Dienstag, 3. September 2024

Roman einer rumäniendeutschen Passion

Hans Bohn: „Als die Schwalben heimwärts zogen“, Roman, Langen Müller Verlag München, 1999; ISBN 3-7844-2719-7; DM 39,90.
Toni Wanninger erblickte 1920 im Banater Wiesenbrunn das Licht der Welt und glitt 1996, nach einem geistigen Schnelldurchlauf seines Lebens, im bayrischen Mainburg ins Jenseits. „Geblieben - nur noch ein unbändiges Fernweh, eine unerklärliche Sehnsucht“, Fazit eines sehr ereignisreichen Lebens in einem von Emotionen und deren verheerenden Folgen dominierten Jahrhundert.
Dabei war diese Heimat alles andere als ein Paradies auf Erden und die zwangsläufig weitab der Banater Gefilde erlebten Landserabenteuer wirken bedrückend; ein erstes Verdienst des Roman-Autors Hans Bohn. Auch durch die Anfangskapitel dieses Romans weht keine Kriegsbegeisterung, mit Ausnahme des jugendlichen, ideologisch verbrämten Überschwangs einiger geltungssüchtiger Wiesenbrunner.
Toni Wanninger steht zwar im Mittelpunkt der Romanhandlung, aber er bestimmt diese nicht mit. Er ist ein Spielball der Geschichte, wie alle seine Landsleute nur ertragende oder im besten Fall reagierende Gestalten sind. Ja, er verschwindet für lange Zeit sogar von der Bildfläche, um irgendwann wie ein fahler Hoffnungsschimmer wieder aufzutauchen.
Toni Wanninger kämpft im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront, wird gefangen, entkommt und findet seine Jugendliebe wieder. Was sein Mädchen, die Wagner Resi, erleiden musste, erfährt der Leser in anschaulichen und erschütternden Detailschilderungen der Lebens- und Arbeitsbedingungen der deportierten Rumäniendeutschen im Gruben-Zwangsarbeitslager Proletarsk. An freie Banater Luft gewohnte Menschen, die bereits erste Auflösungssymptome ihrer jahrhundertealten Dorfgemeinschaften erlebt hatten, „als (1944) die Schwalben heimwärts zogen“ und viele Dorfbewohner sich auf die Flucht vor der heranrückenden Roten Armee begeben hatten, mussten ein Jahr später in den dunklen, kalten und feuchten Tiefen der russischen Erde Kohle schürfen. Schon zehn Jahre vorher (1935) hat der schottische Schriftsteller Archibald Joseph Cronin in dem betroffen machenden Bergmann-Roman Die Sterne blicken herab die Trostlosigkeit englischer Bergmannslebens geschildert. Was den Wiesenbrunnern und ihren deutschen Leidensgenossen aus dem restlichen Banat, Siebenbürgen und anderen Regionen Osteuropas in den russischen Bergwerken widerfuhr, war noch schlimmer. Uns das heute, nach mehr als 50 Jahren, eingebettet in eine tragische Liebes-Kriegs-Deportationsgeschichte, begreiflich zu machen, ist ein weiteres Verdienst des Schriftstellers Hans Bohn.
Toni Wanninger überlebt alle Nackenschläge der Geschichte und kehrt in sein Heimatdorf Wiesenbrunn zurück. Er hat selbst viel durchlitten und doch viel von dem Leid seiner daheim gebliebenen Verwandten und Bekannten nicht miterleben müssen. Da waren zum Beispiel die schrecklichen Tage der Aushebung zur Zwangsarbeit und die Zerrissenheit vor der Flucht gen Westen. Alles in allem ein menschliches und gesellschaftliches Drama, das mit dieser Heimkehr sein Ende hätte nehmen können.
Hans Bohn schrieb weiter und offenbarte dem aufmerksamen Leser, wie schwierig es ist, einen bis dahin spannenden Handlungsstrang durch weitere Jahrzehnte des Friedens (wenn auch in einem sozialistischen Land) zu flechten. In den drei letzten Kapiteln des Romans gewinnt der Journalist Hans Bohn die Oberhand über den Schriftsteller Hans Bohn. Eine Streitfrage schlechthin. Was dem einen zu viel an Fakten und zeitgeschichtlichen Erfassungen erscheint, mag für den anderen interessantes Informationsmaterial bedeuten.
Zum Glück findet der 1927 in Kleinsanktpeter (Totina / Banat) geborene Pädagoge, Journalist und Schriftsteller Hans Bohn noch kurz vor Schluss zu seiner oft im Laufe der 351 Seiten anzutreffenden poetischen Sprache zurück, so dass Toni Wanninger, das Sinnbild des Banater Schwaben schlechthin, als letzte geistige Wahrnehmung „die riesige Staubschicht eines Spätsommertages […], die über den Maisfeldern von Wiesenbrunn lagerte und von der hereinbrechenden Kühle der leichten Abendbrise aus dem Aranka-Tal auseinandergezogen wurde“, erleben durfte. Und spätestens jetzt dürfte jedem, der einen Blick auf die Landkarte des Banats wirft, klar sein, an welches Dorf Bohn dachte, als er das Wort „Wiesenbrunn“ niederschrieb.
Es ist mir nicht bekannt, wie dieser Roman von den in Deutschland lebenden Banater Schwaben aufgenommen wurde. Besonders eifrige Leser waren sie eigentlich nie. Umso wichtiger ist es, dass dieses Buch nicht nur einem Insiderkreis zugänglich bleibt, sondern dank des Erscheinens in einem bekannten deutschen Verlag auch in jeder Buchhandlung Deutschlands oder übers Internet bestellt werden kann.
Mark Jahr
aus KARPATENRUNDSCHAU, Kronstadt, 19. Februar 2000


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