"Der
rumänische Verteidigungsminister ist heute Abend Gast in Dagobert Lindlaus
Talkshow", sagte mir ein Arbeitskollege. Victor Stănculescu, ging es mir durch den Kopf,
ein schillernder Name des rumänischen Umsturzes, ein Gewächs der roten
Aristokratie, falls es so etwas überhaupt gibt. Aber was gibt es in Rumänien
nicht alles an Gesellschaftsauswüchsen? Der 1928 geborene Atanasie Victor Stănculescu soll fließend französisch
sprechen und von deutscher Militärliteratur beeindruckt sein. Schon sein Vater
und Großvater waren Berufsoffiziere. Während der antikommunistischen
Revolution ließ er sich angeblich einen Fuß in Gips legen, um an den von
Ceauşescu
angeordneten Unterdrückungsmaßnahmen nicht teilnehmen zu müssen. Schon seit
1985 war der General
Ceauşescus
Erster Stellvertretender Verteidigungsminister und ist zur Zeit Rumäniens
Verteidigungsminister.
Wissen
genug (allerdings aus dritter Hand), um auf den General neugierig zu sein und
bei Feierabend schneller zu agieren, als es dem Meister lieb war. Also nichts
wie heim vor den Bildschirm, die Videokassette rein und mithören, mitdenken,
mitstaunen, mitärgern.
Der
Generaloberst saß da wie aus der Schachtel. Diese Uniform, diese Sterne, nur
die Stiefel fehlten. Ich mußte einmal einem die Stiefel putzen. Heute spür ich
noch die Wut im Leib, wenn ich daran denke. Mein Urgroßvater erzählte mir mal
voller Stolz, daß er dem General die Stiefel putzen durfte. So ändern sich die
Zeiten.
Die
Sendung lief. Der Reporter war bemüht, konkret, direkt und je klarer zu fragen.
Alles vergeblich. Der General war selbstsicher, sein Lächeln überlegen, aber
nicht herausfordernd, und sein Entschluß, genügend zu reden, ohne sich jedoch
die kleinste Blöße zu geben, unverkennbar.
Dagobert
Lindlau: Warum ist er (Ceauşescu)
so schnell an die Wand gestellt worden? Damit er nicht reden kann?
Victor Stănculescu |
Victor Stănculescu (sprach rumänisch, wurde von
einem Übersetzer in Simultanübertragung übersetzt): Von außen gesehen,
von weit entfernt gesehen, ist das das Bild, das die ganze Welt
mitbekommen hat. Die Augenblicke, die wir in diesen Tagen durchlebt haben,
als in verschiedenen Orten im Land geschossen worden ist, gegen die Armee
auch geschossen worden ist, die diesen Revolutionsprozeß ja unterstützt
hat, gab es den Wunsch, daß man möglichst schnell diesen Menschen aus
dem Spiel bringt, nämlich jenen, der diese Konterrevolution weiterhin
aufrechterhalten konnte. Das war eben
Ceauşescu.
Deshalb wurde auch diese Entscheidung getroffen. Sie wurde in der Nacht
vom 24. auf den 25., also in der Weihnachtsnacht, getroffen.
Dagobert
Lindlau: Sie haben mit
Ceauşescu
und seiner Frau gesprochen, während Sie die beiden zum Hubschrauber
gebracht haben. Was ist da geredet worden?
Victor Stănculescu: Ich habe sie bis zum Aufzug
gebracht, der im ersten Stockwerk stand und ich habe gesagt, daß sie los
müßten, losfliegen müßten, denn es gibt hier keinen Ausweg mehr, keine
Lösung mehr. Ich habe gewünscht, daß ich sie loslösen wollte, also von
der Macht loslösen wollte.
Dagobert
Lindlau: Wir wissen, daß das Militär zuständig war für die Ausbildung
von Terroristen in Buzău in der Fallschirmjägerschule und in anderen
Ausbildungslagern. Bisher haben wir geglaubt, das sei Sache der Securitate
gewesen. Haben Sie davon gewußt?
