Laut
astronomischen Gesetzen können wir das Leuchten von Sternen noch
lange nach ihrem physischen Verschwinden sehen. Während diese
Himmelskörper schon längst untergegangen sind, ist das Licht, das
sie einst ausstrahlten, noch immer zu uns unterwegs.
Wie
weit waren sie damals, vor 100, 200 und mehr Jahren, von den Menschen
ihrer Zeit entfernt, die Sterne am Literatur- und Musikfirmament?
Reflektieren die Rezensionen jener Zeiten auch den Rezeptionsgrad
ihrer Werke bei den jeweiligen Zeitgenossen, den Menschen, die nicht
direkt in den Literatur- und Musikbetrieb involviert waren? Sahen die
Menschen das Leuchten, das aus ihrer Mitte den Weg in die Zukunft
antrat? Wir wissen es nicht genau. Gewiss ist aber, dass so manchen
längst verblassten Sterns Licht unsere Gegenwart erreicht hat.
Seit
150 Jahren ist nunmehr das Licht des Lyriksterns Nikolaus Lenau
unterwegs, und es gibt Gott sei Dank immer noch Menschen, die
angekommene Lichtstrahlen des Genius‘ der Melancholie bündeln und
uns in einer Zeit der kühlen Ratiodominanz zum Mitfühlen ermuntern.
Christine Muranyi und Anton Bleiziffer sind zwei
Beispiele dieses Menschenschlags, und sie zeichnen stellvertretend
für den Freiburger Singkreis.
Diesmal
steht ihre Signatur auf der Festschrift und der CD „Mag dein Stern
sich strahlend heben – Zum 150. Todestag Nikolaus Lenaus – Zehn
Jahre Freiburger Singkreis“. Beide, Festschrift und CD, sind in
einer bescheidenen Creme-Farbe gehalten, und ihr Inhalt ist eine
ehrfurchtsvolle Verneigung vor dem Werk des großen Naturlyrikers.
Jede geografische Fessel sprengend, war Lenaus Werk eine stete
Herausforderung an den ewigen Drang der Töne nach Freiheit.
Strahlende
Sterne am Musikhimmel wie Robert Schumann, Franz
List, Felix Mendelssohn-Bartholdy u.a. nahmen
diese Herausforderung an, und in der BANATER POST vom 5. April ist
aus der Feder von Andreas Hauser zu lesen: „Alles was ich
hören wollte, das kam an. Schilflieder, Das Posthorn,
Die drei Zigeuner, Bitte, An die
Melancholie und all die anderen wurden rezitiert und vom
Singkreis dargeboten, dass es eine Wonne war … Der
gelungene Wechsel zwischen Gedicht, Lied, Kommentar und Lichtbild
brachte einen Rhythmus hervor, der in mir den Wunsch aufkeimen ließ,
das ganze würde so schnell nicht enden.“ Es muss auch nicht enden.
Das Licht des Lenau-Sterns kann unsere Wohnzimmer zu jeder Stunde
erhellen.
Der
Freiburger Singkreis hat neun
Lenau-Lieder auf eine CD aufgenommen. Die drei Zigeuner
wurde von Theodor Meyer-Steineg vertont und Bitte
erklingt in einem wunderschönen Kanon von Walter Michael Klepper.
Zu weiteren sieben Lenau-Gedichten komponierte Anton Bleiziffer
Lieder, die sich allerdings nicht an die Tradition des klassischen
Liedguts anlehnen, sondern eher in eine Volksliedersammlung passen.
Und da sind sie bestimmt in bester Gesellschaft. Wer denkt heute noch
an Goethe und Schubert, wenn Heideröslein
erklingt, oder an Claudius und Johann Peter Abraham Schulz
(1747 – 1800), wenn es im Chortext heißt: „Der Mond ist
aufgegangen, die goldenen Sternlein prangen am Himmel hell und klar.“
Klare
Dreiviertel- und Viervierteltakt-Gliederungen deuten auf die
Musikalität der Verse Lenaus hin. Das könnte auch damit
zusammenhängen , dass der Dichter selbst ein hervorragender Musiker
war. Es ist Bleiziffer gelungen, die Ehrlichkeit aus Lenaus
Gemütslyrik in melodische Themen so einfließen zu lassen, dass
sowohl das Wort als auch die musikalische Phrase ihre Aussagekraft
beibehalten: Schon das erste Lied, An die Entfernte,
kann als Überraschung gewertet werden. Die Idee, eine klare, aber
wortlose Frauenstimme (die Entfernte) in Oktavenhöhe über
sehnsüchtigen Männerstimmen schweben zu lassen, lässt sofort jeden
Zweifel, dass hier vielleicht oberflächliche Lagerfeuerromantik
erklingen könnte, erblassen. Bleiziffer wusste genau, was er
in seinem Unterfangen der Lichtgestalt Lenau schuldet. Er hält
dieses Verantwortungsbewusstsein auch bis zum Schluss durch, wenn
eine Antwort auf die Frage „O Menschenherz, was ist dein Glück?“
in heller g-d-c Dur-Folge lautet: „Liebe, Friede, Glaube, Hoffnung,
das ist Glück.“ Zu dem erlangten Glücksgefühl trägt in diesem
Fall auch die gefühlvolle Akkordeonbegleitung des
Komponisten selbst mit stellenweise ergreifend schönen
Zwischenspielen und nicht zuletzt der klare, ausdrucksstarke, in
jeder Lage verständliche Gesang des Freiburger
Singkreises bei.
In der anfangs erwähnten
Festschrift lesen wir einfühlsame Texte von Christine
Muranyi, Gedichte, Bild- sowie Notenproduktionen und erhalten
so auch Einblick in die Konzeption der in Freiburg bereits zur
Tradition gereiften Antoni-Treffen der HOG Sanktanna.
Anton Potche
aus BANATER POST, München, 10. Dezember 2000

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