Donnerstag, 2. Februar 2023

Überzeugende Darstellung

 Friedrich Schilha spielte die Hauptrolle in Molières Komödie 

Tartuffe oder Der Betrüger

Tartuffe, dieses Scheusal von einem niederträchtigen Emporkömmling, schmeichelte sich von Januar bis Mai in die Familie des biederen Bürgers Orgon ein, und Tausende Menschen sahen dem lustvollen Heucheln auf der Bühne des Theaters Ingolstadt mit oft angehaltenem Atem zu. Woher kommt das enorme Interesse an diesem Molière-Stück? Die hervorragende Inszenierung (Regie: Alessandro Marchetti, Bühnenbild: Konrad Kulke) hat sich schnell herumgesprochen; aber auch die konservierte Aktualität des Stückes – sie wird ihren Bezug zur jeweiligen Gegenwart leider auch in Zukunft wohl kaum einbüßen – mag ein Anziehungspunkt für so manchen Theaterliebhaber gewesen sein. Begegnen sie uns nicht heute noch, die Tartuffes verschiedenster Couleur in Politik, Verbands- und Arbeitswelt, die Typen, die dir heute mit wohltätigkeitsheuchelnder Stimme ihre Gottergebenheit predigen, um dich im nächsten Augenblick vor den Kadi zu zerren? Und waren nicht schon immer sie es, die ihre Entlarvung nicht ertragen konnten; eben die schlechtesten aller Verlierer? Schon Jean-Baptiste Poquelin Molière (1622 – 1673) schrieb im Vorwort zu diesem Theaterstück: „Die Marquis, die Preziösen, die betrogenen Ehemänner und die Ärzte ließen ihre Darstellung auf dem Theater ruhig über sich ergehen und gaben sich sogar den Anschein, als ob sie sich mit allen andern an ihren eigenen Porträts ergötzten; die Heuchler aber verstanden keinen Spaß und gerieten gleich in Wut; sie fanden es unglaublich, daß ich die Kühnheit besaß, ihre scheinheiligen Fratzen zu verspotten … und darum sind sie auch mit furchtbarer Wut gegen meine Komödie zu Felde gezogen.“

Am 12. Mai 1664 wird Tartuffe zum ersten Mal aufgeführt und prompt vom Pariser Erzbischof verboten. Der Ingolstädter Aufführung widerfuhr dieses Schicksal natürlich nicht. 
Schon im Vorfeld der Premiere wurde im Ingolstädter DONAUKURIER die Neugierde auf diese Sittenkomödie geweckt. Der Hauptdarsteller des Stückes, Friedrich Schilha, aus der Bukarester und Temeswarer Theaterschule stammend, räumte ein, daß dieser „grandiose Verführer in frömmelnder Gestalt, eine gespaltene Persönlichkeit, von so großer Überzeugungskraft in seinem Wechselspiel von Schein und Wahrheit, daß er fast selber daran glaubt“, seine Wunschrolle sei. 
Und er hatte Erfolg mit dieser Rolle. Tartuffe erscheint erst auf der Bühne, nachdem der Zuschauer aus vorausgehenden Dialogen erfahren hat, daß sich da ein anscheinend frommer, aber wohl doch umstrittener Geist im Hause Orgon eingenistet hat. Als er dann in seiner geheuchelten Gottesfurcht erscheint, setzt er sein Werk der Familienzersetzung fort, bis der total verblendete Orgon ihm nicht nur seine Tochter sondern auch sein ganzes Hab und Gut vermacht. 
Die Betroffenen durchschauen den Heuchler nicht, der schließlich sogar Elmire, die Gattin Orgons, belästigt und dabei die volle Zynik seiner Scheinheiligkeit aufblitzen läßt. „Der Himmel verbietet gewisse Befriedigungen, aber Gott läßt mit sich reden“, deklamiert der Verführer Tartuffe und fällt damit in seine eigene Grube, denn sowohl Orgon als auch sein Sohn Damis werden versteckte Zeugen dieser Bedrängungsszene. 
Friedrich Schilha als Tartuffe
und 
Monika Niggeler als Elmire
FotoQuelle: Stadttheater Ingolstadt
In der ersten Fassung des Stückes bleibt der Heuchler Tartuffe sogar Sieger. Erst nach der Überarbeitung des Stoffes (zweite Premiere: 1669) wird Tartuffe für seine verruchte Hinterfotzigkeit vom königlichen Gesetz bestraft. Friedrich Schilha spricht mit seiner angenehmen, verführerischen Stimme schnell, stellenweise für den Zuschauer zu schnell. Aber Tartuffe darf seine Opfer nicht zu Wort kommen lassen. Nur so kann er sie einspinnen, sie im Kokon seines Heuchelspeichels zu hörigen, geistig ohnmächtigen Wesen machen. 
Trotzdem ist Friedrich Schilha eine überzeugende Darstellung gelungen. Daß eine so negativ besetzte Person wie die des Heuchlers Tartuffe ganz besondere Ansprüche an einen Darsteller stellt, kam in diesem Fall besonders durch die glänzende Interpretation der Zofe Dorine von Marlise Fischer (erhielt für die Rolle den Darstellerpreis „Beste Schauspielerin“ bei den 17. Bayerischen Theatertagen in Bamberg) zum Ausdruck. Die Zofe verkörpert den kühlen Kopf bewahrenden Gegenpart zu den geistig umnebelten Opfern Tartuffes. Dorine war sympathisch, eroberte die Herzen der Zuschauer, spann brillant ihre Gegenintrigen und ließ den Theaterbesucher spüren, daß ein guter Geist nichts, aber auch gar nichts mit einer hohen Abstammung zu tun haben muß. Tartuffe blieb bis zum Schluß der hinterhältige Verführer, dem die Abneigung des Publikums gesichert war. Beide teilten sich den Schlußapplaus, die siegreiche Zofe Dorine und der Gott sei Dank unterlegene Tartuffe oder der Betrüger, diesmal alias Friedrich Schilha
Anton Potche

aus BANATER POST, München, 10. Juli 1999

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