Montag, 2. Juli 2012

Ceauşescu-Methode

Zu "Die Nacht der langen Messer" in "Der Donauschwabe" vom 24. Juni, S. 1:

Ion Iliescu, der in freier Wahl gewählte Staatspräsident Rumäniens, macht seiner Vergangenheit alle Ehre. Er war nicht nur ein vorbildlicher Schüler seines politischen Ziehvaters Ceauşescu, seine Machterhaltungstriebe scheinen noch ausgeprägter als die seines Vorgängers zu sein.
Iliescu hat die bewährte Ceauşescu-Methode, alle Kritiker als Faschisten, Legionäre und imperialistische Spione von der Securitate zu entlarven und zum Schweigen zu bringen, verfeinert. Um seine absolutistischen Regierungs- und Unterdrückungsabsichten zu verschleiern, hat er schon zum zweiten Mal in seiner kurzen Amtszeit zum teuflischsten Tarnungsakt kommunistischer Politik gegriffen: durch das Aufhetzen verschiedener Volksgruppen gegeneinander soll der politische Gegner endgültig ausgeschaltet werden. Die mittlerweile mit Securitate-Leuten stark unterlaufenen Polizei- und Militäreinheiten sollen nur noch kosmetische Korrekturarbeiten leisten, die im allgemeinen Durcheinander nie nachweisbar sind. Daß diese Terrorspezialisten in bewußt erzeugter Atmosphäre der Verunsicherung und Angst hervorragend operieren können, haben sie in den vergangenen Monaten des öfteren bewiesen.
Weil es in Bukarest nicht möglich ist, nationale Minderheiten für politische Selbstzwecke zu mißbrauchen, wie das im März in Neumarkt (Tîrgu-Mureş) beispielhaft gelungen war, hat man sich hier der Kumpel aus dem Schil-Tal (Valea Jiului) bedient. Die Iliescu-loyalen Jungs aus den Bergwerksiedlungen der Südkarpaten haben ganz schön hingelangt. Die Bukarester Ereignisse vom 13. Juni haben wieder bestätigt, daß der geistige Schaden, den Ceauşescu hinterlassen hat, viel schlimmer als die wirtschaftlichen Mißstände ist. Tausendschaften von meist jungen Bergleuten greifen ohne Bedenken zum Knüppel und schlagen für Freiheit demonstrierende Menschen brutal zusammen. Die Schaffung der Voraussetzungen, die einem solchen Handeln zugrunde liegen, müssen in der Ceauşescu-Ära gesucht werden.
Drei Generationen Bergleute haben im Kommunismus das analytische Denken verlernt oder nie gelernt. Daß ihre Masse aber eine brutale Macht darstellt, hat selbst der hingerichtete "Geliebteste Sohn" der Rumänen erfahren müssen. Der kommunistische Kronprinz von gestern, Ion Iliescu, hat die Manipulationstauglichkeit dieser Masse erkannt - hier hat er seinem Lehrer Ceauşescu sogar einiges voraus - und sie ohne Skrupel zur Repression der Opposition eingesetzt. Er hat die Massenhysteriefähigkeit der in ihren Bergtälern von der Außenwelt völlig abgeschlossenen Bergleute schon früh erkannt. Zu seinen ersten Amtshandlungen nach der Revolution im Dezember 1989 gehörten die Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen für die Kumpel. Der vielen Rumänen als Überlebensphilosophie schon in die Wiege gelegte Servilismus ist bei den Bergleuten anscheinend besonders ausgeprägt, lief seit der Dezemberrevolution aber Gefahr, seine Berechtigung zu verlieren. Jetzt haben sie wieder einen "Conducător", dem sie gedankenlos folgen können. Der verschafft ihnen sogar die Gelegenheit, in die ferne Hauptstadt zu fahren und dort nach Herzenslust ihre Kräfte mit den Mitgliedern der faschistischen "Eisernen Garde" zu messen, von deren Treiben in den 40er Jahren sie in den Geschichtsstunden gelernt haben. Na, wenn das kein Abenteuer ist?! Und sie haben gründlich aufgeräumt unter den längst schon Geschichte gewordenen Legionären.
Mindestens fünf Tote, Hunderte Verletzte, Zerstörung der Oppositionszentralen, begleitet von einer Verhaftungswelle, die selbst den Securitate- Maßnahmen aus der Ceauşescu-Zeit höhnt, sind das Resultat der politischen Umnebelung, in der Millionen Rumänen zur Zeit leben. Sie haben den Weg zurück nach Europa nicht gefunden und drohen weiter isoliert zu werden. Der Umsturz im Dezember hat sich nach einfachen Naturgesetzen vollzogen, wobei die Dialektik der gesellschaftlichen Erneuerung auf der Strecke blieb. Die lethargische Herde ist instinktiv dem jüngeren und darum stärkeren Leithengst gefolgt. So einfach ist das in der freien Wildbahn. Von dort bis zu den komplizierten Gesellschaftsstrukturen Europas ist noch ein unendlich langer Weg.
In Rumänien selbst hat sich kaum etwas geändert. Gewandelt hat sich allerdings das Umfeld, in dem die rumänischen Ereignisse wahrgenommen werden. Die Weltöffentlichkeit ist hellhöriger und auch aufmerksamer geworden. Man kann die ausländischen Berichterstatter nicht mehr so leicht mit falschen Propagandasprüchen hinters Licht führen. Die Politiker der freien Welt sind viel mißtrauischer als zur Zeit Ceauşescus. Leider sind das vorläufig die einzigen positiven Aspekte des Rumänien-Problems.
Es bleibt wenigstens noch zu hoffen, daß die entmutigenden Bilder aus Bukarest auch über die saarländischen Bildschirme flimmern.
Mark Jahr 
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 15. Juli 1990

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