Dienstag, 22. Mai 2018

Rückblick

Sich begegnen im Sinne eines guten Geistes
„Die Wirklichkeit des Heiligen Geistes scheint unserer Frömmigkeit, in unserem christlichen Bewusstsein und damit auch in unserem Leben fast stiefmütterlich behandelt zu werden. Ostern und Weihnachten haben Pfingsten längst den Rang abgelaufen, allenfalls die Pfingstferien deuten noch auf eine besondere Bedeutung des Festes hin. Doch Pfingsten kann immer noch eine Hilfe sein zum Nachdenken und damit auch zur Verdeutlichung über das Wirken des Heiligen Geistes.“
So schreibt der Eichstätter Bischof Dr. Walter Mixa in seinen Gedanken zum Pfingstfest, (DONAUKURIER, 25. Mai 1996) und wie alle zu Wort oder Schrift gewordenen Gedanken kann man auch diese ergänzen; vielleicht mit der Zugabe: Pfingsten kann immer noch eine Gelegenheit sein zum Wiedersehen, zum Einkehren, zum Rückblicken.
Nostalgie, werden Spötter und oberflächliche Nachrichtenkonsumenten deklamieren, wenn sie von den medienwirksamen Heimattreffen der Sudetendeutschen, Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen erfahren. Wer allerdings die Kraft aufbringt, sich vom politischen Kundgebungsschein nicht blenden zu lassen, wird sicherlich den wirklichen Sinn dieser Veranstaltungen erkennen. Es muß ja nicht unbedingt der Heilige Geist sein, der die Vertriebenen und Aussiedler an Pfingsten zusammenführt; aber es ist ein Sichbegegnen im Sinne dieses Geistes, der – um es mit Dr. Mixas Worten zu sagen – „besonders dadurch wirken kann, wie wir uns untereinander im täglichen Leben begegnen“.
Heimweh, Sehnsucht an Pfingsten? Ja! Warum nicht; sind sie doch der beste Beweis dafür, dass Menschen nicht geistlos wie Pflanzen und Tiere über diesen Planeten ziehen. Der Augenblick, das Erlebte ist für den Homo sapiens zwar zeitlich vergänglich, geistig aber keineswegs tot. Und wer mal eine Heimat verloren oder aufgegeben hat, empfindet rückwärtsgewandte Gefühlsanstöße viel intensiver. Eben solche Gefühlsstimulantien sind die Heimattreffen an Pfingsten. Nicht die politischen und folkloristischen Aspekte, die durch die Blitzlichter der Medien dem deutschen Fernseh- und Zeitungskonsumenten zugänglich werden, sind das wesentliche dieser Zusammenkünfte, sondern das, was am Rande stattfindet: die persönlichen Gespräche der Kinder- und Jugendfreunde von vorgestern und der Nachbarn von gestern.
Auch die Menschen kleinerer Volksgruppen aus den Vertreibungs- und Aussiedlungsgebieten Ost- und Südosteuropas spüren das Bedürfnis , sich zu treffen, um mal wieder erzählen zu können, wie es war, wie es ist und wie es noch kommen mag. Der eine oder andere Journalist oder einfach Geschichtsinteressierte sollte bei solchen „kleinen“ Treffen ruhig mal reinschauen, zuhören und auch mit den Betroffenen reden. Was man da so erfahren kann, ist durchaus dazu angetan, sich mehr mit der schier unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der deutschen Volksgruppen im leider noch immer sehr fernen Osten zu beschäftigen.
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Da standen doch tatsächlich zwei junge Männer vor einem vergrößerten Farbfphoto, das einen von Häuserreihen eingesäumten Bergfluß zeigte, und identifizierten die Landschaft als ihre Heimatstraße, um im gleichen Atemzug ihre grundverschiedenen Ahnenwurzeln zu bekräftigen. Während der eine stolz war, links des Flusses, in der „Teitschi Reih“ aufgewachsen zu sein, rühmte sich der andere seiner Bubenstreiche von der rechten Flußseite, aus der „Zipser Reih“.
Die Oberwischauer aus Ingolstadt
beim Herbstfest in ihrer
neuen Heimatstadt

