Nikolaus Wolcz inszenierte in Ingolstadt Cyrano de Bergerac
Degenhelden gab es zu seiner Zeit bestimmt mehrere in Paris,
aber sicher keinen, der mit gleichem Geschick auch Liebesbriefe aus seiner
Schreibfeder zaubern konnte. Cyrano de
Bergerac hieß der degenschwingende Romancier, den seine Kameraden „einen
Dämon der Tapferkeit“ nannten, und der um 1640 in Paris sein Unwesen trieb. Um
aber unsterblich zu werden, reichten weder seine Waffentaten noch sein Roman Mondstaaten oder die auf Kardinal
Mazarin zielenden Spottgedichte aus. Es war seine große Nase, die dem
streitbaren und liebessüchtigen Gascogner zum Leben nach dem Tode verhalf. Sie
ist in der Phantasie eines genialen südfranzösischen Dichters übernatürlich
geraten und trägt die Schuld für unbefriedigte Liebe und fabelhafte
Rechtfertigungsduelle.
Edmond Rostand
verhalf so Cyrano mit unrühmlichem
Ruhm zu neuem Glanz. Im Jahre 1897 veröffentlichte er die romantische Komödie Cyrano de Bergerac, die auch heute noch
Theaterfans in freudige Erregung versetzt.
Ingolstadts Theaterintendant Wolfram Krempel hat seine erste, sehr erfolgreich verlaufene Saison
in der Donaustadt mit der Freilichtaufführung des Cyrano de Bergerac beendet. Ort der lustigen Liebesgeschichte ohne
Happyend war 1996 der klassizistische Turm Baur am südlichen Donauufer.
Die Regie dieser gewollt opernhaft geratenen Inszenierung
hatte er einem Regisseur anvertraut, der bereits erfolgreiche
Musiktheateraufführungen in Wien, Paris und London auf die Bretter gebracht
hat. Nikolaus Wolcz konnte seine
reiche Erfahrung im Gestalten sowohl räumlich als auch inhaltlich groß
angelegter Bühnenstücke voll in der Ingolstädter Aufführung einbringen. 95
Akteure boten ein buntes Bild des französischen Gesellschaftslebens zur Zeit
der beiden Ludwigs, des XIII. und des XIV. Es ist bei dieser Menge von
Darstellern in ständigem Kommen und Gehen und bei oft schnell wechselnden
Szenenbildern viel Geschick für die Kristallisation des Wesentlichen gefragt,
um die Handlung vom regen Drumherum nicht verwischen zu lassen.
Da zeigte sich dann, daß Nikolaus Wolcz nicht umsonst sein Talent bei Liviu Ciulei an der Bukarester Theater- und Filmhochschule „Ion
Luca Caragiale“ schleifen ließ und durch viele Inszenierungen an den zwei
größten Bühnen der rumänischen Hauptstadt, des National- und des
Munizipaltheaters, aber auch während seiner Arbeit an mehreren Filmen einen
ungemein scharfen Kunstsinn für derlei Aufführungen entwickelt hat. Das
Publikum und auch die Kritiker waren von Wolcz’
Cyrano begeistert. Die platonische
Liebe blieb während der fast dreistündigen Darbietung der glühende Kern des
Geschehens, der die Sinne betäubte und bei der fantastischen
Doppel-Liebeserklärung der zwei Kadetten Cyrano de Bergerac und Christian de
Neuvillette unter dem Balkon ihrer angebeteten Roxana bei aufgehendem (auch
natürlichem) Mond den Eindruck vermittelte, daß jegliches Atmen im
klassizistischen Natursteinoval ausgesetzt habe.
Dies war aber nur einer der Höhepunkte, in denen es dem 1944
in der Temeswarer Josefstadt geborenen Schauspieler, Theater und Opernregisseur
gelungen ist, Poesie pur in Wort, Bild und Handlung zu vereinigen. „Bei aller optischer
Qualität jedoch ist der beeindruckendste Teil der Inszenierung von Nikolaus Wolcz seine beinahe
musikalische Behandlung der Tempi. Und die stellt er harmonisch in den Dienst
einer Sprache, die – was selten genug ist – durch ihr Versmaß nicht gebremst
oder domestiziert erscheint, sondern im Gegenteil unglaublich schwingend und
beschwingt, humorvoll und auf satirische Weise ‚kalauernd‘ wirkt.“ So schwelgte
nach der Premiere (22. Juni, bei unverschämter Kälte) der DONAUKURIER
–Feuilletonist Michael Schmatloch.
Die Rollenbesetzung war optimal und für den Cyrano in dem
Neuzugang des Ingolstädter Theaters, Thomas
Schneider, ideal. Mit Friedrich
Schilha (hervorragend als Comte de Guiche) und Robert Schüpfer (Taschendieb) hatten aber auch zwei weitere aus dem
Banat stammende Darsteller Teil am Erfolg dieses Freilichtschauspiels.
Nikolaus Wolcz
Foto: atelierunum.blogspot.com
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Wolcz kam,
inszenierte und siegte. Für ihn waren es sieben Wochen Arbeit fürs tägliche
Brot. Aber die Früchte seiner Arbeit genossen noch viele Menschen, die das
Ideal der reinen, humorvollen und doch so tragischen Liebe mitempfinden
wollten, als er auch diese Städte des schnelllebigen Theaterruhms schon wieder
verlassen hatte.
Auf seine überaus ersprießliche Theater- und Opernarbeit
angesprochen meinte Nikolaus Wolcz,
der in den siebziger Jahren auch am Deutschen Theater in Temeswar drei Stücke
auf die Bühne gebracht hat, mit einem unverfälschten Zungenschlag: „Na aber
jetz’, werd’ ich doch langsam alt.“ Sprach’s, packte seine Koffer und machte
sich auf den Flug in die Staaten, wo er ab sofort eine sechsjährige Professur
als Chef der Schauspielabteilung an der Columbia University in New York
begleiten wird.
Tja, das nennt man wohl Josefstädter Humor.
aus BANATER POST, 20. August 1996
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