Friedrich Schilha spielte die
Hauptrolle in Molières Komödie
Tartuffe
oder Der Betrüger
Tartuffe,
dieses Scheusal von einem niederträchtigen Emporkömmling,
schmeichelte sich von Januar bis Mai in die Familie des biederen
Bürgers Orgon ein, und Tausende Menschen sahen dem lustvollen
Heucheln auf der Bühne des Theaters Ingolstadt mit oft angehaltenem
Atem zu. Woher kommt das enorme Interesse an diesem Molière-Stück?
Die hervorragende Inszenierung (Regie: Alessandro Marchetti,
Bühnenbild: Konrad Kulke) hat sich schnell herumgesprochen;
aber auch die konservierte Aktualität des Stückes – sie wird
ihren Bezug zur jeweiligen Gegenwart leider auch in Zukunft wohl kaum
einbüßen – mag ein Anziehungspunkt für so manchen
Theaterliebhaber gewesen sein. Begegnen sie uns nicht heute noch, die
Tartuffes verschiedenster Couleur in Politik, Verbands- und
Arbeitswelt, die Typen, die dir heute mit wohltätigkeitsheuchelnder
Stimme ihre Gottergebenheit predigen, um dich im nächsten Augenblick
vor den Kadi zu zerren? Und waren nicht schon immer sie es, die ihre
Entlarvung nicht ertragen konnten; eben die schlechtesten aller
Verlierer? Schon Jean-Baptiste Poquelin Molière
(1622 – 1673) schrieb im Vorwort zu diesem Theaterstück: „Die
Marquis, die Preziösen, die betrogenen Ehemänner und die Ärzte
ließen ihre Darstellung auf dem Theater ruhig über sich ergehen und
gaben sich sogar den Anschein, als ob sie sich mit allen andern an
ihren eigenen Porträts ergötzten; die Heuchler aber verstanden
keinen Spaß und gerieten gleich in Wut; sie fanden es unglaublich,
daß ich die Kühnheit besaß, ihre scheinheiligen Fratzen zu
verspotten … und darum sind sie auch mit furchtbarer Wut gegen
meine Komödie zu Felde gezogen.“
Am
12. Mai 1664 wird Tartuffe zum ersten Mal aufgeführt
und prompt vom Pariser Erzbischof verboten. Der Ingolstädter
Aufführung widerfuhr dieses Schicksal natürlich nicht.
Schon
im Vorfeld der Premiere wurde im Ingolstädter DONAUKURIER die
Neugierde auf diese Sittenkomödie geweckt. Der Hauptdarsteller des
Stückes, Friedrich Schilha, aus der Bukarester und Temeswarer
Theaterschule stammend, räumte ein, daß dieser „grandiose
Verführer in frömmelnder Gestalt, eine gespaltene Persönlichkeit,
von so großer Überzeugungskraft in seinem Wechselspiel von Schein
und Wahrheit, daß er fast selber daran glaubt“, seine Wunschrolle
sei.
Und
er hatte Erfolg mit dieser Rolle. Tartuffe erscheint erst auf der
Bühne, nachdem der Zuschauer aus vorausgehenden Dialogen erfahren
hat, daß sich da ein anscheinend frommer, aber wohl doch
umstrittener Geist im Hause Orgon eingenistet hat. Als er dann in
seiner geheuchelten Gottesfurcht erscheint, setzt er sein Werk der
Familienzersetzung fort, bis der total verblendete Orgon ihm nicht
nur seine Tochter sondern auch sein ganzes Hab und Gut vermacht.
Die
Betroffenen durchschauen den Heuchler nicht, der schließlich sogar
Elmire, die Gattin Orgons, belästigt und dabei die volle Zynik
seiner Scheinheiligkeit aufblitzen läßt. „Der Himmel verbietet
gewisse Befriedigungen, aber Gott läßt mit sich reden“,
deklamiert der Verführer Tartuffe und fällt damit in seine eigene
Grube, denn sowohl Orgon als auch sein Sohn Damis werden versteckte
Zeugen dieser Bedrängungsszene.
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Friedrich Schilha als Tartuffe und Monika Niggeler als Elmire
FotoQuelle: Stadttheater Ingolstadt |
In
der ersten Fassung des Stückes bleibt der Heuchler Tartuffe sogar
Sieger. Erst nach der Überarbeitung des Stoffes (zweite Premiere:
1669) wird Tartuffe für seine verruchte Hinterfotzigkeit vom
königlichen Gesetz bestraft. Friedrich Schilha spricht mit
seiner angenehmen, verführerischen Stimme schnell, stellenweise für
den Zuschauer zu schnell. Aber Tartuffe darf seine Opfer nicht zu
Wort kommen lassen. Nur so kann er sie einspinnen, sie im Kokon
seines Heuchelspeichels zu hörigen, geistig ohnmächtigen Wesen
machen. Trotzdem
ist Friedrich Schilha eine überzeugende Darstellung gelungen.
Daß eine so negativ besetzte Person wie die des Heuchlers Tartuffe
ganz besondere Ansprüche an einen Darsteller stellt, kam in diesem
Fall besonders durch die glänzende Interpretation der Zofe Dorine
von Marlise Fischer (erhielt für die Rolle den
Darstellerpreis „Beste Schauspielerin“ bei den 17. Bayerischen
Theatertagen in Bamberg) zum Ausdruck. Die Zofe verkörpert den
kühlen Kopf bewahrenden Gegenpart zu den geistig umnebelten Opfern
Tartuffes. Dorine war sympathisch, eroberte die Herzen der Zuschauer,
spann brillant ihre Gegenintrigen und ließ den Theaterbesucher
spüren, daß ein guter Geist nichts, aber auch gar nichts mit einer
hohen Abstammung zu tun haben muß. Tartuffe blieb bis zum Schluß
der hinterhältige Verführer, dem die Abneigung des Publikums
gesichert war. Beide teilten sich den Schlußapplaus, die siegreiche
Zofe Dorine und der Gott sei Dank unterlegene Tartuffe
oder der Betrüger, diesmal alias Friedrich Schilha.
Anton Potche
aus BANATER POST, München,
10. Juli 1999
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