Oskar Pastior: „Villanella &
Pantum“, Gedichte, Carl Hanser Verlag, München, Wien, 2000; ISBN
3-446-19927-6; DM 28,--.
Das
ist eine erlesene Runde, ganz ohne Zweifel. Ich meine die Jury der
Südwest Rundfunk-Bestenliste. Namen wie Verena Auffermann,
Helmuth Karasek, Sigrid Löffler, Iris Radisch
und 29 andere sprechen für sich. Alles Literaturkritiker/innen der
berühmtesten deutschen Feuilletons.
Im
September stand auf Platz 10 (dem letzten) dieser Liste der
Gedichtband Villanella & Pantum von Oskar
Pastior. Ach was, sage ich mir, wieder so verrückte Gedichte wie
vor acht Jahren in Vokalisen & Gimpelstifte. Etwa
so „ABRAKADABRA, NACHMALS / tartar, nachmals kandahar- / kardan
(als das paar am dach / als haarschwamm kam) nachmals spar- / sarg,
nachmals makadamma- / dam, nachmals kamtschatka (als / das anagramm
banal war)“. Damals (April 1992) waren neben dem aus Hermannstadt
stammenden Oskar Pastior gleich zwei weitere Verseschmiede mit
biographischen Bezugspunkten zu Rumänien in dieser Liste vertreten:
Werner Söllner und Paul Celan.
Nein,
das tu ich mir nicht an. Was für Literaturwissenschaftler
geschrieben ist, soll auch von diesen gelesen werden. Meine Vernunft
hat diesmal wirklich die Neugierde besiegt. Endlich nicht schwach
geworden! Die Siege über sich selbst bleiben doch stets die
heroischsten. Ja, ich habe im September keine Buchhandlung betreten
und sehe mir die SWR-Bestenliste im 3sat-Videotext erst im Oktober
wieder an …
1.
Villanella & Pantum,
Oskar Pastior,
Gedichte, 36 Punkte. Mittlerweile
werden mehrere der geschätzten Jurymitglieder das Buch gelesen
haben. Es muss ihnen doch gefallen haben. Hm! Bei dieser Punktezahl.
So ohne Wert werden Punkte doch nicht vergeben. Na ja, wenn die es so
sehen. Sollte ich vielleicht doch? 28 DM sind ja nicht die Welt.
Schon die gleichen rumäniendeutschen Wurzeln müssten doch einen
Kauf rechtfertigen. Wenn also die werten Kritiker … Schließlich
und endlich ist man ja auch um acht Jahre älter geworden, sozusagen
gereift, und vielleicht sogar glücklicher Nutznießer einer
unbewussten Geschmacksveredelung. Letztendlich muss man ja nicht dem
Oktober opfern, was man sich für den September vorgenommen hatte.
Kurz und schmerzlos: Das Buch liegt vor mir auf dem Tisch. Nein,
dort lag es am Anfang. Jetzt liegt es auf dem Teppich vor meinem
Bett, nicht achtlos, auch nicht wutentbrannt hingeschmissen. Das
beweisen schon die ihm Gesellschaft leistenden Duden,
Fremdwörterbuch, Lexikon, französisch-deutsches und
englisch-deutsches Wörterbuch.
„da
kirnt es burn und prap im sfink- / tersfinx am aggregau was heliotrop
/ sucht barneby im kopf zum crawlin“. Kirnen, klärt mich ein Duden auf, wäre buttern oder Erbsen aus den
Hülsen lösen; burn wohl brennen, meint Langenscheids
Millenium-Wörterbuch Englisch-Deutsch; heliotrop
könnte sowohl eine Sonnenwende, eine Zimmerpflanze, ein Gerät zum
Sichtbarmachen eines entfernten Messpunktes oder ein Mineral sein,
erfahre ich in einem Lexikon; mit crawling wird vielleicht kriechen,
krabbeln gemeint sein. Von Aufatmen kann nach so
vielen Erkenntnissen aber bei weitem keine Rede sein. Zu viel bleibt
ohne Sinn.
Dabei
gibt er sich doch alle Mühe, mir zu helfen, der gute Oskar
Pastior.
In einem ausführlichen Nachwort
und Agnotationen
sowie weiteren Hinweisen
auf Besonderheiten, auf zusätzliche Spielarten, Macharten, Gangarten
in einigen Texten
sind Villanella
als italienisches Bauernliedchen mit „gemeinem, bübischem,
schändlichem und niederträchtigem“ Inhalt und Pantum als
Malaiische Strophenkonstruktion erläutert.
Ich
erfahre da von „nominalen Häufungen und Wörterlisten, die zum
permutativen Wucher mit ihren manifest verborgenen Gemeinsamkeiten
einladen“. Aha! „kaldaunen kalmücken orion kalauern /
gemeinsamkeiten,
die sich zeigen in / kollekten kollegen portagen & ibris“. Kapiert?
Noch immer nicht? Nur nicht aufgeben! Da, eine klare Entschlüsselung:
„Schnurrt – warum eigentlich nicht? - die »ganze
Zeile«
nur auf 1 Silbe zusammen, so wird die fortlaufende Durchführung des
Pantums zum »Problem
der Anschlussfähigkeit hüpfender Silben in erstrebten sinnfälligen
Wortzusammenhängen«.“
Also
versuche ich‘s. kolben
und zehen
heißt das Beispiel. „a) rohmais orphisch / (silbe für zeile/zeile
für walze) // paarweis war mais / weiß wie mais nie / wie doch nie
roch / doch er roch sehr / er nur sehr stur / nur kam stur zahn / kam
ei zahn erb / erbteil eiweiß / teils aus weiß raus / aus paar aus
war // b)
pantum aus rohmais orphisch // paarweis war mais / weiß wie mais nie
/ wie doch nie roch / - doch er roch sehr // weiß wie mais nie / er
– nur sehr stur / doch er roch sehr / nur kam sturz ah- // ner –
nur sehr stur / kam ei zahn erb / nur kamst du urzahn / erbteil
eiweiß“. (Das
Gedicht ist hier noch nicht zu Ende.)
Jetzt
liege ich da und denke nach, nein, nicht über die Techniken von
Villanellen
und
Pantums, auch nicht über den Sinn sinnloser Inhalte, eben
Sinnesleeren. Über die schier unüberbrückbare Kluft, die in
Deutschland zwischen Kritikern, also den sogenannten (oder nur selbst
ernannten?) Eliten des Literaturbetriebes und den Lesern (durchaus
auch anspruchsvoller Literatur) klafft, mache ich mir Gedanken.
Zu
all dem ist sie auch noch teuer, diese Art von Literatur, und sie
kommt mich von Tag zu Tag teurer zu stehen, denn meine bessere
Ehehälfte wird sich bis Heilig Abend jede menge Textilien und
Schmuck zulegen, ohne Gefahr zu laufen, von mir auf die Preise
aufmerksam gemacht zu werden. Wer für so einen Schmarren (sie meint
natürlich dieses und andere Bücher) Geld ausgibt, braucht mich
nicht zum Sparen ermahnen, höre ich sie schon jetzt siegesgewiss
argumentieren. Also werde ich schweigen.
Mark Jahr
aus KARPATENRUNDSCHAU,
Kronstadt, 28. Oktober 2000