Dienstag, 2. September 2025

Also werde ich schweigen

Oskar Pastior: „Villanella & Pantum“, Gedichte, Carl Hanser Verlag, München, Wien, 2000; ISBN 3-446-19927-6; DM 28,--.

Das ist eine erlesene Runde, ganz ohne Zweifel. Ich meine die Jury der Südwest Rundfunk-Bestenliste. Namen wie Verena Auffermann, Helmuth Karasek, Sigrid Löffler, Iris Radisch und 29 andere sprechen für sich. Alles Literaturkritiker/innen der berühmtesten deutschen Feuilletons.
Im September stand auf Platz 10 (dem letzten) dieser Liste der Gedichtband Villanella & Pantum von Oskar Pastior. Ach was, sage ich mir, wieder so verrückte Gedichte wie vor acht Jahren in Vokalisen & Gimpelstifte. Etwa so „ABRAKADABRA, NACHMALS / tartar, nachmals kandahar- / kardan (als das paar am dach / als haarschwamm kam) nachmals spar- / sarg, nachmals makadamma- / dam, nachmals kamtschatka (als / das anagramm banal war)“. Damals (April 1992) waren neben dem aus Hermannstadt stammenden Oskar Pastior gleich zwei weitere Verseschmiede mit biographischen Bezugspunkten zu Rumänien in dieser Liste vertreten: Werner Söllner und Paul Celan.
Nein, das tu ich mir nicht an. Was für Literaturwissenschaftler geschrieben ist, soll auch von diesen gelesen werden. Meine Vernunft hat diesmal wirklich die Neugierde besiegt. Endlich nicht schwach geworden! Die Siege über sich selbst bleiben doch stets die heroischsten. Ja, ich habe im September keine Buchhandlung betreten und sehe mir die SWR-Bestenliste im 3sat-Videotext erst im Oktober wieder an …
1. Villanella & Pantum, Oskar Pastior, Gedichte, 36 Punkte. Mittlerweile werden mehrere der geschätzten Jurymitglieder das Buch gelesen haben. Es muss ihnen doch gefallen haben. Hm! Bei dieser Punktezahl. So ohne Wert werden Punkte doch nicht vergeben. Na ja, wenn die es so sehen. Sollte ich vielleicht doch? 28 DM sind ja nicht die Welt. Schon die gleichen rumäniendeutschen Wurzeln müssten doch einen Kauf rechtfertigen. Wenn also die werten Kritiker … Schließlich und endlich ist man ja auch um acht Jahre älter geworden, sozusagen gereift, und vielleicht sogar glücklicher Nutznießer einer unbewussten Geschmacksveredelung. Letztendlich muss man ja nicht dem Oktober opfern, was man sich für den September vorgenommen hatte. Kurz und schmerzlos: Das Buch liegt vor mir auf dem Tisch.
Nein, dort lag es am Anfang. Jetzt liegt es auf dem Teppich vor meinem Bett, nicht achtlos, auch nicht wutentbrannt hingeschmissen. Das beweisen schon die ihm Gesellschaft leistenden Duden, Fremdwörterbuch, Lexikon, französisch-deutsches und englisch-deutsches Wörterbuch.
