Hans Bohn: „Als die Schwalben
heimwärts zogen“, Roman, Langen Müller Verlag München, 1999;
ISBN 3-7844-2719-7; DM 39,90.
Toni
Wanninger erblickte 1920 im Banater Wiesenbrunn das Licht der Welt
und glitt 1996, nach einem geistigen Schnelldurchlauf seines Lebens,
im bayrischen Mainburg ins Jenseits. „Geblieben - nur noch ein
unbändiges Fernweh, eine unerklärliche Sehnsucht“, Fazit eines
sehr ereignisreichen Lebens in einem von Emotionen und deren
verheerenden Folgen dominierten Jahrhundert.
Dabei
war diese Heimat alles andere als ein Paradies auf Erden und die
zwangsläufig weitab der Banater Gefilde erlebten Landserabenteuer
wirken bedrückend; ein erstes Verdienst des Roman-Autors Hans
Bohn. Auch durch die Anfangskapitel dieses Romans weht keine
Kriegsbegeisterung, mit Ausnahme des jugendlichen, ideologisch
verbrämten Überschwangs einiger geltungssüchtiger Wiesenbrunner.
Toni
Wanninger steht zwar im Mittelpunkt der Romanhandlung, aber er
bestimmt diese nicht mit. Er ist ein Spielball der Geschichte, wie
alle seine Landsleute nur ertragende oder im besten Fall reagierende
Gestalten sind. Ja, er verschwindet für lange Zeit sogar von der
Bildfläche, um irgendwann wie ein fahler Hoffnungsschimmer wieder
aufzutauchen.
Toni
Wanninger kämpft im Zweiten Weltkrieg an der Ostfront, wird
gefangen, entkommt und findet seine Jugendliebe wieder. Was sein
Mädchen, die Wagner Resi, erleiden musste, erfährt der Leser in
anschaulichen und erschütternden Detailschilderungen der Lebens- und
Arbeitsbedingungen der deportierten Rumäniendeutschen im
Gruben-Zwangsarbeitslager Proletarsk. An freie Banater Luft gewohnte
Menschen, die bereits erste Auflösungssymptome ihrer
jahrhundertealten Dorfgemeinschaften erlebt hatten, „als (1944) die
Schwalben heimwärts zogen“ und viele Dorfbewohner sich auf die
Flucht vor der heranrückenden Roten Armee begeben hatten, mussten
ein Jahr später in den dunklen, kalten und feuchten Tiefen der
russischen Erde Kohle schürfen. Schon zehn Jahre vorher (1935) hat
der schottische Schriftsteller Archibald Joseph Cronin in dem
betroffen machenden Bergmann-Roman Die Sterne blicken herab
die Trostlosigkeit englischer Bergmannslebens geschildert. Was den
Wiesenbrunnern und ihren deutschen Leidensgenossen aus dem restlichen
Banat, Siebenbürgen und anderen Regionen Osteuropas in den
russischen Bergwerken widerfuhr, war noch schlimmer. Uns das heute,
nach mehr als 50 Jahren, eingebettet in eine tragische
Liebes-Kriegs-Deportationsgeschichte, begreiflich zu machen, ist ein
weiteres Verdienst des Schriftstellers Hans
Bohn.
Toni
Wanninger überlebt alle Nackenschläge der Geschichte und kehrt in
sein Heimatdorf Wiesenbrunn zurück. Er hat selbst viel durchlitten
und doch viel von dem Leid seiner daheim gebliebenen Verwandten und
Bekannten nicht miterleben müssen. Da waren zum Beispiel die
schrecklichen Tage der Aushebung zur Zwangsarbeit und die
Zerrissenheit vor der Flucht gen Westen. Alles in allem ein
menschliches und gesellschaftliches Drama, das mit dieser Heimkehr
sein Ende hätte nehmen können.
Hans
Bohn schrieb weiter und offenbarte dem aufmerksamen Leser, wie
schwierig es ist, einen bis dahin spannenden Handlungsstrang durch
weitere Jahrzehnte des Friedens (wenn auch in einem sozialistischen
Land) zu flechten. In den drei letzten Kapiteln des Romans gewinnt
der Journalist Hans Bohn die Oberhand über den
Schriftsteller Hans Bohn. Eine Streitfrage schlechthin. Was
dem einen zu viel an Fakten und zeitgeschichtlichen Erfassungen
erscheint, mag für den anderen interessantes Informationsmaterial
bedeuten.
Zum
Glück findet der 1927 in Kleinsanktpeter (Totina / Banat) geborene
Pädagoge, Journalist und Schriftsteller Hans Bohn noch kurz
vor Schluss zu seiner oft im Laufe der 351 Seiten anzutreffenden
poetischen Sprache zurück, so dass Toni Wanninger, das Sinnbild des
Banater Schwaben schlechthin, als letzte geistige Wahrnehmung „die
riesige Staubschicht eines Spätsommertages […], die über den
Maisfeldern von Wiesenbrunn lagerte und von der hereinbrechenden
Kühle der leichten Abendbrise aus dem Aranka-Tal auseinandergezogen
wurde“, erleben durfte. Und spätestens jetzt dürfte jedem, der
einen Blick auf die Landkarte des Banats wirft, klar sein, an welches
Dorf Bohn dachte, als er das Wort „Wiesenbrunn“
niederschrieb.
Es
ist mir nicht bekannt, wie dieser Roman von den in Deutschland
lebenden Banater Schwaben aufgenommen wurde. Besonders eifrige Leser
waren sie eigentlich nie. Umso wichtiger ist es, dass dieses Buch
nicht nur einem Insiderkreis zugänglich bleibt, sondern dank des
Erscheinens in einem bekannten deutschen Verlag auch in jeder
Buchhandlung Deutschlands oder übers Internet bestellt werden kann.
Mark Jahr
aus KARPATENRUNDSCHAU, Kronstadt, 19. Februar 2000
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