Wir, die aus
diesem Raum kommen und die dortigen Verhältnisse und auch die Mentalitäten der
Rumänen besser als so manche Journalisten kennen, haben das Schlimmste geahnt.
Wir wollten diese Vorahnungen aber nicht wahrnehmen und haben stoisch mit einem
viel zu kleinen Kreis besonnener Rumänen auf die Wende gehofft. Wir sind
enttäuscht, obwohl in diesen Tagen der aussagekräftigste Beleg für unsere
Auswanderungsgründe geliefert wurde. Die Banater Schwaben und Siebenbürger
Sachsen in Rumänien sind seit einem halben Jahrhundert gewaltsam aus der
europäischen Wertegemeinschaft ausgeschlossen und der Weg zurück nach Europa
ist für sie, als Minderheit in Rumänien, dornig.
Die ganze Medienwelt sucht
jetzt eifrig nach den Gründen und Hintergründen dieses Wahlergebnisses. Dabei
werden von Wahlmanipulationen bis zum männlichen Erscheinungsbild Petre
Romans, des designierten Premierministers, alle parteipolitischen und selbst
lächerlichen Argumentationen ins Feld geführt. Dadurch rückt der
geschichtliche Aspekt des Wahlergebnisses gezwungenermaßen in den Hintergrund.
Selbst wenn die Wahlfälschungen mehr als 20 Prozent ausmachen, wie das der
Führer der National-Liberalen, Radu Cîmpeanu, behauptet, bleibt das
Ergebnis für Iliescu und seine Front-Partei eindeutig. Auch die
Schönheit Romans war wohl nicht entscheidend.
Man muß hier die Vergangenheit
aufwühlen und die Frage aufwerfen: Wann konnte das rumänische Volk jemals von
seinem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen? Durch säkulare Abhängigkeit von
Fremdmächten und internen Diktatoren blieb diesem Volk das Gespür für
demokratische Spielregeln versagt. Die Mehrheit der Rumänen waren sich wohl gar
nicht bewußt, daß sie die große Chance hatten, sich in den europäischen
Liberalisierungsprozeß einzureihen.
Zieht man aber in Erwägung,
daß der Drang zur Machterhaltung eine durchaus menschliche Eigenschaft ist,
dann kann man sogar für Iliescu und seine Mannschaft ein Quäntchen
Verständnis aufbringen. Im Kampf um die Macht kommt auch in echten Demokratien
die Moral manchmal zu kurz. Der Unterschied liegt bloß darin, daß da die
Medien ihre Rechte zum Recherchieren wahrnehmen und selbst die dunkelsten
Machenschaften ans Tageslicht bringen. Können, oder wollen die rumänischem
Medien diese, ihrer Branche eigene, Ermittlungs- und Aufklärungsarbeit leisten?
Das viel gelobte "Revolutionsfernsehen" soll ja schon ganz auf die
Front für Nationale Rettung eingestimmt sein.
Die Nationalitätenfrage
könnte den neuen Herren in Bukarest weitere Kopfzerbrechen bereiten. Das
Problem der deutschen Minderheit wird voraussichtlich schon in wenigen Monaten
der Vergangenheit angehören. Durch den Erfolg der Ungarischen Demokratischen
Union, die mit 7,23 Prozent als zweitstärkste Partei aus den Wahlen hervorging,
sind aber nationale Meinungsverschiedenheiten und Ansprüche schon
vorprogrammiert.
Der Freiheitswind, der 1989
durch Europa wehte, wurde vom rumänischen Stacheldraht abgeschwächt. Er konnte
die Rumänen zwar dazu bewegen, den Urheber ihrer materiellen Not zu beseitigen,
den geistigen Aufbruch konnte er aber nicht bewirken.
Anton Potche
aus BANATER POST, München,
5. Juni 1990
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