Dienstag, 24. September 2019

Friedrich Schilha sucht „Das Geheimnis der Irma Vep“ am Theater Ingolstadt

Die Leute standen nach der Aufführung in kleinen Gruppen zusammen. Ich schlenderte gemütlich um die Schlangen vor dem Garderobentresen und vernahm dabei merkwürdige Fragen. Es ging immer darum, wer soeben wen dargestellt hat, und ich gestehe, daß ich wieder an den Ort des Geschehens zurückkehren müßte, um mich ein zweites Mal zu vergewissern, daß es auch wirklich so ist, wie ich es entschlüsselt habe.
Der Ort der Handlung ist „Mandacrest, der Stammsitz der Familie Hillcrest in der Nähe von Hampstead Heath“ und das Geschehen selbst ist ein Verschleierungsprozeß, der Das Geheimnis der Irma Vep zu einem schwer entschlüsselbaren,  „Eingroschengrusel“ macht. Der Amerikaner Charles Ludlam (1943 bis 1987) hat dieses Verwechslungsschauspiel geschrieben und der Regisseur Helm Bindseil hat es in der Werkstattbühne des Theaters Ingolstadt so (gut!) inszeniert, daß viele Zuschauer nach wohl jeder Aufführung ratlos die Besetzung dieses Stückes studierten.
Lord Edgar Hillcrest, Lady Enid Hillcrest, der Schweinehüter Nicodemus Underwood, die Haushälterin Jane Twisden, ein Eindringling, der Mumiensucher Alcazar und die Geister Pev Amri und Irma Vep – beide Namen sind Anagramme des Wortes Vampire – erleben auf Mandacrest und in Ägypten die selbst für Gruselfans ungewöhnlichsten Dinge. Wenn Werwölfe Vampire anfallen, ist zwar für Gänsehaut gesorgt, aber von Durchblick in die verwirrte Geschichte gewinnen, kann noch lange nicht die Rede sein. Und gar versuchen, sie nachzuerzählen, würde in ein langes Entwirrungsverfahren mit zweifelhaftem Ausgang münden, denn in dieser Inszenierung schlüpft jeder in das Wesen des anderen, so daß die acht von der Übersinnlichkeit beherrschten Gestalten eigentlich nur zwei sind.
Natürlich ging bei so manchem Zuschauer nach zweistündigem Rätselraten erst beim Anziehen an der Garderobe der Knopf auf: Da waren vielleicht nur zwei statt acht Schauspieler am Werk?!
Friedrich Schilha (li.) und
Thomas Schneider
FotoQuelle: DONAUKURIER
Wie wahr! Diese Aufführung war erstklassig. Auch mir ging erst auf dem Heimweg ein Licht auf: Es waren doch nie mehr als zwei Personen auf der Bühne! Aber die anderen sechs Namen der Schauspieler/innen aus dem Programmheft? Die sind weder auf der Gehalts- noch auf der Gastschauspielerliste des Theaters Ingolstadt auffindbar. Umso bekannter sind aber die Namen der zwei in eigenem Fleisch und Blut, doch jeweils in der Gestalt von gleich mehreren bisher nur in der menschlichen Phantasie aufgestöberten Blutrünstern aufgetretenen Schauspieler: Friedrich Schilha und Thomas Schneider.
Nun ist dieses Stück unverkennbar eine Satire auf den Aberglauben, aber man windet sich keineswegs vor Lachen, selbst dann nicht, wenn die Tragikomik des Stückes ihren Höhepunkt erreicht und man endlich erkennt, daß keiner der acht Protagonisten- die eigentlich nur zwei sind – von dem Geisterspuk auf Mandacrest verschont bleibt. Es ist nicht die in einigen Lustspielen übliche Derbheit der Sprache oder der in anderen Theaterstücken anzutreffende gescheite Witz in den feinsinnigen Dialogen, die hier als Waffe gegen immer wiederkehrende Vampirromantik eingesetzt werden. Lediglich das Verwechslungsspiel der Figuren, ihre inhaltlich unproblematische Austauschbarkeit ermöglichen ein Katz-und Maus-Spiel mit dem Zuschauer, das irgendwann auch den fanatischsten Vampir- oder Werwolf an den eigenen Überzeugungen zweifeln läßt.
Was ein Regisseur braucht, um ein solch grandioses Verwechslungsspiel in Szene zu setzen, sind vor allem zwei hervorragende Schauspieler/innen. Schilha und Schneider spielen mit viel Authentizität, und die vom Autor gezielt formal kreierte Bühnensprache mit ihrer unnatürlichen Überbetonung kommt fast zu kurz. Die zwei Haupt- und Nebendarsteller sind mit viel Lust bei der Sache. Da ist die Leichtigkeit des Seins, des Schauspielens mit allen sicht- und unsichtbaren Fasern des eigenen Ichs, sprich des jeweils angeborenen Talents, zu spüren. Während Schilhas Spiel eher im Dienste der hohen Kunst anzusiedeln ist, also durch Text- und Mimiktreue glänzt, so begibt Schneider sich gerne auf die gefährliche Gratwanderung eingeflochtener Geistesblitze. Inwieweit diese Textabweichungen vom Publikum honoriert werden, ist wahrscheinlich von Vorstellung zu Vorstellung verschieden.
Wenn aber Schilha in diesem Stück seinem Partner auf dem Weg der Rezitativfreiheit folgt, dann tut er es dort, wo er vermutet, nicht ertappt zu werden. Es ist auch unwahrscheinlich, daß in jeder Aufführung irgend ein Zuschauer aus dem sprudelnden „transilvanischen“ Vampirkauderwelsch ein dann doch ziemlich klares „Dracu să-l ia pe Vlad Țepeș“ heraushört und auch etwas damit anfangen kann. Schilha hat seinen Spaß an diesen Einwürfen, wo eben in diesem Stück alles erlaubt zu sein scheint, wenn es nur dem Grundsatz „unkonventionell“ dient.
Der Mensch Schilha nimmt so klammheimlich, nur für sich allein, ein Stück eigener Vergangenheit mit auf seinen Arbeitsplatz. Es sind nur Sprachfetzen – vielleicht an jedem Abend andere –, aber sie deuten auf die Verinnerlichung einer Sprache hin, die auf die Spur seiner geographischen Abstammung führt.
Friedrich Schilha wurde am 14. August 1943 in Reschitza geboren. Nach einem Germanistikstudium besuchte er die Schauspielhochschule in Bukarest. Von 1974 bis 1979 spielte und inszenierte er am Deutschen Staatstheater Temeswar. Nach seiner Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland spielte Friedrich Schilha sechs Jahre lang an der Städtischen Bühne in Münster. 1985 wechselte er ans Pfalztheater in Kaiserslautern. Seit 1993 arbeitet er nun am Theater Ingolstadt.
Friedrich Schilha ist in erster Reihe ein Charakterdarsteller. Die ernsten Rollen liegen seiner Stimme und auch seinem Theaterverständnis am besten. Dementsprechend klingt auch die Namensliste der von ihm verkörperten Personen, die von Sophoklesʼ Ödipus über den Biff in Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden bis zu dem Juden Schlomo Herzl in George Taboris Mein Kampf reicht.
In der laufenden Spielzeit ist Friedrich Schilha in Ingolstadt noch als d’Annunzio in Clara S. von Elfriede Jelinek und in der sehr anspruchsvollen Rolle des Herrn de Sade in Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats von Peter Weiss zu sehen.
Anton Potche

aus BANATER POST, 20. April 1997

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