Nikolaus Wolcz inszenierte in
Ingolstadt das Schauspiel
Warten auf Godot von
Samuel Beckett
Wie frustrierend Warten sein kann,
wissen auch viele von uns Banater Schwaben. Allzu oft haben wir doch
Tag für Tag die Augen geöffnet und unseren ersten Gedanken dem
„Briefträger“ gewidmet. Dann kam um die Mittagsstunde die große
Enttäuschung. Er ging vorbei oder warf lediglich einen Brief oder
die Zeitung in den Postkasten. Die ersehnte berühmt-berüchtigte
Karte für die „Kleinen“, die „Großen“ oder gar den Pass
bekam der Nachbar, irgendein anderer, vielleicht auch niemand im
Dorf. Da gesellte sich zur Enttäuschung oft auch Missgunst und
verdrängter Neid, der manchmal sogar Verwandte, Freunde und in
Einzelfällen sogar Geschwister traf.
Doch das Leben erhaltende Prinzip
Hoffnung gewann meist schon im Laufe des gleichen Nachmittags die
Oberhand. Morgen ist ja noch ein Tag! Samuel Beckett (1906 –
1989) hat das Warten als ein universales Phänomen ins Auge gefasst
und seine Interpretation in einer manchmal grotesken, dann aber
wieder nachvollziehbaren Theaterfassung zu Papier gebracht. Sein
Schauspiel Warten auf Godot
stand im September und Oktober auf dem Spielplan des Theaters
Ingolstadt. Dahin lenkte ich meine Schritte, getrieben von der
Neugierde, wie wohl andere mit diesem Leerlaufgefühl, und das noch
in zugespitzter Theatermanier, zurechtkommen. Welcher Sinn hat ihr
Warten? Die Protagonisten dieses beckettschen Wartens sind zwei
wirklich liebenswerte Gestalten: verlumpt, hungrig, mit Schweißfüßen,
aus dem Hals riechend und anderen gebrechlichen Tugenden oder
tugendhaften Gebrechen. Kurzum, zwei harm- und obdachlose
Landstreicher: Estragon, genannt Gogo (Stephan Mertl) und
Wladimir, genannt Didi (Friedrich Schilha). Sie warten auf
Godot.
Um es vorwegzunehmen: Godot ist bis
heute nicht gekommen. Das mag den FAZ-Feuilletonisten Gerhard
Stadelmaier vor einem Jahr zur Überschrift seines Aufsatzes
inspiriert haben: Komm, wir gehen. Fünfzig Jahre Warten auf
Godot. Er meint, der Erfolg dieses Stückes fuße auch darauf,
„dass die meisten Regisseure und Schauspieler sowie
Literaturwissenschaftler nach Godot fragen, die wenigsten nach Didi
und Gogo“.
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v.l.: Mehmet Yilmaz (Lucky), Stephan Mertl (Gogo), Johannes Langer (Pozzo), Friedrich Schilha (Didi)
FotoQuelle: "Theter für Ingolstadt, Intendanz Wolfram Krempel" |
Also bei der Ingolstädter
Wolcz-Inszenierung hatte ich diesen Eindruck nicht. Gott sei‘s
Dank! Die zwei verdienen auch wirklich alle Sympathien und fordern
manchmal leider auch unsere Anteilnahme heraus. Sie brechen einen
Streit aus dem Nichts vom Zaun und versöhnen sich wieder in
kindlicher Freude. Gogo erweist sich als Voyeur, während Didi seine
dauernd drückende Blase entleert. Wenn dann der machtbesessene Pozzo
(Johannes Langer) mit seinem versklavten Hofnarr Lucky (Mehmet
Yilmaz) erscheint, ziehen Didi und Gogo alle Register ihrer
Auflehnungs- und Anpassungsvariationen. Nachdem Pozzo und Lucky
verschwunden sind, geht das lebensnahe Schwanken zwischen
Niedergeschlagenheit und Himmelhoch-Jauchzen munter weiter, nur ab
und zu unterbrochen von dem Leitmotiv: „Komm, wir gehen. (Gogo) /
Wir können nicht. (Didi) / Warum nicht? (Gogo) / Wir warten auf
Godot. (Didi).“ Und so warten sie heute noch, immer wieder von
einem abends erscheinenden Knaben (Sebastian Singer)
dazu ermutigt.
Beckett hat unserem
lebenshungrigen und als sinnvoll empfundenen Alltagswarten das
sinnlose, nur von vagen Hoffnungen getragene Warten entgegengestellt.
Dieses Stück hat Theatergeschichte geschrieben. Es wurde 1953 in
Paris uraufgeführt und hat seither die
Spielpläne der Theaterhäuser nie verlassen. Schauspieler wie Buster
Keaton, Marlon
Brando oder Steve
McQueen
versuchten sich in den Rollen dieses Schauspiels. Nikolaus
Wolcz hat damit die Theatersaison
2000/2001 in Ingolstadt eröffnet und gezeigt, dass er nicht nur ein
Meister des großen, geschichtsgeschwängerten Gestus ist, sondern
auch die kleine Geste wirkungsvoll einsetzen kann. Man
muss Didis rollende Augäpfel gesehen und Gogos Schmatzen-Quatschen
bei vollen Backen gehört haben.
Alles umsonst.
Godot ist nicht gekommen. Warten. Sinnvoll? Sinnlos? Letzteres ist
wohl nie vorauszusehen. Also warten auch wir weiter,
selbst wenn unser „Briefträger“ schon längst Geschichte ist.
Hätte Beckett
sich aber nicht des letztendlich absurden Wartens angenommen, wäre
sein Stück wohl nie so berühmt geworden.
Anton
Potche
aus BANATER
POST, München, 20. November 2000
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