da kirnt es burn und prap im sfink- / tersfinx am aggregau was heliotrop / sucht barneby im kopf zum crawlin“. Kirnen, klärt mich ein Duden auf, wäre buttern oder Erbsen aus den Hülsen lösen; burn wohl brennen, meint Langenscheids Millenium-Wörterbuch Englisch-Deutsch; heliotrop könnte sowohl eine Sonnenwende, eine Zimmerpflanze, ein Gerät zum Sichtbarmachen eines entfernten Messpunktes oder ein Mineral sein, erfahre ich in einem Lexikon; mit crawling wird vielleicht kriechen, krabbeln gemeint sein. Von Aufatmen kann nach so vielen Erkenntnissen aber bei weitem keine Rede sein. Zu viel bleibt ohne Sinn.
Dabei gibt er sich doch alle Mühe, mir zu helfen, der gute Oskar Pastior. In einem ausführlichen Nachwort und Agnotationen sowie weiteren Hinweisen auf Besonderheiten, auf zusätzliche Spielarten, Macharten, Gangarten in einigen Texten sind Villanella als italienisches Bauernliedchen mit „gemeinem, bübischem, schändlichem und niederträchtigem“ Inhalt und Pantum als Malaiische Strophenkonstruktion erläutert.
Ich erfahre da von „nominalen Häufungen und Wörterlisten, die zum permutativen Wucher mit ihren manifest verborgenen Gemeinsamkeiten einladen“. Aha! „kaldaunen kalmücken orion kalauern / gemeinsamkeiten, die sich zeigen in / kollekten kollegen portagen & ibris“. Kapiert? Noch immer nicht? Nur nicht aufgeben! Da, eine klare Entschlüsselung: „Schnurrt – warum eigentlich nicht? - die »ganze Zeile« nur auf 1 Silbe zusammen, so wird die fortlaufende Durchführung des Pantums zum »Problem der Anschlussfähigkeit hüpfender Silben in erstrebten sinnfälligen Wortzusammenhängen«.“ Also versuche ich‘s. kolben und zehen heißt das Beispiel. „a) rohmais orphisch / (silbe für zeile/zeile für walze) // paarweis war mais / weiß wie mais nie / wie doch nie roch / doch er roch sehr / er nur sehr stur / nur kam stur zahn / kam ei zahn erb / erbteil eiweiß / teils aus weiß raus / aus paar aus war // b) pantum aus rohmais orphisch // paarweis war mais / weiß wie mais nie / wie doch nie roch / - doch er roch sehr // weiß wie mais nie / er – nur sehr stur / doch er roch sehr / nur kam sturz ah- // ner – nur sehr stur / kam ei zahn erb / nur kamst du urzahn / erbteil eiweiß“. (Das Gedicht ist hier noch nicht zu Ende.)
Jetzt liege ich da und denke nach, nein, nicht über die Techniken von Villanellen und Pantums, auch nicht über den Sinn sinnloser Inhalte, eben Sinnesleeren. Über die schier unüberbrückbare Kluft, die in Deutschland zwischen Kritikern, also den sogenannten (oder nur selbst ernannten?) Eliten des Literaturbetriebes und den Lesern (durchaus auch anspruchsvoller Literatur) klafft, mache ich mir Gedanken.
Zu all dem ist sie auch noch teuer, diese Art von Literatur, und sie kommt mich von Tag zu Tag teurer zu stehen, denn meine bessere Ehehälfte wird sich bis Heilig Abend jede menge Textilien und Schmuck zulegen, ohne Gefahr zu laufen, von mir auf die Preise aufmerksam gemacht zu werden. Wer für so einen Schmarren (sie meint natürlich dieses und andere Bücher) Geld ausgibt, braucht mich nicht zum Sparen ermahnen, höre ich sie schon jetzt siegesgewiss argumentieren. Also werde ich schweigen.
Mark Jahr

