Es
liegt Jahrtausende zurück, als Menschen begannen, das Gemeinschaftswesen zu
entwickeln. Mächtige Staaten und riesige Reiche waren das Resultat millenarer
Gestaltungsprozesse an den jeweils existierenden Gemeinschaftsformen. Seit
Menschengedenken waren Aufstieg und Fall eines Reiches direkt mit dem
herrschenden Inhaber der Macht schicksalhaft verbunden. Dieser wurde schon immer
nach der Größe seiner Macht und nach dem Erfolg seines Expansionsdranges
beurteilt. Im Bewußtsein der Menschen überlebten nur jene Herrscher, die eine
erfolgreiche Eroberungspolitik betrieben. Die geographische Größe eines
Reiches ist auch heute noch Maßstab für viele Historiker und
geschichtsbewußte Dilettanten, wenn sie in ihren Werken oder Gesprächen über
Könige und Staatsführer schreiben und reden. Daß ein rücksichtsloses
Expandieren nach außen aber nur möglich ist, wenn im Innern eines Reiches
absolute Ruhe, sprich Diktatur, herrscht, wird auch heute sehr leicht
übersehen.
Wenn man bedenkt,
daß sich das Erkennen des Zusammenwirkens von innen- und außenpolitischen
Bestrebungen eines Herrschers erst seit wenigen Jahrzehnten bei den Menschen als
allgemeines Zivilisationsgut durchgesetzt hat, ist dieser folgenschwere
Denkfehler, dem heute viele gutgläubige Menschen unterliegen, die gegen die
militärische Offensive der UNO-Alliierten am Golf protestieren, verständlich.
Gelingt es nun, einen wegen der Ausdehnung seines Reiches verherrlichten König
(Führer) als Diktator zu entlarven, dann beginnt sein Ansehen zu sinken.
Diktatur, maximale Einschränkung der persönlichen Freiheit, ist das
Schlagwort, das viele Schemata wanken läßt und Größen der Geschichte
stürzen würde. Noch kein Diktator hat freiwillig auf seine Macht verzichtet,
und noch kein Diktator hat die mittels Feuer und Tod begonnene Erweiterung
seines Staatsterritoriums freiwillig abgebrochen.
Auch Saddam
Hussein ist machtbesessen. Kein Mittel ist ihm zu heilig, um im
"Heiligen Krieg" die ganze arabische Welt zu erobern. Er befindet sich
mit seinen Eroberungsgelüsten freilich in bester Gesellschaft: Sargon I.
(König der Akkadier), Tiglatpilesar (König der Assyrer), David
(König der Juden), Nabupolassar (König der Babylonier), Kyaxanes
der Große (König der Meder), Kyros (König der Perser), Harun
al Raschid (Kalif der Abbasiden); um nur einige "Größen der
Geschichte" zu nennen, die im ehrwürdigen Mesopotamien, dem Schoße der
altertümlichen Kulturen, viel Blut für ihre Eroberungen und
Machterhaltungsbestrebungen vergossen haben. Sie alle, und noch einige mehr,
sind, ungeachtet des Leides, das sie über unterjochte Völker gebracht haben,
als Helden, die die Welt verändert haben, in die Geschichte eingegangen. Zu
ihnen will auch Saddam Hussein gehören.
Ein Mensch, der im
ausklingenden 20. Jahrhundert mit vor Stolz geschwellter Brust behauptet, die
Iraker wären ein Volk von Kämpfern (ZDF-Interview mit Saddam Hussein
vom 15. Januar 1990), ist das beredtste Beispiel dafür, daß die
Weltanschauungen im Raum zwischen Euphrat und Tigris weit hinter den Entwicklungen
Europas, Amerikas und des Fernen Ostens zurückgeblieben sind. Unabhängig von
den Religionsunterschieden verharrt man hier in geistigen Strukturen, die weit
in die vergangenen Jahrhunderte zurückreichen. Herrscher über die ganze
arabische Welt zu sein, ist oberstes (vorläufiges) Ziel des irakischen
Diktators. Und danach? Wäre die gewalttätige Ausbreitung des Islam über das
ganze Erdenrund nicht der logische Folgeschritt?; ist der Islam doch bei weitem
nicht die erste Religion, die zu machtheberischen Bestrebungen mißbraucht wird.
Denkt man in dieser Richtung weiter, so hat man einen weltweiten Flächenbrand,
verheerender als alle vorausgegangenen, vor Augen.
Die so erlangten
Erkenntnisse sollten natürlich keine pazifistischen Bemühungen der bei uns
wieder auf den Plan getretenen Friedensbewegung hemmen. Jede Mahnwache und jede
Demonstration für den Frieden ist sinnvoll, solange sie sich gegen den
Kriegsurheber und nicht gegen den Einhaltgebietenden richtet. Wer heute in
Deutschland mit "Amis raus"-Spruchbändern auf die Straße geht und so
ganz nebenbei noch einige Schaufenster zertrümmert, der leugnet die Geschichte
seines eigenen Volkes (insofern er sie überhaupt kennt).
Obwohl die
Erkenntnis, daß es keine gerechten Kriege geben kann, uns nie verlassen
darf, sollten wir doch die schmerzhafte Tatsache zur Kenntnis nehmen können,
daß es manchmal unvermeidlich ist, einen Krieg zur Weltkriegsvermeidung führen
zu müssen. In dieser unglückseligen Situation befindet sich zur Zeit nicht nur
Amerika, sondern alle Staaten der UNO, die Truppen am Golf stationiert haben,
aber auch jene, die aus rationalen Überlegungen dieses unmenschliche
Waffenkreuzen als unvermeidlich erkennen können.
In Anbetracht der
vielen unschuldigen Opfer, die auch dieser Krieg verschuldet, können wir nur
hoffen, daß alles bald vorbei ist!
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 24. Februar 1991
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