Dienstag, 14. Oktober 2025

Johrmarker Sprich un Sprichelcher - 215

 In die Supp schaue meh Aue nin wie raus.

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Gsammelt vum Frombach Franz alias Gerwer Franz  (1929 - 1999)

Donnerstag, 9. Oktober 2025

Glockenweihe in Jahrmarkt

Gestern nachmittag um 6 Uhr fand in Jahrmarkt die Einweihung der dritten Glocke statt, die 6,5 Meterzentner wiegt und in der Arader Glockengießerei Hönig hergestellt wurde. Die neue Glocke kostet samt dem Glockenstuhl ungefähr 200.000 Lei, welche Summe die Jahrmarkter durch eine Sammelaktion aufgebracht haben. Die Weihe vollzog apostolischer Administrator Augustin Pacha, der nach Beendigung seiner Herbstfirmreise im Arader Komitate sich nach Jahrmarkt begab, um die neue Glocke einzuweihen. Der Kirchenfürst wurde vor dem Dorfe von der ganzen Gemeinde mit der Lorißschen Kapelle empfangen und vom Konsistorialrat Nikolaus Anton willkommen geheißen. Nach der Glockenweihe kehrte der Oberhirt in Begleitung des bischöflichen Sekretärs Dr. Josef Waltner und Konsistorialnotärs Michael Willung nach Temesvar zurück.

aus BANATER DEUTSCHE ZEITUNG, Temesvar, 28.September 1926

Donnerstag, 2. Oktober 2025

Über die unendliche Geschichte vom Warten

Nikolaus Wolcz inszenierte in Ingolstadt das Schauspiel 
Warten auf Godot von Samuel Beckett

Wie frustrierend Warten sein kann, wissen auch viele von uns Banater Schwaben. Allzu oft haben wir doch Tag für Tag die Augen geöffnet und unseren ersten Gedanken dem „Briefträger“ gewidmet. Dann kam um die Mittagsstunde die große Enttäuschung. Er ging vorbei oder warf lediglich einen Brief oder die Zeitung in den Postkasten. Die ersehnte berühmt-berüchtigte Karte für die „Kleinen“, die „Großen“ oder gar den Pass bekam der Nachbar, irgendein anderer, vielleicht auch niemand im Dorf. Da gesellte sich zur Enttäuschung oft auch Missgunst und verdrängter Neid, der manchmal sogar Verwandte, Freunde und in Einzelfällen sogar Geschwister traf.

Doch das Leben erhaltende Prinzip Hoffnung gewann meist schon im Laufe des gleichen Nachmittags die Oberhand. Morgen ist ja noch ein Tag! Samuel Beckett (1906 – 1989) hat das Warten als ein universales Phänomen ins Auge gefasst und seine Interpretation in einer manchmal grotesken, dann aber wieder nachvollziehbaren Theaterfassung zu Papier gebracht. Sein Schauspiel Warten auf Godot stand im September und Oktober auf dem Spielplan des Theaters Ingolstadt. Dahin lenkte ich meine Schritte, getrieben von der Neugierde, wie wohl andere mit diesem Leerlaufgefühl, und das noch in zugespitzter Theatermanier, zurechtkommen. Welcher Sinn hat ihr Warten? Die Protagonisten dieses beckettschen Wartens sind zwei wirklich liebenswerte Gestalten: verlumpt, hungrig, mit Schweißfüßen, aus dem Hals riechend und anderen gebrechlichen Tugenden oder tugendhaften Gebrechen. Kurzum, zwei harm- und obdachlose Landstreicher: Estragon, genannt Gogo (Stephan Mertl) und Wladimir, genannt Didi (Friedrich Schilha). Sie warten auf Godot.
Um es vorwegzunehmen: Godot ist bis heute nicht gekommen. Das mag den FAZ-Feuilletonisten Gerhard Stadelmaier vor einem Jahr zur Überschrift seines Aufsatzes inspiriert haben: Komm, wir gehen. Fünfzig Jahre Warten auf Godot. Er meint, der Erfolg dieses Stückes fuße auch darauf, „dass die meisten Regisseure und Schauspieler sowie Literaturwissenschaftler nach Godot fragen, die wenigsten nach Didi und Gogo“.
v.l.: Mehmet Yilmaz (Lucky), Stephan Mertl (Gogo),
Johannes Langer (Pozzo), Friedrich Schilha (Didi) 
 FotoQuelle: "Theter für Ingolstadt, Intendanz Wolfram Krempel"
Also bei der Ingolstädter Wolcz-Inszenierung hatte ich diesen Eindruck nicht. Gott sei‘s Dank! Die zwei verdienen auch wirklich alle Sympathien und fordern manchmal leider auch unsere Anteilnahme heraus. Sie brechen einen Streit aus dem Nichts vom Zaun und versöhnen sich wieder in kindlicher Freude. Gogo erweist sich als Voyeur, während Didi seine dauernd drückende Blase entleert. Wenn dann der machtbesessene Pozzo (Johannes Langer) mit seinem versklavten Hofnarr Lucky (Mehmet Yilmaz) erscheint, ziehen Didi und Gogo alle Register ihrer Auflehnungs- und Anpassungsvariationen. Nachdem Pozzo und Lucky verschwunden sind, geht das lebensnahe Schwanken zwischen Niedergeschlagenheit und Himmelhoch-Jauchzen munter weiter, nur ab und zu unterbrochen von dem Leitmotiv: „Komm, wir gehen. (Gogo) / Wir können nicht. (Didi) / Warum nicht? (Gogo) / Wir warten auf Godot. (Didi).“ Und so warten sie heute noch, immer wieder von einem abends erscheinenden Knaben (Sebastian Singer) dazu ermutigt.
Beckett hat unserem lebenshungrigen und als sinnvoll empfundenen Alltagswarten das sinnlose, nur von vagen Hoffnungen getragene Warten entgegengestellt. Dieses Stück hat Theatergeschichte geschrieben. Es wurde 1953 in Paris uraufgeführt und hat seither die Spielpläne der Theaterhäuser nie verlassen. Schauspieler wie Buster Keaton, Marlon Brando oder Steve McQueen versuchten sich in den Rollen dieses Schauspiels. Nikolaus Wolcz hat damit die Theatersaison 2000/2001 in Ingolstadt eröffnet und gezeigt, dass er nicht nur ein Meister des großen, geschichtsgeschwängerten Gestus ist, sondern auch die kleine Geste wirkungsvoll einsetzen kann. Man muss Didis rollende Augäpfel gesehen und Gogos Schmatzen-Quatschen bei vollen Backen gehört haben.
Alles umsonst. Godot ist nicht gekommen. Warten. Sinnvoll? Sinnlos? Letzteres ist wohl nie vorauszusehen. Also warten auch wir weiter, selbst wenn unser „Briefträger“ schon längst Geschichte ist. Hätte Beckett sich aber nicht des letztendlich absurden Wartens angenommen, wäre sein Stück wohl nie so berühmt geworden.
Anton Potche

