Das
geschichtsträchtige Jahr 1990 hat uns kaum Zeit gelassen, Gedenktage
entsprechend ihrer Bedeutung zu erleben oder Persönlichkeiten der Literatur und
Kunst gebührend zu würdigen. So blieb auch weitgehend unbeachtet, daß in
diesem Jahr der Dichter Paul Celan 70 Jahre alt geworden wäre, hätte er
vor 20 Jahren nicht in der Seine den Freitod gefunden.
Am 23. November
1920 erblickte Paul Anczel in einer deutsch-jüdischen Familie in
Czernowitz (Bukowina) das Licht der Welt. Als sensibler Jüngling erlebte er die
Judenverfolgung in der Bukowina und später in Rumänien, nachdem er aus der
seit 1940 zur Sowjetunion gehörenden Heimat geflüchtet war. Seine Eltern
ereilte in einem Vernichtungslager der gewaltsame Tod. Im Dezember 1943 kehrte Anczel
nach Czernowitz zurück, um sein bereits im November 1939 begonnenes und 1941
gezwungenermaßen (Ghetto) abgebrochenes Romanistikstudium fortzusetzen. Er nahm
dann das Studium, allerdings erst im Herbst 1944, wieder auf. Schon ein Jahr
später verließ Paul Anczel die Sowjetunion endgültig, um in Rumänien
ein neues Zuhause zu suchen. Er fand in Bukarest eine Beschäftigung als
Übersetzer und Verlagslektor.
Es wird
vermutet, daß der junge Anczel schon im Jahre 1944 einige seiner ersten
Verse Alfred Margul Sperber anvertraut hatte. Gewiß ist, daß seine
ersten Gedichte in der nur einmal erschienenen Zeitschrift AGORA veröffentlicht
wurden. Die Idee, seine erste Veröffentlichung mit dem Anagramm seines Namens
zu versehen, kam von Jessika Sperber, der Frau Alfred Margul
Sperbers. Fortan unterschrieb Paul Anczel nur noch mit Paul Celan.
1947 begab Paul
Celan sich auf den Weg, den vor ihm schon Millionen Flüchtlinge und
Vertriebene bewältigt hatten. Auf der Ladefläche eines von zwei russischen
Offizieren gefahrenen Militärlastkraftwagens überwand er die
rumänisch-ungarische Grenze und gelangte schließlich nach Wien. Hier erschien
dann auch sein erster Gedichtband Der Sand aus den Urnen. Diesen Band
ließ Celan später zurückziehen, weil er viele, zwar schwer erkennbare,
aber im Endeffekt sinnverändernde Druckfehler enthielt. Dieser unerfreuliche
Vorfall kann schon als Beispiel dienen, wie schwer sich Verleger und später
auch Leser mit den Versen des Dichters aus dem Osten taten.
Im Juli 1948 setzte der in Wiener Literaturkreisen eben
bekannt gewordene Dichter seine Reise in Richtung Westen fort. In Paris fand er
schließlich seine endgültige Heimat. Paul Celan studierte hier Germanistik und
Sprachwissenschaft. Er lebte mit seiner Frau, der Graphikerin Gisele
Celan-Lestrange, in recht bescheidenen Verhältnissen. Den
Lebensunterhalt verdiente er sich als Übersetzer und Lektor für deutsche
Literatur an der Ecole Normale Supérior und natürlich als freier
Schriftsteller. Dem ersten Gedichtband folgten nämlich weitere sieben
Bände, die zwar in Frankreich entstanden, aber alle in deutscher Sprache
geschrieben wurden und mit einer einzigen Ausnahme auch in Deutschland
erschienen sind. Der Dichter selbst mied Deutschland.
Die Sprache
seiner Kindheit blieb aber die Sprache seines Lebens und in ihr schrieb er seine
Gedichte in einer Zeit, als man sich in Deutschland darüber stritt, ob man nach
Auschwitz überhaupt noch Gedichte schreiben könne. Er schrieb in der Sprache,
die er durchaus auch hätte verachten können, die er aber anscheinend als
einzige brauchbare Ausdrucksmöglichkeit seiner Gefühle empfand. Und diese
Gefühle waren dunkel, voller Mystik, schrecklicher Träume und Vorahnungen.
Dementsprechend klingen auch die Gedichte Celans. Die Sprache ist karg,
mit Metaphern durchsetzt. Symbole beherrschen die Verse. Der Leser hat es
schwer, besonders wenn er nach dem schönen Gedicht sucht. Wie sollte das auch
entstehen, bedenkt man, daß der Dichter die Ungeheuerlichkeiten der Ghettos und
Konzentrationslager er- und überlebt hat. Alles, was ihm aus jener Zeit
geblieben war, war die Sprache. Er bediente sich ihr nie zum Geißeln, aber oft
zum Mahnen und Suggerieren: "Hörst du: ich rede zu dir, wenn schwül sie
das Sterben vermehren. / Schweigsam entwerf ich mir Tod, leise begegn ich den
Speeren."
Daß Paul Celan
ein dichtender Wanderer zwischen den Kulturwelten war, zeigen seine
hervorragenden Übersetzungen und Nachdichtungen aus dem Russischen,
Französischen, Englischen und Amerikanischen, Italienischen, Rumänischen,
Portugiesischen, Hebräischen. Er empfand die Dichtung als etwas universal
Verständliches, ähnlich wie die Musik. Man kann sie überall in der Welt, ganz
gleich in welcher Sprache sie geschrieben ist, aufnehmen und in ihr Parallelen
zum eigenen Sein suchen und auch finden. In seiner Rede anläßlich der
Verleihung des Georg-Büchner-Preises (22. Oktober 1960) verkündete der
preisgekrönte Dichter: "Geht man also, wenn man an Gedichte denkt, geht
man mit Gedichten solche Wege? Sind diese Wege nur Um-Wege, Umwege von dir zu
dir? Aber es sind ja zugleich auch, unter wie vielen anderen Wegen, Wege, auf
denen die Sprache stimmhaft wird, es sind Begegnungen, Wege einer Stimme zu
einem wahrnehmenden Du, kreatürliche Wege, Daseinsentwürfe vielleicht, ein
Sichvorausschicken zu sich selbst, auf der Suche nach sich selbst... Eine Art
Heimkehr."
Paul Celan
bekam außer dem Georg-Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und
Dichtung auch den Literaturpreis der Freien Hansestadt Bremen (1958), den
Literaturpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1964) und bereits 1957 die
Ehrengabe des Kulturpreises im Bundesverband der Deutschen Industrie. Nicht
zuletzt auch dadurch hat er sich einen ewigen Platz in der Galerie der deutschen
Dichter erworben. Der Dichter aus der östlichsten deutschen Kulturenklave wurde
von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG als "der bedeutendste Lyriker der
deutschen Nachkriegsliteratur" geehrt.
Als ein Mensch,
der kreuz und quer durch die Sprachen und aus den Sprachen Europas lebte und
dichtete (übersetzte), ist Paul Celan in die Literaturgeschichte
eingegangen. Sein Werk erweist sich in unserer Zeit des Umbruchs und des
Näherrückens mehr denn je als zeit- und grenzenlos.
Anton Potche
aus BANATER POST, München,
20. Januar 1991
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