Zehn Kilometer nordöstlich von Temeswar, der Hauptstadt des Banats, liegt unser Ziel: ein Dorf mit dem lustigen Namen Jahrmarkt, mit ca. 6000 Einwohnern, vorwiegend Lothringer Ursprungs. Luzian Geier, ein Lehrer und Journalist der NEUEN BANATER ZEITUNG, einem deutschsprachigen Blatt mit seinem wöchentlichen Sonderdruck PIPATSCH in schwäbischer Mundart, hieß uns herzlich willkommen. Mato Weiland hatte unser Kommen angekündigt. Nach einem Umtrunk im Hause Geier wurden wir in die Quartiere eingewiesen. Wir mußten uns auf möglichst viele Familien verteilen, denn jeder wollte gerne auch Deutsche zu Gast haben.
Vivat Kerweih!
Es war Pfingstsamstag und wir
kamen schon mitten in die Festlichkeiten hinein. Schon Wochen vorher stand
das ganze Dorf im Zeichen der Kerweih: "'s gett solang vun der
Kerweih geredt, bis see do is". Pfingsten und Kirchweih bilden
zusammen den größten Feiertag in Jahrmarkt.
Kirchweihfest in Jahrmarkt 20./21./22. Mai 1972 |
An diesem Abend zieht die Musikkapelle
durch das Dorf herunter. Es gibt hier zwei Kapellen,
die im Konkurrenzkampf zueinander stehen wie vergleichsweise Bayern und
1860 München. Man darf auf keinen Fall sagen, eine der beiden Kapellen
spiele besser. Man könnte an einen Anhänger der Gegenmusik geraten und
es könnte einem schlimm ergehen.
Mit der Musikkapelle,
die schneidige Märsche und schwäbische
Weisen spielte, kamen junge Burschen und luden mit Wein zum Fest
ein.
Der Kerweihbub geht zu seinem Kerweihmädle und
fordert sie auf, für drei Tage seine Tänzerin und Begleiterin zu sein. Oft
entstehen daraus Verbindungen fürs Leben und manche Eltern von einem
Kerweihmädle sehen den Burschen nicht ungern kommen. Das auserwählte Mädchen
hat die Aufgabe, den Festtagshut ihres Buben schön zu schmücken. Der Kopfputz
wird am Pfingstsonntagmorgen dem Burschen überreicht.
Die ganze Handlung findet unter einem
Vortänzerpaar statt, das berechtigt ist, den Kerweihstrauß (Lebensbaum) zu
tragen. Dieses Paar errang sich im Vorjahr durch die Ersteigerung des
Kerweihstraußes das Recht, den Kerweihzug anzuführen. Die Übernahme dieses
Amtes erfordert einen gefüllten Geldbeutel, deshalb werden dem Paar aus
Tradition die sogenannten Geldleute, zwei Männer, gekleidet in altschwäbische
Tracht, beigegeben.
Überall im Dorf stießen wir bei unseren
Rundgängen und beim Miterleben des Vorabends auf freundliche Leute, deren
Mundart einem Gemisch aus badischem, pfälzischem und hessischem Dialekt glich.
"Un so, liewi Landsleit, geith's uns aa! Mer
kenne ärwete bis mer umfalle..."
Während unseres abendlichen Spazierganges durchs
Dorf beschäftigten wir uns noch mit der Siedlungsgeschichte. Jahrmarkt wurde
mit dem zweiten Schwabenzug, also um 1764, besiedelt, und zwar hauptsächlich
von Deutsch-Lothringern. Man meint in Deutschland zu sein, wenn man Namen wie
Schäffer, Lukas, Schmidt, Weißgerber, Volk, Wagner, Weiß, Steuer, Hummel,
Jakob, Kihm usw. liest und hört.
Bekommt man gar noch Einblick in die
Kirchenbücher des Ortspfarrers der ersten Siedlungsgeschichte, so sieht man,
mit welcher Sorgfalt die geistlichen Herren damals gearbeitet haben. Hinter
jedem Taufname liest man noch, in welchem Gebiet Deutschlands das Heimatdorf
lag. Das Festhalten von Kurmainzisch, Pfälzisch, Lothringisch, Badisch,
Schwarzwälderisch usw. war selbstverständlich.
Als die Banater später der ungarischen
Verwaltung unterstellt wurden, ließ die Sorgfalt in der Führung der
Kirchenbücher merklich nach. Dem magyarischen Pfarrherren lag nichts an der
Erhaltung des Deutschtums.
Erst Josef II. führte das Deutsche als
Amtssprache wieder ein. Während seiner Regierungszeit besuchte er die Banater
Schwaben viermal, was mit ein Grund war, daß er als deren Lieblingskaiser -
barmherziger Kaiser - galt.
In aller Herrgottsfrüh wurden wir am
Pfingstsonntag durch Musik und den Ruf "Vivat Kerweih" geweckt.
Allmählich sammelten sich die Paare, die Mädchen in alten Trachten, die
Burschen mit schönem Kopfschmuck. Es wurde ein stattlicher Zug durch die Gassen
des Dorfes bis in die Kirche. Während des Gottesdienstes segnete der Pfarrer
den Kerweihstrauß, das äußere Zeichen des Festes. Nach dem Hochamt zieht der
Zug zum Gemeindehaus und hier wird nun endlich getanzt bis zum Mittag.
