Duoabend in Ingolstadt
Musiker/innen, für die Musik mehr als Lese- und
Vortragsvermögen bedeutet, sind sich des missionarischen Charakters bewußt, der
universeller Tonkunst innewohnt. Sie sind getreu diesem Sendungsbewußtsein
dauernd auf der Suche nach neuen Werken. Diese einem breiten Publikum
zugänglich zu machen, liegt im Bestreben jedes wahren Musikers. Wenn sie nun
die Musik eines geographischen Raumes, die ihnen durch bewußtes Erleben
bekannt ist oder ihnen dank Abstammung nachträglich übermittelt wurde, in
anderen Regionen zum Erklingen bringen, dann handeln sie gemäß dem
Universalitätsprinzip ihrer Kunst. Genau in diesem Sinne handelten zwei begnadete
Musikerinnen in Ingolstadt, als sie im Großen Musiksaal des Apian-Gymnasiums
vor ein erwartungsvolles Publikum traten.
Eva-Maria Atzerodt,
Klavier, und Bärbel Danek,
Querflöte, warteten mit einem Programm auf, das auch Werke zweier
südosteuropäischer Komponisten beinhaltete. Bärbel Danek hat den Anstoß für diese Auslese gegeben, stammt sie
doch aus Kronstadt in Siebenbürgen. Die in Ingolstadt bereits zur Institution
gewordene Pianistin, Violinistin, Cellistin, Kontrabassistin, Organistin,
Sängerin, Chorleiterin und Kommunalpolitikerin Eva-Maria Atzerodt für dieses Projekt zu gewinnen, war bestimmt
nicht schwer, denn für die vielfältig begabte Künstlerin gilt nur das Primat
der Kunst, auch wenn sie weniger rentabel oder gar brotlos – sprich: Eintritt
frei – sein sollte.
Friedrich
Kuhlaus (1786 – 1832) Grande
Sonate concertante begann in einem fulminanten Allegro con passione, dessen Länge und überraschende
Tempodrosselungen leicht zur Annahme verleiten konnten, daß das Werk ohne
Satzpausen dargeboten würde. Die Befürchtung, dass sich hier ein ermüdendes
musikalisches Virtuosenexperiment anbahnen könnte, verflog schnell im folgenden
Scherzo. In lieblichem Reigen schien
mal das Klavier, mal die Querflöte zu enteilen, um immer wieder von der
Spielgefährtin eingeholt zu werden. Das Adagio
mit Kadenzfreiheiten und das Rondo,
geprägt von ineinander verwobenen Läufen mit wechselseitiger Dominanz, boten
den zahlreichen Zuhörern erste musikalische Höhepunkte.
Foto: Helmut Graf
FotoQuelle: KK 989
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Als vor dem Einsatz zum zweiten
Stück Bärbel Danek, zurzeit Soloflötistin
des Philharmonischen
Orchesters der Stadt Gelsenkirchen / Musiktheater im Revier, als
Wahlkriterium für die Suite für Flöte und
Klavier von Hans Peter Türk
(geboren 1940 in Hermannstadt/Siebenbürgen) die Ausdruckskraft erläuterte, mit
der in diesem Werk das Thema Abschied zur Geltung kommt, und sie mit ihrem
eigenen Aussiedlerschicksal verknüpfte, war klar, daß hier Musik als
intellektuelles Geflecht aus Geschichts-, Kunst- und Gesellschaftsbewußtsein
dargeboten wird. Daß das siebenbürgisch-sächsische Volkslied höchsten
musikalischen Ansprüchen genügen kann, wenn sich ein guter Komponist seiner
annimmt, ist bereits im Perpetuum mobile
mit seinen schier unendlichen Klagerufen der Flöte, die nur ab und zu vom
Klavier punktiert und diskret unterbrochen werden, zu erkennen. Im Notturno mündet das Wehklagen in lange,
in allen Lagen sehr weiche Flötentöne. Doch dann erklingen Groteske-Variationen im Unisono. Das Klavier signalisiert
Entschlossenheit, will die verzagte Flöte aufmuntern, reißt sie mit in einen
gemeinsamen Satzendspurt. Doch gleich darauf erfolgt der Rückfall ins
beharrliche Ostinato der Klagerufe.
Schicksalhafter, nur an den instrumentalen Gestaltungsgrenzen des Fortissimos sich brechender
Abschiedsschmerz erfüllt den Raum, um dann in ein resignierendes Pianissimo possibile zu sinken.
Den Übergang zu etwas heiterer,
stimmungsvoller Atmosphäre schaffte das Duo mit der First Sonata for Flute and Piano des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu (1890 – 1959). Ein
Hauch von neuer Welt – Bohuslav war
Weltenbummler, lebte in Prag, Paris, den USA, in Italien und in der Schweiz -,
aber auch viel Naturnähe verspürte man besonders in dem Allegro moderato. Im Adagio
lag eine schwer erkennbare Melodie verborgen. Das folgende Allegro poco moderato entschädigte die Zuhörer aber dann für die
kleine Mühe im zweiten Satz. Schöne, freudig erregte Phrasierungen stimmten auf
ein grandioses Finale ein.
Das Cantabile et presto des Rumänen George Enescu (1881 – 1955) stand als Konzertabschluß, wohl auch
als Höhepunkt gedacht, an. Die rumänische Folklore steht bei Enescu zwar Pate, wirkt aber in keiner Passage
dominant. Wie ein klarer Gebirgsbach plätscherte die Melodienfolge dahin, gar
nicht fremd, nur „anders“. Anders schön und leider viel zu kurz war diese
Flötenperle in der Interpretation des Ingolstädter Duos.
Unter stürmischem Applaus
verließen die Musikerinnen das Podium. Zugabe: Variationen zu „Du, du liegst mir im Herzen“, wahrscheinlich auch
als Hommage für ein dankbares Publikum auserkoren. Solchen Musikgenuß können
nur von Idealen getragene Musikerinnen vermitteln, und wenn ich mir das
überquellende Spendenkörbchen am Saalausgang vor Augen führe, dann freut mich
der Gedanke, daß die wahre Kunst an diesem Abend doch nicht brotlos geblieben
war.
aus
KULTURPOLITISCHE KORRESPONDENZ,
Bonn,
15. November 1996
15. November 1996
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