aus KARPATENRUNDSCHAU, Kronstadt, 28. Oktober 2000


Dienstag, 19. August 2025

Johrmarker Sprich un Sprichelcher - 213

  In der Not fresst de Teiwl aah Brotworscht.

☻     ۩     ☺

Gsammelt vum Frombach Franz alias Gerwer Franz  (1929 - 1999)

Dienstag, 12. August 2025

Letzter Weg des Klosterspirituals Franz Urban

Timisoara=Temeswar, 7. September. Unter großer Beteiligung wurde gestern in Giarmata=Jahrmarkt der ehemalige Klosterspiritual im 4. Bezirk Franz Urban zu Grabe getragen. Der vortreffliche Priester, der, als er den Tod nahen fühlte, seinem Wunsch gemäß in das Elternhaus überführt wurde und auch dort starb, hatte auch den Wunsch geäußert, daß man ihn in einfacher Weise, ohne besonderen Pomp beerdigen möge. Man hielt sich auch womöglich nach diesem Wunsch und wenn auch Klosterspiritual Franz Urban in einem einfachen Holzsarg gebettet wurde, so gestalteten die Anerkennung und die Liebe dennoch das gestrige Begräbnis zu einer wahrhaft imposanten Trauerkundgebung.
Die gesamte Bevölkerung der Gemeinde Giarmata=Jahrmarkt zog zum Begräbnis aus. Außerdem kamen zahlreiche Priester, um dem verblichenen Altarbruder das letzte Geleite zu geben; aus unserer Stadt begaben sich Vereine und Deputationen zu dem Begräbnis. Von Seiten der Geistlichkeit waren erschienen: […] der Lipova=Lippaer Spiritual Peter Strubert mit Kaplan Josef Bledy […] der Ortspfarrer Erzdechant Nikolaus Anton mit Kaplan Hönig und der Ciacova=Csakovaer Dechantpfarrer Martin Kilczer, ein Schulkollege des Verblichenen, der nach dem Wunsch des Letzteren die Trauerzeremonie vollzog. […]
Der Leichnam war im Trauerhause aufgebahrt, umgeben vom Vater und Bruder des Verblichenen. Hier vollzog Pfarrer Kilczer die Trauerzeremonie. Der Trauerzug begab sich in die Kirche, wo Erzdechant Nikolaus Anton das Libera vollzog. Dechantpfarrer Martin Kilczer begab sich auf die Kanzel und verabschiedete in rührender Weise den Verblichenen.
Nach der Trauerrede sang der Kirchenchor. Der Zug begab sich hierauf nach dem Friedhof, wo vier Priester, Julius Lamoth, Johann Schmidt, Josef Bruckler und Dr. Hoffmann, den Sarg vom Leichenwagen hoben und bis zum Grab trugen. Dort vollzog Pfarrer Kilczer die noch übliche Trauerzeremonie und es sangen die Aspirantinnen der Schulschwestern und der gemischte Chor von Giarmata=Jahrmarkt je einen Trauerchor. Dann wurde der Sarg in das Grab gesenkt.

aus TEMESVARER ZEITUNG, Temesvar, 8. September 1937

Montag, 4. August 2025

Probleme nicht bagatellisieren

Zum Artikel Bürger sind keine großen Visionäre (DK vom 14./15. Oktober):
Mindestens eine der Darstellungen in diesem Artikel ruft förmlich nach Präzisierung. Der Anrufer, dem „die Frage einfiel, weshalb und warum die Bahn überhaupt so viel rangieren muss“, bezog sich nur auf das Rangieren in der Nacht, und auch dies ganz speziell nur auf zwei Gleisen, die unmittelbar an der mittlerweile dicht besiedelten Martin-Hemm-Straße liegen. Wo sonst, wenn nicht vor der eigenen Haustür, sollen Visionen für umweltgestresste Bürger beginnen? In einer Zeit zunehmender Klagen über den Verlust überschaubarer, Geborgenheit vermittelnder Räume darf man die Probleme des Einzelnen nicht bagatellisieren. Sie auszuwerten und in Visionen einzubinden oder gar solche aus ihnen sprießen zu lassen, wären für gewählte und berufene Stadträte Betätigungsfelder, die freilich weit über das politische Alltagsgeschäft hinausreichen.
Besagter Anrufer (der Unterzeichner dieses Briefes) hat bei seinem dreisten Anliegen auch ausdrücklich betont, dass es ihm lediglich um ein sachliches Gespräch zwischen Stadt und Bahn gehe, das eine Problemlösung oder eine Umstandsmilderung herbeiführen könnte. Abwegig? Vielleicht noch! Aber was könnte ein Visionär sich Schöneres vorstellen, als eine Zeit, in der Gespräche mehr erwirken als medienwirksames Rufen nach Schallschutzwänden, Initiieren von Unterschriftensammlungen, Gründen von Bürgerinitiativen, Anrufen von Gerichten und vieles dergleichen. Immer betrachtet aus Sicht der jeweilig Betroffenen, erschließt sich uns so ein Thema zum „Tag der Visionen“ mit wahrlich menschlicher Dimension.

Anton Potche

aus DONAUKURIER, Ingolstadt, 18. Oktober 2000

Montag, 28. Juli 2025