Die
Preisträger des 22. Erzählwettbewerbs der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat
129 Autorinnen und Autoren - unter ihnen auch
viele Laien in Sache Schreiben - haben ihre Arbeiten zu den Themen
Nachbarschaft, Hoffnung und Ernüchterung beim 22.
Erzählwettbewerb der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat eingereicht.
Gewonnen hat ein Profi der Feder.
Die Jury hat den 1. Preis dem 1934 in
Schäßburg / Siebenbürgen geborenen und mit vielen Literaturpreisen
ausgezeichneten Dichter Dieter Schlesak zuerkannt.
Siebenbürgen, durch den Tod hindurch, heißt des Dichters Wanderung zurück in
Zeit und Raum. Die Untertitel Das Dorf, Das Haus, Der Tod,
Das Land gliedern diese Prosa - die nur vom Satzaufbau her als solche
gilt, während sie sich dem Klang nach eher an Lyrik anlehnt - in genau die
Besuchsetappen, die jeder Heimkehrer durchlebt, wenn er nach einigen Jahren des
Wegseins durch den Hof der von verständlichen Vorfreuden geprägten Erwartungen
in das Jetzt tritt. Wer dabei vielleicht den Eindruck hat, daß er nicht
begreift, wie ihm im Augenblick des Wiederdaseins geschieht, der sollte diese
Rückkehr Schlesaks lesen, und er wird sich unschwer mit dessen Fazit
identifizieren können: "Ich kam als Fremder nach Hause. Und wollte es nicht
bleiben. Die Erwartungen waren nicht groß gewesen; das Erstaunen bei dieser
neuen Fremde war viel größer ..."
Wie generationsbedingt Betrachtungsweise,
Wahrnehmungsfähigkeit und letztendlich die Auslegung von gesammelten Eindrücken
sind, kann eine Gegenüberstellung des Schlesak-Textes mit der mit dem 2. Preis
bedachten Arbeit Heidelore Kluges untermalen. Die 1949 in Sehnsen /
Niedersachsen geborene freie Schriftstellerin und Journalistin ist bereits eine
Nachkommin der Vertriebenengeneration. Ihre Impressionen einer Reise nach Danzig
bewegten sie zur optimistischen Überschrift ihres Textes: Polen ist nicht
verloren. Die Autorin entdeckt ein faszinierendes Land. Sie saugt die
äußeren Eindrücke auf, und sie hat die vom Ballast begangenen Unrechts befreite
Fähigkeit, das positive Lebensgefühl eines sich wandelnden europäischen Landes
wahrzunehmen. Ganz anders als bei Schlesak klingt dann auch ihre Bilanz:
"In Polen wird sehr viel heftiger geküßt als bei uns.
[...]
Wenn schon die freundschaftlichen Küsse in
diesem Land so eindrucksvoll sind - wie müssen dann erst die Liebesküsse sein?
Szecześliwa Polska - glückliches Polen!"
Ein Wiedersehen mit Jaroslav traute
der pensionierte Lehrer Herbert Schanze aus der hessischen Stadt. D. sich zu. Er
fuhr in seine böhmische Heimat und siehe da, die Chemie zu seinem Jugendfreund
wurde erst erträglich, als der unförmliche, von Lebensfreude sprühende Enkel
Jaroslavs auftauchte. Man könnte meinen, Margarete Kubelka, die 1923 in
Haida / Nordböhmen geborene Schriftstellerin, hat diese mit dem 3. Preis belohnte
Erzählung als Synthese zu den Texten Dieter Schlesaks und Heidelore
Kluges geschrieben. Es ist die vorurteilsfreie Unbefangenheit der Jugend,
die es der Autorin ermöglicht, ihre Erzählung in einem Happyend ausklingen zu
lassen: "[...] unter dem Schutt der Jahre, der das zum Denkmal erstarrte Bild
einer Freundschaft begraben hatte, hatte sich etwas bewegt."
Auch Elfriede Neumann, geb. 1925 in
Ostramondra / Thüringen, schlägt mit ihrer Erzählung Unterwegs (3. Preis)
in die gleiche Kerbe. Zwischen "Weihnachten 1988" und "Frühjahr 1990" liegen
zwei Welten, in denen der Erler-Hof unberührt blieb. Die zwei Welten - einst
DDR, heute Deutschland - bedeuten für den sächsischen Hof aber auch Weggehen und
Wiederkehr und damit verbunden die Hoffnung auf eine lebenslohnende Zukunft, die
von dem unternehmenslustigen und naturverbundenen Enkel verkörpert wird. Es muß,
es wird anders werden, um wieder zu werden, wie es in ferner Vergangenheit
einmal war. "Über dem Scheunendach zeigt sich ein dicker, gelber Märzenmond, im
Garten setzen die Apfelbäume die ersten, zaghaften Knospen an, und hinter dem
Dorf warten die Felder, wie eh und je."
Ebenfalls einen 3. Preis erhielt Günther
H. Ruddies für seine erfreuliche Botschaft: Der Gumbiner Elch ist
wieder da. Der promovierte Pädagoge und Psychologe (geb. 1928 in Insterburg / Ostpreußen)
widmet sich in seiner mit viel unterschwelligem Humor - man ertappt sich beim
Lesen ständig mit einem Lächeln in den Mundwinkeln - geschriebenen Erzählung der
Bedeutung der Symbolik in der Zukunftssicherung unserer Vergangenheit. Wenn
schon der Mensch nicht bleiben durfte (konnte, wollte), so soll doch wenigstens
ein Denkmal an ihn erinnern: "Traum oder Wirklichkeit? An diese Ausgangsfrage
wird höflichst erinnert. Die einen waren dabei und mögen es anders erlebt haben,
die anderen glauben es nicht, weil sie nicht dabei waren. Versöhnliche und
wahrheitsgemäße Auskunft kann der Gumbiner Elch geben, wieder an Ort und Stelle.
Gern gesehene Besucher in Gussew wird er auf entsprechende Fragen freundlich
anplinkern, wenn es nicht gerade pladdert."
Wollte man eine kurze Gesamtbewertung der
preisgekrönten Arbeiten vornehmen, so könnte man festhalten: Vertreibung und
Aussiedlung reifen langsam aber sicher zu Geschichte und Geschichten und
bereichern so das geistige Erbe des deutschen Volkes. Die fünf Erzählungen
wurden in der Zeitschrift KULTURPOLITISCHE KORRESPONDENZ, Nr. 62/-94, vom 15.
Oktober 1994, veröffentlicht. Erhältlich ist diese Publikation bei der Stiftung
Ostdeutscher Kulturrat, Kaiserstraße 113, 53113 Bonn; Tel. 0228/213766.
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