Warum drängen 500 Reschitzaer zu
einem geselligen Zusammensein bei Krenwürstel, Bier und guter Musik? Auch die
neue Tanzunterhaltung des deutschen Operettenensembles schmeckte noch.
von Hans Fink
Die Bewohner von Alt-Sadowa entzünden ein Mailicht, um den
Winter zu vertreiben, die Mitglieder und Freunde des deutschen
Operettenensembles von Reschitza singen und tanzen - gleich 500 nahmen am
vorigen Wochenende an dem sogenannten "Maientanz" teil, der im Namen
des Ensembles in der Kantine des Maschinenbaubetriebs im Lunca-Bîrzavei-Viertel veranstaltet worden ist.
Nach mehr als zwei Wochen Kälte, Regen und Nebel in diesem stark verspäteten
Frühjahr hört sich das Motto der Unterhaltung - "Der Mai ist gekommen
..." - wie ein Glaubensbekenntnis an. Und wie sie tanzten! Von den 500
Stühlen war kaum je ein Viertel besetzt, jung und alt wiegte sich genießend im
Takt der Musik; sobald die Kapelle einmal aussetzte, hörte man sofort
Beifallsklatschen und Bis-Rufe. Als am Tage darauf gegen Mittag die Wolken
beiseite rückten und der hohe blaue Himmel zu sehen war, als im angenehm warmen
Sonnenschein die Kerzen der Kastanien, die Weißdornhecken, die
Kranzlblumensträucher und die halbverblüten Apfelbäume aufleuchteten, konnte
man wahrhaftig meinen, zu diesem Wunder habe effektiv der "Maientanz"
beigetragen ...
Das Operettenensemble ist allmählich zum Mittelpunkt des
kulturellen Lebens der deutschen Bevölkerung von Reschitza und Umgebung
geworden. Es sei hier nebenbei erwähnt: Die Anregungen zur Vortragsreihe in
deutscher Sprache im Rahmen der wissenschaftlich-kulturellen Universität kommen
auch von diesem Ensemble. In der Unterhaltungsbranche mischt es seit drei
Jahren mit. "Das war 1977", berichtet Dipl-Ing. Oskar Ferch, der
Hauptorganisator, "da haben wir gedacht, machen wir mal einen gemütlichen
Abend für die Zuschauer der Operette ... für unser Ensemble und seine Freunde.
Wir organisierten die Unterhaltung im Kulturhaus, damals kamen 350 Gäste, denn
für mehr war nicht Platz. Wir hatten die Loris-Kapelle
eingeladen, die vorwiegend deutsche Unterhaltungsmusik spielte. Der Erfolg war
durchschlagend: Es wurde die ganze Zeit hindurch ununterbrochen getanzt. So
eine gemütliche Unterhaltung mit guter Tanzmusik hatte es seit Jahren nicht
gegeben."
Die Begeisterung über diesen Volltreffer wurde bloß durch
die Unzufriedenheit jener getrübt, die aus Platzmangel nicht hatten teilnehmen
können. Zweifellos war das Ensemble mit seinem Unternehmen in eine Art
Marktlücke gestoßen. Seine Leitung zog die Konsequenzen. Im Februar 1978
veranstaltete sie einen Trachtenball im Kantinensaal des Maschinenbaubetriebs,
wo 600 Personen Platz haben. Auch der Trachtenball, mit Trachtenpaaren von nah
und fern, war ein Erfolg, aber für die Bersaustadt, wo seit langem keine Tracht
mehr getragen wird, nicht ganz das Richtige. Seither findet im selben Raum im
Fasching ein Maskenball und im Oktober der sogenannte Operettenball statt,
immer bei ausverkauftem Haus, wie es in der Fachsprache heißt, ja, die
Nachfrage war jedesmal viel größer als die Zahl der Karten. Und mit dem Essen
wuchs der Appetit; bald schien der Abstand von Februar bis Oktober zu groß. Dem
Wunsch des Publikums entsprechend, wurde deshalb heuer auch ein
"Maientanz" veranstaltet. Die Einnahmen sind zur Finanzierung eines
neuen Bühnen-Vorhabens und künftiger Ausfahrten bestimmt.
Geriss um die Karten
Das neue Vorhaben ist wieder eine Operette von Robert Stolz
(1880 - 1975), zu dem das Ensemble ein besonderes Verhältnis hat, und heißt Tanz
ins Glück. Fünf Stolz-Werke hat Spielleiter Franz Kehr bisher vors Publikum
gebracht. Zum Auftakt geben das Ensemble und sein Chor drei Lieder aus der
geplanten Aufführung zum besten. Dann beginnt der Tanz (und wird nur einmal für
eine halbe Stunde unterbrochen, als Oskar Ferch einen musikalischen
Ratewettbewerb mit ... zehn unsterblichen Melodien von Robert Stolz aufzieht).
Josef Stritt (li.) & Hans Kaszner jun.