Foto: Mark Jahr
Dieses und viele ähnliche Gespräche waren an Pfingsten anno 1996 in der Reithalle des Ingolstädter Klenzeparks zu vernehmen. Anlaß dazu gab die Ausstellung Oberwischauer Land, die im Rahmen des Heimattreffens der Oberwischauer Ortsgemeinschaft zu sehen war. Hier trafen sich Mitglieder (ca. 800) der wohl kleinsten deutschen Volksgruppe Rumäniens.
Banater Schwaben, Bessarabiendeutsche, Berglanddeutsche, Buchenlanddeutsche, Dobrudschadeutsche und Sathmarer Schwaben; das Blühen und Verblühen all’ dieser Volksgruppen wird in der Dokumentation Rumäniendeutsche zwischen Bleiben und Gehen, erstellt vom Verein für das Deutschtum im Ausland e. V. (VDA) und 1990 veröffentlicht, detailliert geschildert, während die Oberwischauer nur beiläufig erwähnt werden. Dabei ist gerade das Werden, Gedeihen und Vergehen dieser einst 6000 Seelen zählenden Volksgruppe im romantischen, weltentlegenen Wassertal geschichtlich und ethnisch hochinteressant.
Oberwischau (rumänisch Vișeu de Sus) gelegen an der Einmündung des Flusses Vaser in den Vișeu, wird erstmals 1362 im Maramurescher Diplom erwähnt. Aber bereits 200 Jahre vorher sollen sich dort sächsische Bergleute niedergelassen haben. Eine in ihrer Dauer in Europa einzigartige Besiedlungsgeschichte einer in den Maramurescher Bergen gelegenen, von der Außenwelt weitgehend isolierten Ortschaft hatte begonnen. 1776 setzte eine Siedlungswelle ein, die jene Holzfäller, Flößer und Handwerker ins Wassertal brachte, die heute von den Oberwischauern als ihre Vorfahren geehrt werden und aus der Zips, dem Land unter der Hohen Tatra (heute Slowakei) stammen.
1778 kamen neue Siedler aus dem Salzkammergut (Österreich) und 1785 sogar Goldwäscher aus Bayern. Weitere Neubürger aus der Zips sind für die Jahre 1796 und 1798 vermerkt. Neben Zipsern ließen sich 1812 auch Einwanderer aus anderen deutschen und österreichischen Landen im Wassertal nieder, wo seit 1792 ein Sägewerk betrieben wurde. Die letzten Zuzügler waren nach dem Ersten Weltkrieg zu verzeichnen. Sie kamen aus Österreich.
Obwohl weit abgelegen von den Siedlungsgebieten der großen deutschen Volksgruppen aus Rumänien, mussten die Oberwischauer deren Schicksal während und nach dem Zweiten Weltkrieg teilen. Das bescherte auch ihnen Gefallene, Geflüchtete und Deportierte.
Hoffnungen keimten in der 50er Jahren auf, als man neben einem deutschen Kindergarten sogar eine deutsche 8-Klassen-Schule einrichtete. Doch kam schon bald Ceauşescu mit seinem verheerenden Wirtschaftsgrößenwahn und der alles egalisierenden Kulturrevolution an die Macht, was auch die Oberwischauer zur Aussiedlung veranlaßte.
Viele von ihnen standen an Pfingsten vor den Schautafeln in der Ingolstädter Reithalle und ließen im Geist eine ferne, äußerlich romantische Welt wiedererstehen. Pfingsten bedeutete für sie bestimmt mehr als „Pfingstferien“. Sie werden es Georg Faltin, Vorsitzender der Oberwischauer in Ingolstadt, der Seele dieser Veranstaltung, zu danken wissen.
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 28. Juli 1996

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