Dienstag, 10. April 2012

Verzögerungstaktik in Bukarest?

      Jeder, der die Lage in Bukarest realistisch einschätzen kann oder will, weiß, daß fast alle Deutschen auswandern wollen. Monsignore Sebastian Kräuter sprach von einigen Zehntausend, die im Banat bleiben wollen oder zumindest noch nicht zur Ausreise entschlossen sind. Daß die rumänischen Paßämter in den letzten drei Monaten viele Pässe an Antragsteller ausgehändigt haben, ist kein Geheimnis. Die Aussiedlerzahlen aus Rumänien sind auch angestiegen. Zu dem großen, von einigen Politikern befürchteten Ansturm von Aussiedlern aus Rumänien auf die bundesdeutschen Aufnahmestellen ist es aber nicht gekommen. Sollte der Oberhirte des Banats die innigsten Wünsche und Sehnsüchte seiner Herde verkannt haben? Nein. Dazu kennt er die Seelen seiner Gläubigen viel zu gut.
      Die Bremse wird vermutlich in Bukarest gezogen; aber nicht nur von den rumänischen Paßbehörden, wie man nach bewährter Logik annehmen müßte, sondern anscheinend auch von der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Ob diese Bremse nun absichtlich von den zuständigen rumänischen und bundesdeutschen Behörden gezogen wird, oder ob ihr Wirken tatsächlich nur die Folge überforderter Bearbeitungsstellen bei den Paßämtern und bei der Botschaft ist, wird schwer zu ermitteln sein. Auf jeden Fall ist es unhaltbar, wenn die Leute öfters den beschwerlichen und kostspieligen Weg nach Bukarest machen müssen, um ein Visum in die endlich erhaltenen Pässe zu bekommen.
      Das Boot ist voll, verkünden hier apokalyptische Visionäre unter der erlauchten Führung des roten Katastrophenbeschwörers Lafontaine und des braunen Bierzeltkanzlers Schönhuber. Würde hinter einem der beiden nicht die traditionsreichste, tief in der Geschichte der deutschen Demokratie verwurzelte Partei stehen, ihr Vorstand sogar geschlossen, wäre das alles nicht so tragisch. Diese Partei mobilisiert aber eben aus ihrer Tradition heraus ein gewaltiges Wählerpotential. Aus diesem Grund reagiert Bonn nervös, wenn der Querdenker - für viele ein progressives Wort - aus dem Saarland sich hinter einem Rednerpult wendet.
      Zwei Übel liegen der Bonner Regierung besonders schwer verdaulich im Magen: die Übersiedler und die Aussiedler. In einem Wahljahr könnten solche Übel zu schmerzlichen Brechreizen führen. Also muß man versuchen, sich ihrer zu entledigen. Der Stopp des Notaufnahmeverfahrens für Übersiedler scheint angesichts der hoffnungsvollen Zukunftsperspektiven Deutschlands nicht allzu tragisch zu sein. Damit wäre das eine Übel aus der Welt geschafft. Bleibt noch das zweite, die Aussiedler. Unterhält man sich mit Leuten, die aus Rumänien kommen, so hört man immer wieder von den Verzögerungen, die bei der Visaerteilung in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland auftreten. Da drängt sich doch die Frage auf: Versucht man durch begrenzte Visaerteilung den Aussiedlerstrom zu regulieren?
      Für unsere Landsleute könnten diese Verzögerungen äußerst gefährlich werden. Man weiß doch, wie schnell regionale Nationalitätenkonflikte auf ein ganzes Land übergreifen können. Die pogromartigen Ausschreitungen in Neumarkt (Tîrgu Mureş) sollten den deutschen Politikern zu denken geben. Wenn die Gemüter sich tatsächlich an den Forderungen der ungarischen Bevölkerung so erhitzt haben, dann müßte man doch bedenken, daß die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen mit ähnlichen Forderungen an die rumänische Regierung herangetreten sind.
      Was helfen alle geschichtlich und menschlich begründeten Berechtigungen der erhobenen Ansprüche, wenn man als kraftlose Minderheit einer außer Kontrolle geratenen Volksmasse gegenübersteht, die nach vierzigjährigem menschenunwürdigem Dahinsiechen überall Feindbilder sucht, um die angestaute Wut loszuwerden. Es ist höchste Zeit, daß die Verantwortlichen in Bonn und Bukarest den Ernst der Lage erkennen und Wege suchen, damit die ausreisewilligen Deutschen je schneller das Land verlassen können. Bonn sollte nicht warten, bis Schreckliches geschieht und Sicherheitsgarantien für die zum Bleiben entschlossenen Landsleute von der rumänischen Regierung einfordern.
      Die Äußerungen Mircea Dinescus gerade in Budapest müssen sehr ernst genommen werden: "Das Nationalitätenproblem ist bei uns so gravierend, so bedeutend, daß es unsere ganze junge Demokratie gefährden könnte. Was wir jetzt in Rumänien am allerwenigsten brauchen, ist ein neues Karabach. Sie wissen, was ich meine: ein neues Karabach in Siebenbürgen. Man kann es auch umschreiben: ein echtes Blutbad."
      Die Worte dieses rumänischen Dichters und Revolutionärs sollten in Bonn ein viel größeres Gewicht haben als die leeren Worthülsen Lafontaines und Schönhubers.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 20. April 1990

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