Ein wegweisendes Buch über Leben und Werk
Sr.
Hildegardis Wullfs
Schwester
Hildegardis – Weg, Werk und Vermächtnis – vom Wirken einer deutschen Ordensfrau
im Banat. Herausgegeben von der Landsmannschaft der Banater Schwaben,
Landesverband Bayern, 1996; DM 16,- plus Versandkosten.
Wohl
wissend, daß von einem aus der Diaspora ins Mutterland heimgekehrten Volksstamm
langfristig nur die in Büchern, Zeitungen, Filmen, Lp-CD-MCs, CD-Roms und
anderen neuen, noch nicht geborenen Datenträgern gespeicherten Daten unserer
Nachwelt übermittelt werden können, bemühen sich alle Landsmannschaften bereits
seit den 50er Jahren, ihr kulturelles und zivilisatorisches Schaffen außerhalb
des heutigen deutschen Sprachraums zu konservieren. Biographien bedeutender
Frauen und Männer spielen in der langen Veröffentlichungsreihe eine bedeutende
Rolle, befördern doch gerade sie oft Hintergrundwissen, das den
Erlebnisgenerationen weitgehend vorenthalten wurde und heute den noch
Interessierten oder schon ihren Nachkommen ganz neue Blickwinkel zugänglich
macht.
Der Landesverband Bayern
der Landsmannschaft der Banater Schwaben hat jetzt einen Band über Die Liobaschwester dr. Hildegardis Wulff
veröffentlicht, der in diesem Kontext etwas Licht in eine Zeit bringt, die
lange von rumänischer Seite durch gezielte staatliche Desinformation oder verordnetes
Totschweigen verschleiert wurde, aber wegen einer gewissen Scheu der
Landsmannschaft vor schmerzlicher Vergangenheitsbewältigung auch hierzulande
weitgehend im Dunkel schlummerte. Dabei gibt es doch besonders bei der mittleren Aussiedlergeneration der Banater Schwaben einen großen Nachholbedarf
an Informationen über die Situation ihres Volksstammes in der
Zwischenkriegszeit. Was die heute 40- bis 50-Jährigen aus
Geschichtsschulbüchern erfuhren, war oft die reinste Volksverdummung.
Das
vorgelegte Buch, ein Hardcover mit 220 Seiten, reich bebildert, mit Zeittafel
sowie Personen- und Ortsnamensverzeichnis versehen, ist aber keine Lebensbeschreibung
im herkömmlichen Sinn, sondern eher eine Sammlung von Vorträgen, biographischen
Skizzen, Zeitdokumenten, Erinnerungen und Briefen. Sie alle bilden jedoch nur
eine Informationshülle, in die der „Canadische Brief“ von den Redakteuren Nikolaus Engelmann, Franziska Graf, Peter Krier und Eduard
Schneider eingebettet wurde.
Diesen
autobiographischen Brief schickte die einstige Priorin des Klosters der
Kongregation der Benediktinerinnen von der heiligen Lioba in Temeswar, Sr. Dr. Hildegardis Wulff, im Jahre 1960 aus
Kanada an ihre Mitschwestern im Mutterkloster der Benediktinerinnen v. d. hl.
Lioba in Freiburg. Das erschütternde Dokument vermittelt nicht nur Weg, Werk und Vermächtnis einer deutschen
Ordensfrau im Banat, sondern es öffnet den Vorhang vor einer Epoche, in der
sich das endgültige Schicksal der Banater Schwaben zu besiegeln begann.
Sr.
Dr. Hildegardis Wulff (*1896 in
Mannheim, †1961 in Freiburg) kam 1927 ins Banat, aber nicht um zu belehren und
zu bekehren, sondern um Mädchen und Frauen so zu erziehen, damit sie „ganz
volksverbunden, dem angestammten, altehrbaren Bauerntum nahe aufwachsen“.
Was
die engagierte Schwester im Banat vorfand, ließ ihre literarische Ader noch 33 Jahre
später heftig pulsieren: „Die Dörfer haben nichts von der malerischen Schönheit
altfränkischer oder der Dörfer in Tirol oder im Schwarzwald. Aber, wie sie so
breit dahingestreckt und weit ausgebreitet in der fruchtbaren Ebene lagen,
hatten sie teil an dem ungemeinen Reiz dieser sehr starken südöstlichen Landschaft:
dem unendlichen Himmel, der im Sommer wolkenlos, dunkelblau von Weltanfang bis
zum Weltende reichte, so daß man, auf der breiten, geraden Dorfstraße stehend,
die ins Land hinausführte, denken konnte, der breite Weg führe direkt in den
Himmel, da sich ganz fern Horizont und Erde begegneten.“
Das
religiöse und moralische Rückgrat einiger deutscher Bevölkerungsschichten vor
Ort konnte die vielseitig gebildete und vorausschauende Klosterfrau aber nur
beunruhigen: „Als ich später, einer Einladung folgend, zwei Bauernhäuser in
Billed besichtigte, fand ich großen Wohlstand und Sauberkeit, prächtiges Vieh,
schöne Möbel, aber weder eine Bibel noch ein Gesang- oder Gebetbuch in den
Häusern. […] Eine große Zahl Priester, welche ich 1927 traf, stand noch ganz
unter dem Eindruck vergangener Zeiten, in welchen die katholische
Geistlichkeit, von der Habsburgischen Krone in Ungarn reichst dotiert, sich als
die ersten Diener Ungarns betrachteten und eine geistige Vasallität zwischen
dem Ungarntum und dem Klerus mit Gewalt auch jetzt noch aufrecht zu erhalten
trachteten, als das Banat und Siebenbürgen längst durch den Vertrag von
Versaille und die kluge Politik Titulescu’s an Rumänien gekommen waren. […] Die
>deutschen Ärzte< des Banates waren ebenfalls in eine recht traurige
Sackgasse geraten; krassester Materialismus und die Sucht nach immer besserem
Leben, prunkvolleren Häusern und noblem Auftreten der Familie war bei recht
vielen unter ihnen höchst bedauerlich.“
Die
eher deprimierende Situation hat die volksnahe Ordensfrau zu schier
übernatürlichen Leistungen auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge und der
geistigen Wegweisung im Sinne der christlichen Lehre motiviert. „Kein Bazill
verbreitet sich so schnell, so hemmungslos wie die Ansteckungsstoffe geistiger
Epidemien.“
Was
dem nationalsozialistischen „Bazill“ nicht gelang, - „Mir drohte man ernstlich
mit der Verbringung ins Lager nach Dachau.“ – vollbrachte der kommunistische.