Victor Stănculescu: Das ist keine unrichtige
Information. Nein, es ist eine falsche Information. Wir haben nicht die
Terroristen ausgebildet. In
Buzău gab es eine Einheit. Dort war ja die
wichtigste Fallschirmeinheit, die erste (oder 1.) auch. Dort haben wir keine
Ausländer ausgebildet. Auf das Sie sich beziehen, möchte ich sagen, Sie
beziehen sich also auf diese Schulen der Staatssicherheit, die auf der Grundlage
internationaler Beziehungen, die gewünscht wurden, die durchgesetzt wurden, die
diese Führungskräfte für das Ausland ausgebildet haben.
So
ging es weiter mit Fragen und Antworten zu den Themen Demokratie,
Parteienspektrum, Pressefreiheit und Rolle der Armee in der jetzigen politischen
Konstellation Rumäniens.
Bei
einem Dialogeinwurf des ebenfalls als Gesprächspartner geladenen ehemaligen
Staatssekretärs Klaus Bölling verfiel der General sogar in die alten,
von dem stotternden
Ceauşescu
so
sehr geprägten Losungsantworten, die stets Zweifel an der Objektivität des im
Ausland herrschenden Rumänienbildes beinhalteten: "Ich würde Herrn
Bölling einladen, als mein Gast einen Besuch in Rumänien durchzumachen, um
dort zu sehen, wie wir Demokratie realisieren. Es gibt einige Nuancen, die, das
möchte ich noch einmal sagen, die vielleicht durch die Einflußnahme der
französischen Ader oder durch andere Beziehungen, amerikanische, englische
Verbindungen, die vielleicht nicht so exakt wiedergegeben werden."
Und
dann kam Anneli Ute Gabanyi, die Rumänienexpertin schlechthin, zu Wort.
Freilich ist es schwer, aus der Fülle ihres Wissens das Wichtigste und der
Situation Gerechteste zu sagen. Nein, nein! Gottlob saß ich im Fernsehsessel
und konnte unverletzt tiefer sinken. Was die Rumänienkennerin par excellence
bot, war fast einhellige Zustimmung für den gewieften Taktiker, der es in dem
Chaos der Revolution so gut verstand, im rechten Augenblick die Kurve zu nehmen.
Kein Frontalangriff im offenen Feld, obwohl es in ihrem Buch "Die
unvollendete Revolution" unmißverständlich heißt: "Der Prozeß
gegen eine Gruppe von Securitate-Offizieren, die in Temeswar eingesetzt waren,
wird von Beobachtern schlichtweg als 'Parodie' bezeichnet angesichts der
Tatsache, daß hier untergeordnete Chargen vor Gericht gestellt werden, während
die eigentlichen Verantwortlichen nicht einmal im Zeugenstand erscheinen
müssen. Zu ihnen gehört zweifellos der ehemalige ZK-Sekretär Ion Coman,
dem von
Ceauşescu
die Einsatzleitung der Militär- und Sicherheitskräfte in Temeswar übertragen
worden war, aber auch Generale wie der derzeitige Verteidigungsminister Stănculescu und Innenminister
Chiţac."
Waren
es die großen Sterne des Generals, die sie verhinderten, offen zu provozieren?
Aber was hätte es schon genutzt? Der Reporter hat all seine fachmännischen
Tricks ins Feld geführt, mal naiv, mal zitatenreich fundiert, ohne dem General
sensationelle Antworten entlocken zu können.
Dagobert
Lindlaus Schlußworte sprechen Bände: "Meine Damen und Herren, ich
habe heute eine ganze Menge gelernt. Darunter unter anderem, daß man auch das
direkte Antworten auf eine direkte Frage lernen muß. Das sind wir sehr
gewöhnt. Ich habe in meiner Berichterstattung aus Ihrem (zu Stănculescu)
Land
sehr oft erlebt, daß es eine bestimmte Art der
Wortwahl gibt, die für uns schwer nachzuvollziehen ist."
Die Studiogäste
der ARD-Sendung "Veranda" und die meisten Fernsehzuschauer waren so in
der Mitternachtsstunde des 10. April um eine Erkenntnis reicher. Ich, und mit
mir vielleicht einige wenige aus Rumänien stammende "Veranda"-Zuschauer,
waren um eine Stunde Schlaf ärmer.
Anton Potche
aus BANATER POST, München,
20. Mai 1991
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