Ion
Iliescu, der in freier Wahl gewählte Staatspräsident Rumäniens, macht
seiner Vergangenheit alle Ehre. Er war nicht nur ein vorbildlicher Schüler
seines politischen Ziehvaters Ceauşescu, seine
Machterhaltungstriebe scheinen noch ausgeprägter als die seines Vorgängers zu
sein.
Iliescu
hat die bewährte Ceauşescu-Methode, alle
Kritiker als Faschisten, Legionäre und imperialistische Spione von der
Securitate zu entlarven und zum Schweigen zu bringen, verfeinert. Um seine
absolutistischen Regierungs- und Unterdrückungsabsichten zu verschleiern, hat
er schon zum zweiten Mal in seiner kurzen Amtszeit zum teuflischsten Tarnungsakt
kommunistischer Politik gegriffen: durch das Aufhetzen verschiedener
Volksgruppen gegeneinander soll der politische Gegner endgültig ausgeschaltet
werden. Die mittlerweile mit Securitate-Leuten stark unterlaufenen Polizei- und
Militäreinheiten sollen nur noch kosmetische Korrekturarbeiten leisten, die im
allgemeinen Durcheinander nie nachweisbar sind. Daß diese Terrorspezialisten in
bewußt erzeugter Atmosphäre der Verunsicherung und Angst hervorragend operieren
können, haben sie in den vergangenen Monaten des öfteren bewiesen.
Weil
es in Bukarest nicht möglich ist, nationale Minderheiten für politische
Selbstzwecke zu mißbrauchen, wie das im März in Neumarkt (Tîrgu-Mureş) beispielhaft
gelungen war, hat man sich hier der Kumpel aus dem Schil-Tal (Valea Jiului)
bedient. Die Iliescu-loyalen Jungs aus den Bergwerksiedlungen der Südkarpaten
haben ganz schön hingelangt. Die Bukarester Ereignisse vom 13. Juni haben
wieder bestätigt, daß der geistige Schaden, den Ceauşescu hinterlassen
hat, viel schlimmer als die wirtschaftlichen Mißstände ist. Tausendschaften
von meist jungen Bergleuten greifen ohne Bedenken zum Knüppel und schlagen für
Freiheit demonstrierende Menschen brutal zusammen. Die Schaffung der
Voraussetzungen, die einem solchen Handeln zugrunde liegen, müssen in der Ceauşescu-Ära
gesucht werden.
Drei
Generationen Bergleute haben im Kommunismus das analytische Denken verlernt oder
nie gelernt. Daß ihre Masse aber eine brutale Macht darstellt, hat selbst der
hingerichtete "Geliebteste Sohn" der Rumänen erfahren müssen. Der
kommunistische Kronprinz von gestern, Ion Iliescu, hat die
Manipulationstauglichkeit dieser Masse erkannt - hier hat er seinem Lehrer Ceauşescu sogar einiges
voraus - und sie ohne Skrupel zur Repression der Opposition eingesetzt. Er hat
die Massenhysteriefähigkeit der in ihren Bergtälern von der Außenwelt völlig
abgeschlossenen Bergleute schon früh erkannt. Zu seinen ersten Amtshandlungen
nach der Revolution im Dezember 1989 gehörten die Lohnerhöhungen und
Arbeitszeitverkürzungen für die Kumpel. Der vielen Rumänen als
Überlebensphilosophie schon in die Wiege gelegte Servilismus ist bei den
Bergleuten anscheinend besonders ausgeprägt, lief seit der Dezemberrevolution
aber Gefahr, seine Berechtigung zu verlieren. Jetzt haben sie wieder einen
"Conducător",
dem sie gedankenlos folgen können. Der verschafft ihnen sogar die Gelegenheit,
in die ferne Hauptstadt zu fahren und dort nach Herzenslust ihre Kräfte mit den
Mitgliedern der faschistischen "Eisernen Garde" zu messen, von deren
Treiben in den 40er Jahren sie in den Geschichtsstunden gelernt haben. Na, wenn
das kein Abenteuer ist?! Und sie haben gründlich aufgeräumt unter den längst
schon Geschichte gewordenen Legionären.
Mindestens
fünf Tote, Hunderte Verletzte, Zerstörung der Oppositionszentralen, begleitet
von einer Verhaftungswelle, die selbst den Securitate- Maßnahmen aus der Ceauşescu-Zeit höhnt, sind
das Resultat der politischen Umnebelung, in der Millionen Rumänen zur Zeit
leben. Sie haben den Weg zurück nach Europa nicht gefunden und drohen weiter
isoliert zu werden. Der Umsturz im Dezember hat sich nach einfachen
Naturgesetzen vollzogen, wobei die Dialektik der gesellschaftlichen Erneuerung
auf der Strecke blieb. Die lethargische Herde ist instinktiv dem jüngeren und
darum stärkeren Leithengst gefolgt. So einfach ist das in der freien Wildbahn.
Von dort bis zu den komplizierten Gesellschaftsstrukturen Europas ist noch ein
unendlich langer Weg.
In
Rumänien selbst hat sich kaum etwas geändert. Gewandelt hat sich allerdings
das Umfeld, in dem die rumänischen Ereignisse wahrgenommen werden. Die
Weltöffentlichkeit ist hellhöriger und auch aufmerksamer geworden. Man kann
die ausländischen Berichterstatter nicht mehr so leicht mit falschen
Propagandasprüchen hinters Licht führen. Die Politiker der freien Welt sind
viel mißtrauischer als zur Zeit Ceauşescus. Leider sind das
vorläufig die einzigen positiven Aspekte des Rumänien-Problems.
Es
bleibt wenigstens noch zu hoffen, daß die entmutigenden Bilder aus Bukarest
auch über die saarländischen Bildschirme flimmern.
Mark
Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 15. Juli 1990
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