Donnerstag, 6. November 2025

„Mag dein Stern sich strahlend heben“

Laut astronomischen Gesetzen können wir das Leuchten von Sternen noch lange nach ihrem physischen Verschwinden sehen. Während diese Himmelskörper schon längst untergegangen sind, ist das Licht, das sie einst ausstrahlten, noch immer zu uns unterwegs.
Wie weit waren sie damals, vor 100, 200 und mehr Jahren, von den Menschen ihrer Zeit entfernt, die Sterne am Literatur- und Musikfirmament? Reflektieren die Rezensionen jener Zeiten auch den Rezeptionsgrad ihrer Werke bei den jeweiligen Zeitgenossen, den Menschen, die nicht direkt in den Literatur- und Musikbetrieb involviert waren? Sahen die Menschen das Leuchten, das aus ihrer Mitte den Weg in die Zukunft antrat? Wir wissen es nicht genau. Gewiss ist aber, dass so manchen längst verblassten Sterns Licht unsere Gegenwart erreicht hat.
Seit 150 Jahren ist nunmehr das Licht des Lyriksterns Nikolaus Lenau unterwegs, und es gibt Gott sei Dank immer noch Menschen, die angekommene Lichtstrahlen des Genius‘ der Melancholie bündeln und uns in einer Zeit der kühlen Ratiodominanz zum Mitfühlen ermuntern. Christine Muranyi und Anton Bleiziffer sind zwei Beispiele dieses Menschenschlags, und sie zeichnen stellvertretend für den Freiburger Singkreis.
Diesmal steht ihre Signatur auf der Festschrift und der CD „Mag dein Stern sich strahlend heben – Zum 150. Todestag Nikolaus Lenaus – Zehn Jahre Freiburger Singkreis“. Beide, Festschrift und CD, sind in einer bescheidenen Creme-Farbe gehalten, und ihr Inhalt ist eine ehrfurchtsvolle Verneigung vor dem Werk des großen Naturlyrikers. Jede geografische Fessel sprengend, war Lenaus Werk eine stete Herausforderung an den ewigen Drang der Töne nach Freiheit.
Strahlende Sterne am Musikhimmel wie Robert Schumann, Franz List, Felix Mendelssohn-Bartholdy u.a. nahmen diese Herausforderung an, und in der BANATER POST vom 5. April ist aus der Feder von Andreas Hauser zu lesen: „Alles was ich hören wollte, das kam an. Schilflieder, Das Posthorn, Die drei Zigeuner, Bitte, An die Melancholie und all die anderen wurden rezitiert und vom Singkreis dargeboten, dass es eine Wonne war … Der gelungene Wechsel zwischen Gedicht, Lied, Kommentar und Lichtbild brachte einen Rhythmus hervor, der in mir den Wunsch aufkeimen ließ, das ganze würde so schnell nicht enden.“ Es muss auch nicht enden. Das Licht des Lenau-Sterns kann unsere Wohnzimmer zu jeder Stunde erhellen.
Der Freiburger Singkreis hat neun Lenau-Lieder auf eine CD aufgenommen. Die drei Zigeuner wurde von Theodor Meyer-Steineg vertont und Bitte erklingt in einem wunderschönen Kanon von Walter Michael Klepper. Zu weiteren sieben Lenau-Gedichten komponierte Anton Bleiziffer Lieder, die sich allerdings nicht an die Tradition des klassischen Liedguts anlehnen, sondern eher in eine Volksliedersammlung passen. Und da sind sie bestimmt in bester Gesellschaft. Wer denkt heute noch an Goethe und Schubert, wenn Heideröslein erklingt, oder an Claudius und Johann Peter Abraham Schulz (1747 – 1800), wenn es im Chortext heißt: „Der Mond ist aufgegangen, die goldenen Sternlein prangen am Himmel hell und klar.“
Klare Dreiviertel- und Viervierteltakt-Gliederungen deuten auf die Musikalität der Verse Lenaus hin. Das könnte auch damit zusammenhängen , dass der Dichter selbst ein hervorragender Musiker war. Es ist Bleiziffer gelungen, die Ehrlichkeit aus Lenaus Gemütslyrik in melodische Themen so einfließen zu lassen, dass sowohl das Wort als auch die musikalische Phrase ihre Aussagekraft beibehalten: Schon das erste Lied, An die Entfernte, kann als Überraschung gewertet werden. Die Idee, eine klare, aber wortlose Frauenstimme (die Entfernte) in Oktavenhöhe über sehnsüchtigen Männerstimmen schweben zu lassen, lässt sofort jeden Zweifel, dass hier vielleicht oberflächliche Lagerfeuerromantik erklingen könnte, erblassen. Bleiziffer wusste genau, was er in seinem Unterfangen der Lichtgestalt Lenau schuldet. Er hält dieses Verantwortungsbewusstsein auch bis zum Schluss durch, wenn eine Antwort auf die Frage „O Menschenherz, was ist dein Glück?“ in heller g-d-c Dur-Folge lautet: „Liebe, Friede, Glaube, Hoffnung, das ist Glück.“ Zu dem erlangten Glücksgefühl trägt in diesem Fall auch die gefühlvolle Akkordeonbegleitung des Komponisten selbst mit stellenweise ergreifend schönen Zwischenspielen und nicht zuletzt der klare, ausdrucksstarke, in jeder Lage verständliche Gesang des Freiburger Singkreises bei.
In der anfangs erwähnten Festschrift lesen wir einfühlsame Texte von Christine Muranyi, Gedichte, Bild- sowie Notenproduktionen und erhalten so auch Einblick in die Konzeption der in Freiburg bereits zur Tradition gereiften Antoni-Treffen der HOG Sanktanna.

Anton Potche

aus BANATER POST, München, 10. Dezember 2000

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