschuwer um un de
Laubschuwer. Was machen die denn da in dem Hof? - 'Ja', sagt der, 'des is die
reforma agrară. Die nehmen nur dem, der
wu was hat. Der wu nicks hat, dem kann mer nicks wegnehme.'"
Die
Maiers und Köstners aus Wolfsberg in 1000 m Höhe reisen aus. Die
Fernsehkameras sind dabei. Sie zeichnen alles auf. Sie wenden sich auch nicht
ab, wenn die Gefühle hemmungslos aus den Herzen brechen. Schockierend wirkt der
Kontrast: deutscher Abschied - rumänische Hochzeit. Aber die Symbolik dieser
Bilder steht wohl oder übel für die geschichtliche Unumkehrbarkeit der
deutschen Auswanderung aus Rumänien.
"Der
Ausflug der Rumäniendeutschen in die europäische Geschichte scheint
beendet."
Ein
Zug fährt über die endlose Heide gegen Westen: "Banat - Der letzte
Schwabenzug".
Ein
preisverdächtiger Dokumentarfilm ist zu Ende. Wir verdanken ihn Helga Höfer
und Michael Ament, die für die Regie zeichnen, Jochen Dorchholz,
Kamera; Stefan Hartmann, Ton; Christine Süss, Schnitt; Klaus
Schumann, Mischung; Julia Fischer, Sprecherin; Michael Ament,
Redaktion. Eine Sendung des Bayerischen Rundfunks. 1991.
Helga
Höfer hat durch diesen Film nicht nur ihrer Banater Heimat ein Denkmal
gesetzt. Sie hat vielen am Auswanderungsdrama Unbeteiligten in die Seele
gesprochen, was aus den Seelen der unmittelbar Beteiligten spricht.
"Wir
haben eine Lobby." Die Tragik liegt in ihrem späten, viel zu späten
Erwachen. Wäre sie in den Jahrzehnten des kalten Krieges da gewesen, hätten
viele Deutsche für das Aussiedlerproblem eine andere Verständnisbereitschaft
entwickelt.
Mark
Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 11. August 1991
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