Sich begegnen im Sinne eines guten Geistes
„Die Wirklichkeit des Heiligen Geistes scheint unserer
Frömmigkeit, in unserem christlichen Bewusstsein und damit auch in unserem
Leben fast stiefmütterlich behandelt zu werden. Ostern und Weihnachten haben
Pfingsten längst den Rang abgelaufen, allenfalls die Pfingstferien deuten noch
auf eine besondere Bedeutung des Festes hin. Doch Pfingsten kann immer noch
eine Hilfe sein zum Nachdenken und damit auch zur Verdeutlichung über das
Wirken des Heiligen Geistes.“
So schreibt der Eichstätter Bischof Dr. Walter Mixa in seinen Gedanken
zum Pfingstfest, (DONAUKURIER, 25. Mai 1996) und wie alle zu Wort oder
Schrift gewordenen Gedanken kann man auch diese ergänzen; vielleicht mit der
Zugabe: Pfingsten kann immer noch eine Gelegenheit sein zum Wiedersehen, zum
Einkehren, zum Rückblicken.
Nostalgie, werden Spötter und oberflächliche
Nachrichtenkonsumenten deklamieren, wenn sie von den medienwirksamen
Heimattreffen der Sudetendeutschen, Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen
erfahren. Wer allerdings die Kraft aufbringt, sich vom politischen
Kundgebungsschein nicht blenden zu lassen, wird sicherlich den wirklichen Sinn
dieser Veranstaltungen erkennen. Es muß ja nicht unbedingt der Heilige Geist
sein, der die Vertriebenen und Aussiedler an Pfingsten zusammenführt; aber es
ist ein Sichbegegnen im Sinne dieses Geistes, der – um es mit Dr. Mixas Worten zu sagen – „besonders
dadurch wirken kann, wie wir uns untereinander im täglichen Leben begegnen“.
Heimweh, Sehnsucht an Pfingsten? Ja! Warum nicht; sind sie
doch der beste Beweis dafür, dass Menschen nicht geistlos wie Pflanzen und
Tiere über diesen Planeten ziehen. Der Augenblick, das Erlebte ist für den Homo
sapiens zwar zeitlich vergänglich, geistig aber keineswegs tot. Und wer mal
eine Heimat verloren oder aufgegeben hat, empfindet rückwärtsgewandte
Gefühlsanstöße viel intensiver. Eben solche Gefühlsstimulantien sind die
Heimattreffen an Pfingsten. Nicht die politischen und folkloristischen Aspekte,
die durch die Blitzlichter der Medien dem deutschen Fernseh- und
Zeitungskonsumenten zugänglich werden, sind das wesentliche dieser
Zusammenkünfte, sondern das, was am Rande stattfindet: die persönlichen
Gespräche der Kinder- und Jugendfreunde von vorgestern und der Nachbarn von
gestern.
Auch die Menschen kleinerer Volksgruppen aus den
Vertreibungs- und Aussiedlungsgebieten Ost- und Südosteuropas spüren das
Bedürfnis , sich zu treffen, um mal wieder erzählen zu können, wie es war, wie
es ist und wie es noch kommen mag. Der eine oder andere Journalist oder einfach
Geschichtsinteressierte sollte bei solchen „kleinen“ Treffen ruhig mal
reinschauen, zuhören und auch mit den Betroffenen reden. Was man da so erfahren
kann, ist durchaus dazu angetan, sich mehr mit der schier unerschöpflichen
Mannigfaltigkeit der deutschen Volksgruppen im leider noch immer sehr fernen
Osten zu beschäftigen.
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Da standen doch tatsächlich zwei junge Männer vor einem vergrößerten Farbfphoto,
das einen von Häuserreihen eingesäumten Bergfluß zeigte, und identifizierten
die Landschaft als ihre Heimatstraße, um im gleichen Atemzug ihre
grundverschiedenen Ahnenwurzeln zu bekräftigen. Während der eine stolz war,
links des Flusses, in der „Teitschi Reih“ aufgewachsen zu sein, rühmte sich der
andere seiner Bubenstreiche von der rechten Flußseite, aus der „Zipser Reih“.