Uns erwartet ein reichlicher Mittagstisch mit
Suppe, Gesottenem, Gebratenem und ausgezeichneten Mehlspeisen als Nachtisch.
Frau Wendling und Frau Kassnel, unsere beiden Hausfrauen, hatten
mit viel Liebe schwäbische Kost serviert.
Nachmittags nahm das lustige Treiben auf dem
Dorfplatz seinen Fortgang. Auf dem Weg dorthin beschäftigten wir uns wieder mit
der Pionierzeit. Uns fielen an den blitzsauberen Häusern über den Hausnummern
verschiedene Zeichen auf, die Geräte wie Eimer, Rechen, Schaufeln, Leitern
usw., darstellten. Sie sind noch Überlieferungen aus der ältesten Siedlerzeit.
Wenn's brennt, muß der Bewohner sofort mit dem betreffenden Gerät zum
Brandplatz kommen. So wurden damals die Feuerprobleme gelöst. Von der Größe
eines Morgens befindet sich bei jedem Anwesen ein in die Tiefe gehendes
Grundstück.
Wie in allen kommunistischen Staaten wurde auch
hier fast der ganze Besitz an Grund und Boden verstaatlicht. Bis auf einen Morgen
beim Haus, der für den Eigenbedarf bebaut werden kann. In diesen Großgärten
findet sich alles, was die Familie an Obst, Gemüse, Beeren, Kartoffeln und
sogar etwas Wein für den täglichen Gebrauch benötigt.
Das Dorf ist schachbrettartig angelegt, mit
breiten Gassen, die allerdings nicht im besten Zustand sind. Für den Ausbau der
Dorfstraße ist der Staat zuständig. Regnen darf es nicht, sonst hätten wir
mit unserem VW-Kombi Malheur.
Kapellmeister Hans Kaszner sen. |
Auf dem Dorfplatz geht nun das
gesellige Treiben weiter. Auf der Tanzfläche wird der Kerweihstrauß
versteigert. Wie schon erwähnt, ist dasjenige Paar im nächsten Jahr
Vortänzer, das den Strauß ersteigert.
Diese Banater Kerweihfeste ziehen
natürlich auch die Zigeuner an mit ihren Verkaufsbuden und Ringelspielen,
zum Teil noch handbetrieben. Dazu wird von den zahlreichen
Familienmitgliedern lautstark mit Trompete und Trommel gespielt. Hier
fühlt man sich wirklich in Ivo Andrić' Zigeunerromantik versetzt.
Die Feierlichkeiten auf dem Dorfplatz mit
viel Tanz gehen weiter. Als der Abend kam, wurde umgezogen ins
Gemeindehaus. Hier wird nun weitergezecht, getanzt und gesungen, die ganze
Nacht, ja sogar der Pfingstmontag wird ins Vergnügen mit einbezogen. Die
Ausdauer der Blaskapelle ist unbeschreiblich.
Wir selbst zogen uns zurück in einen reizenden
laubgängigen Hinterhof. Bei Familie Schäffer fanden wir die
Unterhaltung, die wir suchten. Das Gespräch ging auch darum, ob die
Ostverträge allen Menschen Erleichterungen bringen. Mit der Zeit wird es
möglich sein, daß auch die Banater Schwaben besuchsweise in ihre alte Heimat
reisen können.
Beim Liedgut waren wir alle
erstaunt, wie die Schwäbische Eisenbahn mit allen Strophen auswendig gesungen
wurde. Es war aber nicht das einzige schwäbische Lied. Auch die rumänische
Folklore kam nicht zu kurz. Überhaupt stehen die Leute loyal zu ihrem Staat. Im
Rahmen ihrer Möglichkeiten und des Erlaubten versuchen sie ihr Deutschtum zu
wahren. Herr Schäffer ist Schuldirektor der deutschen Schule.
Am nächsten Morgen,
Pfingstmontag, lösten wir uns aus dem Jahrmarkter Kirchweihfest, um andere
deutsche Dörfer um Temeswar zu besuchen. So kamen wir auch in die Heide nach
Lenauheim, den Geburtsort des aus dem Banat stammenden deutschen Dichters
Nikolaus Lenau. Unter seinem Namen haben die Banater Schwaben in mühseliger
Kleinarbeit ein Heimatmuseum errichtet. Von hier aus fuhren wir weiter nach
Hatzfeld und über Gertianosch nach Temeswar. Die Hälfte der Bevölkerung ist in
diesen Ortschaften bereits rumänisch. Temeswar, die Hauptstadt des Banates,
einst rein deutsch-österreichisch, strahlt noch immer Vergangenheit aus. Leider
reichte die Zeit nicht mehr aus, auch noch Guttenbrunn zu besuchen. Dieses Dorf
wurde einst gegründet von Odenwäldern und Aussiedlern aus dem Ort Gutweil am
Hochrhein bei Waldshut. Hier hätte uns vor allem der Dialekt interessiert.
Erich Häring, Memmingen
aus Neuland,
Salzburg, 9. Juni 1973
(Anmerkung des Bloggers: Obiger Artikel sowie das folgende Video beziehen sich auf das Kirchweihfest in der Banater Gemeinde Jahrmarkt im Jahre 1972. Autor sowohl des Artikels als auch des Filmmaterials ist Herr Erich Häring. Auf diesem Weg möchte ich mich herzlichst für die Überlassung der 8mm-Filmrolle bedanken.)
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