Die
Leute standen nach der Aufführung in kleinen Gruppen zusammen. Ich schlenderte
gemütlich um die Schlangen vor dem Garderobentresen und vernahm dabei
merkwürdige Fragen. Es ging immer darum, wer soeben wen dargestellt hat, und
ich gestehe, daß ich wieder an den Ort des Geschehens zurückkehren müßte, um
mich ein zweites Mal zu vergewissern, daß es auch wirklich so ist, wie ich es
entschlüsselt habe.
Der
Ort der Handlung ist „Mandacrest, der Stammsitz der Familie Hillcrest in der
Nähe von Hampstead Heath“ und das Geschehen selbst ist ein
Verschleierungsprozeß, der Das Geheimnis
der Irma Vep zu einem schwer entschlüsselbaren, „Eingroschengrusel“ macht. Der Amerikaner Charles Ludlam (1943 bis 1987) hat
dieses Verwechslungsschauspiel geschrieben und der Regisseur Helm Bindseil hat es in der
Werkstattbühne des Theaters Ingolstadt so (gut!) inszeniert, daß viele
Zuschauer nach wohl jeder Aufführung ratlos die Besetzung dieses Stückes
studierten.
Lord
Edgar Hillcrest, Lady Enid Hillcrest, der Schweinehüter Nicodemus Underwood, die
Haushälterin Jane Twisden, ein Eindringling, der Mumiensucher Alcazar und die
Geister Pev Amri und Irma Vep – beide Namen sind Anagramme des Wortes Vampire –
erleben auf Mandacrest und in Ägypten die selbst für Gruselfans ungewöhnlichsten
Dinge. Wenn Werwölfe Vampire anfallen, ist zwar für Gänsehaut gesorgt, aber von
Durchblick in die verwirrte Geschichte gewinnen, kann noch lange nicht die Rede
sein. Und gar versuchen, sie nachzuerzählen, würde in ein langes
Entwirrungsverfahren mit zweifelhaftem Ausgang münden, denn in dieser
Inszenierung schlüpft jeder in das Wesen des anderen, so daß die acht von der
Übersinnlichkeit beherrschten Gestalten eigentlich nur zwei sind.
Natürlich ging bei so
manchem Zuschauer nach zweistündigem Rätselraten erst beim Anziehen an der
Garderobe der Knopf auf: Da waren vielleicht nur zwei statt acht Schauspieler
am Werk?!Friedrich Schilha (li.) und Thomas Schneider
FotoQuelle: DONAUKURIER
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Wie
wahr! Diese Aufführung war erstklassig. Auch mir ging erst auf dem Heimweg ein
Licht auf: Es waren doch nie mehr als zwei Personen auf der Bühne! Aber die
anderen sechs Namen der Schauspieler/innen aus dem Programmheft? Die sind weder
auf der Gehalts- noch auf der Gastschauspielerliste des Theaters Ingolstadt
auffindbar. Umso bekannter sind aber die Namen der zwei in eigenem Fleisch und
Blut, doch jeweils in der Gestalt von gleich mehreren bisher nur in der
menschlichen Phantasie aufgestöberten Blutrünstern aufgetretenen Schauspieler: Friedrich Schilha und Thomas Schneider.
Nun ist dieses Stück unverkennbar eine Satire
auf den Aberglauben, aber man windet sich keineswegs vor Lachen, selbst dann
nicht, wenn die Tragikomik des Stückes ihren Höhepunkt erreicht und man endlich
erkennt, daß keiner der acht Protagonisten- die eigentlich nur zwei sind – von
dem Geisterspuk auf Mandacrest verschont bleibt. Es ist nicht die in einigen
Lustspielen übliche Derbheit der Sprache oder der in anderen Theaterstücken
anzutreffende gescheite Witz in den feinsinnigen Dialogen, die hier als Waffe
gegen immer wiederkehrende Vampirromantik eingesetzt werden. Lediglich das
Verwechslungsspiel der Figuren, ihre inhaltlich unproblematische
Austauschbarkeit ermöglichen ein Katz-und Maus-Spiel mit dem Zuschauer, das
irgendwann auch den fanatischsten Vampir- oder Werwolf an den eigenen
Überzeugungen zweifeln läßt.
Was
ein Regisseur braucht, um ein solch grandioses Verwechslungsspiel in Szene zu
setzen, sind vor allem zwei hervorragende Schauspieler/innen. Schilha und Schneider spielen mit viel Authentizität, und die vom Autor gezielt
formal kreierte Bühnensprache mit ihrer unnatürlichen Überbetonung kommt fast
zu kurz. Die zwei Haupt- und Nebendarsteller sind mit viel Lust bei der Sache.
Da ist die Leichtigkeit des Seins, des Schauspielens mit allen sicht- und
unsichtbaren Fasern des eigenen Ichs, sprich des jeweils angeborenen Talents,
zu spüren. Während Schilhas Spiel
eher im Dienste der hohen Kunst anzusiedeln ist, also durch Text- und
Mimiktreue glänzt, so begibt Schneider
sich gerne auf die gefährliche Gratwanderung eingeflochtener Geistesblitze.
Inwieweit diese Textabweichungen vom Publikum honoriert werden, ist
wahrscheinlich von Vorstellung zu Vorstellung verschieden.
Wenn
aber Schilha in diesem Stück seinem
Partner auf dem Weg der Rezitativfreiheit folgt, dann tut er es dort, wo er
vermutet, nicht ertappt zu werden. Es ist auch unwahrscheinlich, daß in jeder
Aufführung irgend ein Zuschauer aus dem sprudelnden „transilvanischen“
Vampirkauderwelsch ein dann doch ziemlich klares „Dracu să-l ia pe Vlad Țepeș“
heraushört und auch etwas damit anfangen kann. Schilha hat seinen Spaß an diesen Einwürfen, wo eben in diesem
Stück alles erlaubt zu sein scheint, wenn es nur dem Grundsatz
„unkonventionell“ dient.
Der
Mensch Schilha nimmt so
klammheimlich, nur für sich allein, ein Stück eigener Vergangenheit mit auf
seinen Arbeitsplatz. Es sind nur Sprachfetzen – vielleicht an jedem Abend
andere –, aber sie deuten auf die Verinnerlichung einer Sprache hin, die auf
die Spur seiner geographischen Abstammung führt.
Friedrich
Schilha wurde am 14. August 1943 in
Reschitza geboren. Nach einem Germanistikstudium besuchte er die
Schauspielhochschule in Bukarest. Von 1974 bis 1979 spielte und inszenierte er
am Deutschen Staatstheater Temeswar. Nach seiner Aussiedlung in die
Bundesrepublik Deutschland spielte Friedrich
Schilha sechs Jahre lang an der Städtischen Bühne in Münster. 1985
wechselte er ans Pfalztheater in Kaiserslautern. Seit 1993 arbeitet er nun am
Theater Ingolstadt.
Friedrich
Schilha
ist in erster Reihe ein Charakterdarsteller. Die ernsten Rollen liegen seiner
Stimme und auch seinem Theaterverständnis am besten. Dementsprechend klingt
auch die Namensliste der von ihm verkörperten Personen, die von Sophoklesʼ Ödipus über den Biff in Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden bis zu dem Juden Schlomo Herzl in George Taboris Mein Kampf reicht.
In
der laufenden Spielzeit ist Friedrich
Schilha in Ingolstadt noch als d’Annunzio in Clara S. von Elfriede
Jelinek und in der sehr anspruchsvollen Rolle des Herrn de Sade in Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul
Marats von Peter Weiss zu sehen.
Anton
Potche
aus BANATER POST, 20. April 1997
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