Das Zweiglein brach ab.
Niemand sah es, nur der Gärtner. Die Adern pumpten noch Blut bis zur Wunde.
Aber das Zweiglein wurde immer dürrer. Und der Gärtner war traurig."
Trotzdem scheint das ungarndeutsche Literaturzweiglein zu sprießen.
Natürlich braucht es Pflege, um zu einem gesunden Ast heranzuwachsen. Es
braucht aber auch Konsumenten, damit seine heranreifende Ernte nicht sinnlos
am Boden verfault. Es wäre schade um die frischen Früchte der deutschen
Literatur in Ungarn, denn wer sie gekostet hat, wird sie mit Recht
schmackhaft finden. Wie ein Körbchen, gefüllt mit genüßlichen Obstarten, mutet Das Zweiglein - Anthologie
junger ungarndeutscher Dichter an.
Der allzu früh verstorbene Claus Klotz
sinniert in seinen kurzen Texten über die Kurzlebigkeit, aber auch
Kurzatmigkeit seines Deutschtums. Seine Assoziationen gebrochenes
Zweiglein - gebeugter, aber nie resignierender Volksstamm sind auch bei den
anderen Dichtern unter verschiedenen poetischen Formen spürbar.
"Denkwürdige
Tage im privaten Frühling" sind die Tage vor ihrer eigenen Geburt. Valeria
Koch (geb. 1949) findet nicht nur in diesem Kurztext über das Gefühl zu
einer wohlklingenden Sprache. Auch ihre Gedichte vermitteln die unmittelbare
Beziehung Gemüt-Umwelt in Formen, denen Reim und Rhythmus noch nicht ganz
abhanden gekommen sind.
"Unser
Morgen wirbelt / für Trost am dritten Tag, / - Zukunft ist / die angebotene
Möglichkeit." Des Grundschullehrers Bela Bayer (geb. 1951) Gedichte
sind nicht länger. Aber wozu mehr Worte? Die Botschaft des bewußten Seins in
einer Heimat, in die man schicksalsgemäß hineingeboren wurde, ist klar
erkennbar.
Unwegsam
und tränenträchtig waren die "Wege durch Schluchten" im Juni 1947.
Auch für den acht Jahre später geborenen Josef Michaelisz ist Flucht
und Vertreibung kein Schnee von gestern. Ohne die beiden furchtbaren
Wörter zu benutzen, gewinnt er flugs die Sympathie des Lesers für die Helden
seiner Erzählung.
Laszlo
Ritzel (geb. 1956) ist auf der Suche nach den Polen seiner Identität:
"Ich weine lachend / Ich bin ein Clown."
Bei
Martha Fata (geb. 1959) hat man als Leser seine Schwierigkeiten mit der
Analyse ihrer Gedichte. Wie soll man sie interpretieren? Sie gefallen einfach.
"Ich
suche dich nicht / suche ich dich nicht? / dich suche ich nicht / nicht dich
suche ich?" Auf diese Art und Weise geht es noch weiter mit den
"Permutationen" des dichtenden Lehrers Alfred Manz (geb. 1960).
So schön kann ein deutsches Sprachexperimet mit der Ebenheit der Puszta sein.
Also
wenn das nicht heimisch klingt: "Was koche mr haint, ma Madl? Soll i o paar
Pflute oder Pfannkichl mache?" Solche Mundartdialoge in "Tornisterlos"
verraten die donauschwäbische Erzählung; Dialoge, die ihre Autorin Eva
Gerner (geb. 1961) im Elternhaus genoß.
Der
junge Seelsorger der methodistischen Kirche, Robert Hecker (geb. 1963),
ging mit sich selbst hart ins Gericht, als er mit seiner jüngsten Vergangenheit
reinen Tisch machte: "Beschützt hat uns die Nacht / erwürgt haben wir uns
selber; / wir, die das Licht / scheuten."
Erst
23 Jahre alt ist Vata Vagyi und was er schreibt, ist Literatur für
starke Nerven. Edgar Allan Poe läßt grüßen. Schade, daß der
Germanistikstudent der Fünfkirchner Universität nicht in einer deutschen
Kulturmetropole lebt und schreibt. Sein Weg ins Literaturrampenlicht wäre
bestimmt leichter.
Viel
Sensibilität für die Natur und Abwehrinstinkte für die sie bedrohenden Gefahren
entwickelt trotz seiner Jugend Robert Becker (geb. 1970) aus Surgetin/Szederkeny:
"Die Militärflugzeuge / weben gerade / das Kondensstreifennetz. / Und
meine Gedanken / hängen schon daran."
Die
von der ungarischen Nachrichtenagentur MTI herausgegebene zweisprachige und
besonders in den ungarischen Touristikzentren vertriebene Zeitung NEUESTE
NACHRICHTEN - DAILY NEWS hat in ihrer Ausgabe vom 8. August 1990 eine Rezension
zu diesem Buch, gezeichnet mit Gregor Mayer, veröffentlicht, worin es
unter anderem heißt: "Der Fortbestand des Schätzungen zufolge 200.000
Seelen starken Ungarndeutschtums hängt am sprichwörtlich seidenen Faden. Nach
dem Krieg verfolgt, dann lange Zeit gerade geduldet und erst in den letzten
Jahren zaghaft gefördert, droht den Ungarndeutschen als Ethnikum die
Assimilation. Umso erfreulicher ist es dann, wenn junge Schriftsteller der
zweiten und dritten Generation nach 1945 mehr als ein Zeichen bloßen
Existierens signalisieren.
Die
in dem jüngst erschienenen, von Johann Schuth redigierten Bändchen Das
Zweiglein präsentierten Autoren sind zwischen 1947 und 1970 geboren,
stammen größtenteils aus dem Süden des Landes, wo Pecs/Fünfkirchen als
kulturelles Zentrum mit dem entsprechenden institutionellen Hintergrund wirksam
wurde, versuchen sich mit Vorliebe in der Lyrik, bevorzugen in der Prosa die
kurzen Formen und verfügen über ein formales und stilistisches Repertoire, das
sich aus der gründlichen Aneignung neuester Entwicklungen in der
binnendeutschen Literatur speist."
Mark
Jahr
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