Um die mit außergewöhnlicher Rhetorik begnadete und von den Banater Schwaben
überaus geschätzte und geliebte Priorin mundtot zu machen, zerstörten die
rumänischen Stalin-Handlanger ein durch seine kurze Entstehungszeit bis dahin
beispielloses Aufbauwerk eines katholischen Ordens in Südosteuropa. Sr. Dr. Hildegardis Wulff mußte neun Jahre lang
für ihr selbstloses Wirken im Zuchthaus büßen.
Die
längst zur rumänischen Staatsbürgerin gewordene Priorin war nach 1944 den
kommunistischen Machthabern weniger durch die staatseigene atheistische
Doktrin, als vielmehr wegen ihrem außerklösterlichen Einsatz für die über Nacht
zu Staatsfeinden deklarierten Banater Schwaben ein Dorn im Auge. Dr. Hildegardis Wulff scheute selbst vor
verwegenen, ja abenteuerlichen Aktionen nicht zurück, um Menschen vor dem
Zugriff der kommunistischen Klauen zu retten. Sie hat nach 1945 einen
Bekanntheitsgrad erreicht, der bis weit in die Siedlungsgebiete der
Donauschwaben in Jugoslawien und Ungarn reichte. Menschen in den ausweglosesten
Situationen ehoben ihre flehenden Blicke zu einer Lichtgestalt, die in den
verängstigten Herzen längst die Grenzen des Sinnlichen gesprengt hatte. Der
Brief eines durch die Kriegswirrnisse in den Westen gelangten Donauschwaben an
seine zwei, von einem rumänischen Bauer aus einem serbischen Kinderlager
geretteten Buben spricht Bände: „Geht in der Nacht aus dem Lager weg,
marschiert in den Sommernächten, versteckt euch am Tag in einem Gebüsch und
schlaft. Wenn euch ein böser Hund begegnet, gebt ihm ein Stück Brot und setzt
euch, und er wird euch nichts tun. Mit den Leuten sprecht serbisch oder
ungarisch, zeigt nicht, daß ihr Deutsche seid; geht immer nach Osten,
Sonnenaufgang, und in Rumänien fragt nach dem Weib Hildegard, die soll euch
helfen, daß ihr wieder zu mir kommt. Die hat schon vielen geholfen.“
Dieser
an Evangeliumsworte erinnernde Aufruf verleitet aber auch allzu leicht zum
Trugschluß, daß die Klosterschwester Hildegardis
mit übernatürlichen Fähigkeiten für ihre Mission ausgestattet war. Wie zutiefst
menschlich, aber auch ungewöhnlich glaubensstark diese außergewöhnliche Frau
fühlte – aus einigen ihrer Schilderungen spricht auch Strenge, deren Nachvollzug
uns heute wohl Schwierigkeiten bereiten würde –, zeigen ihre absichtlich
kurzgehaltenen Gedanken zu ihrem Zwangsaufenthalt in einem kleinen Teil der 15
Gefängnisse, hinter deren Mauern sie von 1950 bis 1959 leiden mußte. „Man ist
wie ein gefangener Vogel, welcher wild im Käfig umherflattert und sich den Kopf
sinnlos an den Stäben und Gittern einrennt.“
Und
trotzdem bildet das Bemühen um Verstehen und Verzeihen das Herzstück des
Vermächtnisses, das Sr. Dr. Hildegardis
Wulff den Adressaten ihres „Canadischen Briefes“ hinterläßt: „Mir war mit
der Zeit die feste Gewißheit zuteil geworden, daß der Herr ein Strafgericht,
ein großes Reinigungsverfahren an uns vollziehen wollte, zuerst an mir selber,
dann an einzelnen Zweigen der hl. Kirche, aber auch an der ganzen bürgerlich- kapitalistischen
und nationalistischen Klasse. […] Freilich, wir mußten gegen die falsche und
sündhafte Weltanschauung des Kommunismus kämpfen.“
29
Jahre nach dem Tode von Sr. Dr. Hildegardis
Wulff ist der Kommunismus an seiner menschenverachtenden Ideologie
gescheitert und den Volksstamm, dessen christliche Prägung die Ordensfrau sich
zum Lebensziel gesetzt hatte, gibt es als geschlossene, in der Diaspora lebende
Gemeinschaft nicht mehr. Ihr damals segensreiches Wirken bleibt durch das nun
vorliegende Buch auch nachfolgenden Generationen zugänglich.
Mark
Jahr
aus DER
DONAUSCHWABE, Aalen, 11. Mai 1997
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