aus BANATER POST, München, 20. November 2000


Dienstag, 9. September 2025

Johrmarker Sprich un Sprichelcher - 214

 In die Hänn spautze un uf die Arwet scheiße.

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Gsammelt vum Frombach Franz alias Gerwer Franz  (1929 - 1999)

Dienstag, 2. September 2025

Also werde ich schweigen

Oskar Pastior: „Villanella & Pantum“, Gedichte, Carl Hanser Verlag, München, Wien, 2000; ISBN 3-446-19927-6; DM 28,--.

Das ist eine erlesene Runde, ganz ohne Zweifel. Ich meine die Jury der Südwest Rundfunk-Bestenliste. Namen wie Verena Auffermann, Helmuth Karasek, Sigrid Löffler, Iris Radisch und 29 andere sprechen für sich. Alles Literaturkritiker/innen der berühmtesten deutschen Feuilletons.
Im September stand auf Platz 10 (dem letzten) dieser Liste der Gedichtband Villanella & Pantum von Oskar Pastior. Ach was, sage ich mir, wieder so verrückte Gedichte wie vor acht Jahren in Vokalisen & Gimpelstifte. Etwa so „ABRAKADABRA, NACHMALS / tartar, nachmals kandahar- / kardan (als das paar am dach / als haarschwamm kam) nachmals spar- / sarg, nachmals makadamma- / dam, nachmals kamtschatka (als / das anagramm banal war)“. Damals (April 1992) waren neben dem aus Hermannstadt stammenden Oskar Pastior gleich zwei weitere Verseschmiede mit biographischen Bezugspunkten zu Rumänien in dieser Liste vertreten: Werner Söllner und Paul Celan.
Nein, das tu ich mir nicht an. Was für Literaturwissenschaftler geschrieben ist, soll auch von diesen gelesen werden. Meine Vernunft hat diesmal wirklich die Neugierde besiegt. Endlich nicht schwach geworden! Die Siege über sich selbst bleiben doch stets die heroischsten. Ja, ich habe im September keine Buchhandlung betreten und sehe mir die SWR-Bestenliste im 3sat-Videotext erst im Oktober wieder an …
1. Villanella & Pantum, Oskar Pastior, Gedichte, 36 Punkte. Mittlerweile werden mehrere der geschätzten Jurymitglieder das Buch gelesen haben. Es muss ihnen doch gefallen haben. Hm! Bei dieser Punktezahl. So ohne Wert werden Punkte doch nicht vergeben. Na ja, wenn die es so sehen. Sollte ich vielleicht doch? 28 DM sind ja nicht die Welt. Schon die gleichen rumäniendeutschen Wurzeln müssten doch einen Kauf rechtfertigen. Wenn also die werten Kritiker … Schließlich und endlich ist man ja auch um acht Jahre älter geworden, sozusagen gereift, und vielleicht sogar glücklicher Nutznießer einer unbewussten Geschmacksveredelung. Letztendlich muss man ja nicht dem Oktober opfern, was man sich für den September vorgenommen hatte. Kurz und schmerzlos: Das Buch liegt vor mir auf dem Tisch.
Nein, dort lag es am Anfang. Jetzt liegt es auf dem Teppich vor meinem Bett, nicht achtlos, auch nicht wutentbrannt hingeschmissen. Das beweisen schon die ihm Gesellschaft leistenden Duden, Fremdwörterbuch, Lexikon, französisch-deutsches und englisch-deutsches Wörterbuch.