Die Oberwischauer aus Ingolstadt beim Herbstfest in ihrer neuen Heimatstadt
Foto: Mark Jahr
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Dieses und viele ähnliche Gespräche waren an Pfingsten anno
1996 in der Reithalle des Ingolstädter Klenzeparks zu vernehmen. Anlaß dazu gab
die Ausstellung Oberwischauer Land, die
im Rahmen des Heimattreffens der Oberwischauer Ortsgemeinschaft zu sehen war.
Hier trafen sich Mitglieder (ca. 800) der wohl kleinsten deutschen Volksgruppe
Rumäniens.
Banater Schwaben, Bessarabiendeutsche, Berglanddeutsche,
Buchenlanddeutsche, Dobrudschadeutsche und Sathmarer Schwaben; das Blühen und
Verblühen all’ dieser Volksgruppen wird in der Dokumentation Rumäniendeutsche zwischen Bleiben und Gehen, erstellt vom Verein
für das Deutschtum im Ausland e. V. (VDA) und 1990 veröffentlicht, detailliert
geschildert, während die Oberwischauer nur beiläufig erwähnt werden. Dabei ist
gerade das Werden, Gedeihen und Vergehen dieser einst 6000 Seelen zählenden
Volksgruppe im romantischen, weltentlegenen Wassertal geschichtlich und
ethnisch hochinteressant.
Oberwischau (rumänisch Vișeu de Sus) gelegen an der
Einmündung des Flusses Vaser in den Vișeu, wird erstmals 1362 im Maramurescher Diplom erwähnt. Aber
bereits 200 Jahre vorher sollen sich dort sächsische Bergleute niedergelassen
haben. Eine in ihrer Dauer in Europa einzigartige Besiedlungsgeschichte einer
in den Maramurescher Bergen gelegenen, von der Außenwelt weitgehend isolierten
Ortschaft hatte begonnen. 1776 setzte eine Siedlungswelle ein, die jene
Holzfäller, Flößer und Handwerker ins Wassertal brachte, die heute von den
Oberwischauern als ihre Vorfahren geehrt werden und aus der Zips, dem Land
unter der Hohen Tatra (heute Slowakei) stammen.
1778 kamen neue Siedler aus dem Salzkammergut (Österreich)
und 1785 sogar Goldwäscher aus Bayern. Weitere Neubürger aus der Zips sind für
die Jahre 1796 und 1798 vermerkt. Neben Zipsern ließen sich 1812 auch
Einwanderer aus anderen deutschen und österreichischen Landen im Wassertal
nieder, wo seit 1792 ein Sägewerk betrieben wurde. Die letzten Zuzügler waren
nach dem Ersten Weltkrieg zu verzeichnen. Sie kamen aus Österreich.
Obwohl weit abgelegen von den Siedlungsgebieten der großen
deutschen Volksgruppen aus Rumänien, mussten die Oberwischauer deren Schicksal
während und nach dem Zweiten Weltkrieg teilen. Das bescherte auch ihnen
Gefallene, Geflüchtete und Deportierte.
Hoffnungen keimten in der 50er Jahren auf, als man neben
einem deutschen Kindergarten sogar eine deutsche 8-Klassen-Schule einrichtete.
Doch kam schon bald Ceauşescu
mit seinem verheerenden Wirtschaftsgrößenwahn und der alles egalisierenden
Kulturrevolution an die Macht, was auch die Oberwischauer zur Aussiedlung
veranlaßte.
Viele von ihnen standen an Pfingsten vor den Schautafeln in
der Ingolstädter Reithalle und ließen im Geist eine ferne, äußerlich
romantische Welt wiedererstehen. Pfingsten bedeutete für sie bestimmt mehr als
„Pfingstferien“. Sie werden es Georg Faltin,
Vorsitzender der Oberwischauer in Ingolstadt, der Seele dieser Veranstaltung,
zu danken wissen.
Mark Jahr
aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 28. Juli 1996
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