Dienstag, 22. Mai 2012

Rumänien nach der Wahl


Die sollen wählen, wen sie wollen. Was geht uns das an? Wir sind weg und die letzten unserer Landsleute sind auf dem Weg hierher. Also Schwamm drüber und... so kann man gewiß einen Kreideschriftzug löschen, aber nie eine bewußt gelebte Vergangenheit. Deshalb haben viele Banater Schwaben den Wahlkampf in Rumänien, die Wahl und deren Ergebnis mit Spannung und Anteilnahme verfolgt.
Wir, die aus diesem Raum kommen und die dortigen Verhältnisse und auch die Mentalitäten der Rumänen besser als so manche Journalisten kennen, haben das Schlimmste geahnt. Wir wollten diese Vorahnungen aber nicht wahrnehmen und haben stoisch mit einem viel zu kleinen Kreis besonnener Rumänen auf die Wende gehofft. Wir sind enttäuscht, obwohl in diesen Tagen der aussagekräftigste Beleg für unsere Auswanderungsgründe geliefert wurde. Die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen in Rumänien sind seit einem halben Jahrhundert gewaltsam aus der europäischen Wertegemeinschaft ausgeschlossen und der Weg zurück nach Europa ist für sie, als Minderheit in Rumänien, dornig.
Die ganze Medienwelt sucht jetzt eifrig nach den Gründen und Hintergründen dieses Wahlergebnisses. Dabei werden von Wahlmanipulationen bis zum männlichen Erscheinungsbild Petre Romans, des designierten Premierministers, alle parteipolitischen und selbst lächerlichen Argumentationen ins Feld geführt. Dadurch rückt der geschichtliche Aspekt des Wahlergebnisses gezwungenermaßen in den Hintergrund. Selbst wenn die Wahlfälschungen mehr als 20 Prozent ausmachen, wie das der Führer der National-Liberalen, Radu Cîmpeanu, behauptet, bleibt das Ergebnis für Iliescu und seine Front-Partei eindeutig. Auch die Schönheit Romans war wohl nicht entscheidend.
Man muß hier die Vergangenheit aufwühlen und die Frage aufwerfen: Wann konnte das rumänische Volk jemals von seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen? Durch säkulare Abhängigkeit von Fremdmächten und internen Diktatoren blieb diesem Volk das Gespür für demokratische Spielregeln versagt. Die Mehrheit der Rumänen waren sich wohl gar nicht bewußt, daß sie die große Chance hatten, sich in den europäischen Liberalisierungsprozeß einzureihen.
Zieht man aber in Erwägung, daß der Drang zur Machterhaltung eine durchaus menschliche Eigenschaft ist, dann kann man sogar für Iliescu und seine Mannschaft ein Quäntchen Verständnis aufbringen. Im Kampf um die Macht kommt auch in echten Demokratien die Moral manchmal zu kurz. Der Unterschied liegt bloß darin, daß da die Medien ihre Rechte zum Recherchieren wahrnehmen und selbst die dunkelsten Machenschaften ans Tageslicht bringen. Können, oder wollen die rumänischem Medien diese, ihrer Branche eigene, Ermittlungs- und Aufklärungsarbeit leisten? Das viel gelobte "Revolutionsfernsehen" soll ja schon ganz auf die Front für Nationale Rettung eingestimmt sein.
Die Nationalitätenfrage könnte den neuen Herren in Bukarest weitere Kopfzerbrechen bereiten. Das Problem der deutschen Minderheit wird voraussichtlich schon in wenigen Monaten der Vergangenheit angehören. Durch den Erfolg der Ungarischen Demokratischen Union, die mit 7,23 Prozent als zweitstärkste Partei aus den Wahlen hervorging, sind aber nationale Meinungsverschiedenheiten und Ansprüche schon vorprogrammiert.
Der Freiheitswind, der 1989 durch Europa wehte, wurde vom rumänischen Stacheldraht abgeschwächt. Er konnte die Rumänen zwar dazu bewegen, den Urheber ihrer materiellen Not zu beseitigen, den geistigen Aufbruch konnte er aber nicht bewirken.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 5. Juni 1990

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