Foto: Archiv Kaszner-Kapelle
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Ich komme mir vor wie der Soldat in dem Grimmschen Märchen
von den zertanzten Schuhen, nur dass hier nicht Prinzen und Prinzessinnen das
Tanzbein schwingen, sondern Arbeiter, Arbeiterinnen, Techniker, Hausfrauen,
Beamte und Lehrkräfte. Tango, Ländler, Walzer, Polka, man weiß nicht, was mehr
zu bestaunen ist: die Tanzwut der Gäste oder das Repertoire und die Ausdauer
der Musikanten. Die Hans-Kaszner-Kapelle
aus Jahrmarkt, die zum ersten Mal in Reschitza selbst auftritt, macht ihre
Sache nach allgemeiner Einschätzung sehr gut, insbesondere die zwei
Gesangssolisten Hans Kaszner junior und Josef Stritt werden einhellig gelobt. Viele Tänzer
singen mit. Das ist natürlich in Reschitza, wo man das Singen nicht in der
Schule, sondern in der Familie erlernt. Wo man singt, da lass dich ruhig nieder
... Wenn das Sprichwort stimmt, sind im Kantinensaal hauptsächlich gute
Menschen versammelt. Und wenn einer vielleicht kein besonderes Verhältnis zu Robert
Stolz hat, so muss er doch über gute Beziehungen zum Operettenensemble
verfügen, denn die Karten wurden, wie jedesmal bisher, samt und sonders von den
Ensemble-Mitgliedern verteilt.
Spielleiter Kehr sähe es gern, wenn von den vielen jungen
Menschen, die sich um Karten reißen, mehr als gegenwärtig zum Ensemble stoßen
und nicht bloß bis zur dritten schwierigen Sprechprobe oder bis zu ihrer Heirat
aushalten würden. Der feste Kern beobachtet mit Sorge eine Schrumpfung sowohl
des Ensembles wie auch des Chors und des Orchesters, die bei der kürzlich
vorgenommenen Rollenverteilung besonders schmerzlich zu Bewußtsein kam.
Gäste sogar aus Großscham
Andererseits: Dem Operettenensemble gehören laut Franz Kehr mit
wenigen Ausnahmen immer noch lauter geborene Reschitzaer an, während bei der
Tanzunterhaltung das ganze südliche Banat bis Großscham und Nitzkydorf
vertreten ist; es tanzen hier viele, die im Laufe der Jahre zum Reschitzaer
geworden sind und den Kapellmeister gleichwohl in herzlichstem Schwäbisch
begrüßen. Dipl.-Ing. Oskar Ferch beispielsweise, seit 1958 hier ansässig und
als Leiter der Härterei im Maschinenbaubetrieb tätig, stammt aus Zăbrani, seine Frau Maria, Kindergärtnerin, aus Hodoni. Zum ersten Mal sind
30 Bokschaner unter der Leitung des Meister-Konditors Otto Hengstenberger
geschlossen herübergekommen, für manche hat die Kaszner-Kapelle den Ausschlag gegeben. "Die
Ansprüche an die
Unterhaltungsmusik sind gewachsen, seitdem jeder Vierte oder Dritte Tonbandgerät oder Plattenspieler
besitzt, da weiß man das Gute zu schätzen", erklärt der
Konditor, der in Moritzfeld geboren wurde, in Bokschan wohnt und im Reschitzaer Semenic-Hotel Torten bäckt. "Wären mehr Karten gewesen,
wären 200 gekommen." Der geborene Bokschaner Josef
Wagner, als Schweißer bei der Flotation des Erzbergwerks beschäftigt, gibt ihm
recht.
Von noch viel weiter sind Musikliebhaber zu dieser
Unterhaltung angereist. Bei der Selbstbedienungsstrecke, der Kapelle gegenüber,
lehnt ein alter Schwabe, der Rentner Matz Löch aus Großscham, das von der
Bersaustadt 70 km weit liegt. Mit dem einen Ohr lauscht er in sich hinein und
erinnert sich, wie er vor zwanzig und mehr Jahren zum selben Walzer tanzte. Rentner
Löch erhielt die Karte zum "Maientanz" von seiner Tochter, die als
Wicklerin in der Fabrik für elektrische Maschinen arbeitet und in Reschitza das
Abendlyzeum besucht. Aus Großscham sind noch zehn Kerweibuben da. Gegen Morgen
steht für sie fest.: Im Herbst muss die Kaszner-Kapelle
auch in ihrer Heimatgemeinde aufspielen.
Was hat all diese Menschen angelockt? Ganz offenbar weder
die zwei bescheidenen Programmpunkte, noch das Bier zu den Krenwürsteln. Die
Aussicht auf gute Musik mit beliebten Melodien und die Aussicht auf eine
gemütliche Unterhaltung in zivilisiertem Rahmen haben das getan. "Im
Restaurant ist es teuer oder die Tanzfläche ist zu klein", sagt Schlosser Erwin
Schier, vom Blooming-Walzwerk, 53. "Junge Leute, die nicht ins Restaurant
wollen, können immer noch zu einer Hausunterhaltung, für ältere aber ist so
etwas nicht üblich." Eben: beim "Maientanz" dürfen jung und alt
fröhlich sein. "Nachdem heuer schon drei Tanzunterhaltungen sein
werden", meint zuletzt die Friseuse Angela Stieger, deren Arbeitsplatz
keine 200 m von der Kantine entfernt ist, "könnte die Operettengruppe im
nächsten Jahr ruhig vier organisieren." Sie steht oder vielmehr tanzt
nicht allein mit dieser Ansicht, ja gar nicht wenige Personen sind fest
überzeugt, dass ähnliche Unterhaltungen, würden sie monatlich veranstaltet,
unvermindert viele Tanzlustige anlockten. Man sollte es auf zwölf Proben
ankommen lassen.
aus NEUER WEG, Bukarest, 25. Mai 1980
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