Dienstag, 6. Februar 2018

Moderne Kunst in Ingolstadt

Annemarie Juhasz aus Temeswar im „MO“
Bei einer Kunstausstellung spielt auch das Ambiente eine wichtige Rolle. In der Regel stellen zeitgenössische Künstler ihre Werke in Galerien, Museumshallen, Foyers oder auch in Kundenräumen von Banken aus, schlicht überall dort, wo eine der Kunstrezeption dienliche Atmosphäre der Ruhe und Ernsthaftigkeit herrscht. Und trotzdem gibt es auch eine zweite, eher unkonventionelle Art von Kunstrepräsentation. Als „Kunst in der Kneipe“ ist sie besonders in den Großstädten nicht mehr aus heutigen Ausstellungsmodalitäten wegzudenken. 
Die Ingolstädter Altstadtkneipe „das MO“, zentral, mit Münsterblick gelegen, hat sich schon lange dem Daseinssinn „Kunst-Musik-Lebensart“ verschrieben. Man setzt sich an den Tisch, bestellt sich einen Cappuccino und lässt seine blicke durch die Runde schweifen. Die Wände sind immer mit Bildern behangen. Zurzeit sind es Werke von Annemarie Juhasz, geb. 1949 in Temeswar und jetzt in Ingolstadt beheimatet. 
Als die experimentierfreudige und mutige – Selbstzweifel und Drang ans Licht der Öffentlichkeit fanden ihre Kriegsschauplätze schon immer in Künstlerseelen – Autodidaktin sich vor einem Jahr zum ersten Mal in die aktive Kunstszene wagte, sprach die Ingolstädter Künstlerin Gerda Büttner Biernath von einer Frau, die schon in ihrer Temeswarer Kindheit „die Gegenstandslosen, die Abstrakten, die Konstruktivisten, die Konkreten“ verehrte. Wassilij Kandinskij und Victor de Vasarély stehen als geistige Paten.
Zwei rote Punkte, 1995
Nun sitzt man da und beginnt sich in die 20 Bilder zu vertiefen, regelrecht hineinzudenken, zu träumen. Was mögen sie wohl bedeuten? Wo versteckt sich die wahre Botschaft der Künstlerin? Es sind doch nur geometrische Figuren, farbige, streng abgegrenzt voneinander, dann aber wieder zueinander strebend. Merkwürdig. Diese zwei roten Punkte in der gelben Allee, umsäumt vom stark zwischen hell- und dunkelgrün kontrastierenden Kork. Sie suggerieren einem Temeswarer vielleicht zwei sich suchende Liebende. Aber Rot, mein Gott, ja Liebe, aber auch so viel Leid hat diese Farbe über die Menschheit gebracht. Es ist am besten, man fragt erst gar nicht nach der Symbolik der einzelnen in Acryl, Acryl + Öl, Acryl + Kork gemalten Bilder.
Jedes der Werke sagt wohl einem jeweils anderen Betrachter etwas anderes. Sie regen alle zu Gedankenspielen über die Zukunft, aber auch zum Zurückdenken an. Ja, und verharrt man dann zuletzt bei den „12 Elementen“ aus Acryl (85x130), dann ist man spontan in die Sorglosigkeit glücklicher Kinderjahre katapultiert. So viel Fröhlichkeit, kindliche Stimmigkeit, Kindergartenatmosphäre.
Ohne Titel, 1995
Der Cappuccino ist kalt. Die Bedienung freut sich über das Trinkgeld. Sie hat es für einen Kunstgenuß bekommen. Die Gemeinschaftsausstellung „Ohne Titel – Zwei rote Punkte“ von H. E. Gabriel (Maler, Graphiker, Bühnenbildner, Journalist gewesener Leiter des firmengeschichtlichen Archivs der Audi AG) und Annemarie Juhasz konnte bis zum 22. April 1996 in der Kunstkneipe „das MO“ besichtigt werden.

Mark Jahr


aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 28. April 1996

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