da kirnt es burn und prap im sfink- / tersfinx am aggregau was heliotrop / sucht barneby im kopf zum crawlin“. Kirnen, klärt mich ein Duden auf, wäre buttern oder Erbsen aus den Hülsen lösen; burn wohl brennen, meint Langenscheids Millenium-Wörterbuch Englisch-Deutsch; heliotrop könnte sowohl eine Sonnenwende, eine Zimmerpflanze, ein Gerät zum Sichtbarmachen eines entfernten Messpunktes oder ein Mineral sein, erfahre ich in einem Lexikon; mit crawling wird vielleicht kriechen, krabbeln gemeint sein. Von Aufatmen kann nach so vielen Erkenntnissen aber bei weitem keine Rede sein. Zu viel bleibt ohne Sinn.
Dabei gibt er sich doch alle Mühe, mir zu helfen, der gute Oskar Pastior. In einem ausführlichen Nachwort und Agnotationen sowie weiteren Hinweisen auf Besonderheiten, auf zusätzliche Spielarten, Macharten, Gangarten in einigen Texten sind Villanella als italienisches Bauernliedchen mit „gemeinem, bübischem, schändlichem und niederträchtigem“ Inhalt und Pantum als Malaiische Strophenkonstruktion erläutert.
Ich erfahre da von „nominalen Häufungen und Wörterlisten, die zum permutativen Wucher mit ihren manifest verborgenen Gemeinsamkeiten einladen“. Aha! „kaldaunen kalmücken orion kalauern / gemeinsamkeiten, die sich zeigen in / kollekten kollegen portagen & ibris“. Kapiert? Noch immer nicht? Nur nicht aufgeben! Da, eine klare Entschlüsselung: „Schnurrt – warum eigentlich nicht? - die »ganze Zeile« nur auf 1 Silbe zusammen, so wird die fortlaufende Durchführung des Pantums zum »Problem der Anschlussfähigkeit hüpfender Silben in erstrebten sinnfälligen Wortzusammenhängen«.“ Also versuche ich‘s. kolben und zehen heißt das Beispiel. „a) rohmais orphisch / (silbe für zeile/zeile für walze) // paarweis war mais / weiß wie mais nie / wie doch nie roch / doch er roch sehr / er nur sehr stur / nur kam stur zahn / kam ei zahn erb / erbteil eiweiß / teils aus weiß raus / aus paar aus war // b) pantum aus rohmais orphisch // paarweis war mais / weiß wie mais nie / wie doch nie roch / - doch er roch sehr // weiß wie mais nie / er – nur sehr stur / doch er roch sehr / nur kam sturz ah- // ner – nur sehr stur / kam ei zahn erb / nur kamst du urzahn / erbteil eiweiß“. (Das Gedicht ist hier noch nicht zu Ende.)
Jetzt liege ich da und denke nach, nein, nicht über die Techniken von Villanellen und Pantums, auch nicht über den Sinn sinnloser Inhalte, eben Sinnesleeren. Über die schier unüberbrückbare Kluft, die in Deutschland zwischen Kritikern, also den sogenannten (oder nur selbst ernannten?) Eliten des Literaturbetriebes und den Lesern (durchaus auch anspruchsvoller Literatur) klafft, mache ich mir Gedanken.
Zu all dem ist sie auch noch teuer, diese Art von Literatur, und sie kommt mich von Tag zu Tag teurer zu stehen, denn meine bessere Ehehälfte wird sich bis Heilig Abend jede menge Textilien und Schmuck zulegen, ohne Gefahr zu laufen, von mir auf die Preise aufmerksam gemacht zu werden. Wer für so einen Schmarren (sie meint natürlich dieses und andere Bücher) Geld ausgibt, braucht mich nicht zum Sparen ermahnen, höre ich sie schon jetzt siegesgewiss argumentieren. Also werde ich schweigen.
Mark Jahr

aus KARPATENRUNDSCHAU, Kronstadt, 28. Oktober 2000