Rumäniens
Schwierigkeiten mit der parlamentarischen Wirklichkeit
Man stelle sich vor,
Abgeordnete von CSU, FDP, SPD u. a. wechseln von heute auf morgen die Fronten
und werden CDU-Mitglieder. Schließlich hat diese Partei ja in Bonn / Berlin die
meisten lukrativen Regierungsjobs (z. B. Botschafter) zu vergeben. Für jeden
außerhalb der CDU aktiven Politiker mag das wohl ein verlockender Gedanke sein,
und für die CDU selbst darf man ihn wohl auch als Wunschgedanken apostrophieren,
würden diese Vorfälle doch sowohl den Koalitionspartner als auch die Opposition
schwächen. In einer stabilen Demokratie kommen solche Frontenwechsel nur sehr
selten vor, und wenn schon mal, dann versinken die Überläufer schnell in der
Bedeutungslosigkeit. Diese zumindest in der deutschen Politik konstatierbaren
ungeschriebenen Spielregeln deuten auf eine vorhandene ausgeprägte politische
Moral hin. Ab und zu auftretende Selbstbedienungsbedürfnisse bei Politikern mit
ausprägten Zulangqualitäten sind Seltenheiten, die die sprichwörtliche Regel von
der Ausnahme auch bestätigen.
Anders verhält es sich
aber in einer im Werden bestehenden Demokratie. Der wohl labilste
Demokratisierungsprozeß Europas ist zur Zeit in Rumänien zu beobachten. Von den
drei Säulen einer lebensfähigen Demokratie - Politik, Wirtschaft und
Pressefreiheit - steht in dem südeuropäischen Land bloß die Letzte ohne
verhängnisvolle Risse da. Das führt im politischen Leben zu bei uns kaum
nachvollziehbaren Machtkampfmethoden. Die mit der Unterstützung
nationalistischer und altkommunistischer Parteien (PUNR, PRM, PSM) regierende
PDSR (Partidul Democraţiei Socialiste din România
-Partei der Sozialen Demokratie aus Rumänien) hat das Sommerloch mit
Abwerbungsaktivitäten ausgefüllt. Dabei hat man sich nicht nur auf
Parlamentarier beschränkt - der Senator Victor Neagu wechselte von der
PDAR (Partidul Democrat Agrar Român - Demokratische
Rumänische Agrarpartei) zur PDSR -, sondern war auch im kommunalen und
regionalen Bereich tätig. Im Kreis Argeş hat gleich eine
ganze Gruppe von führenden PD-Mitgliedern (Partidul Democrat - Demokratische
Partei, Partei des im September 1991 gestürzten Premierministers Petre Roman)
ihre Partei verlassen. Die Zeitung ROMÂNIA LIBERĂ
schreibt von Übertrittsangeboten der PDSR (einstige FDSN) und von
wahrscheinlichem Wechsel. Auch im Munizipium Bukarest ist ein namhafter
Überläufer von der PDAR zur PDSR zu verzeichnen. Die von der Regierungspartei
ausgelegten Köder liegen sowohl in eigenen Parteifunktionen als auch in hohen
Justiz- und Staatsämtern. Die einstigen PD- und heutigen PDSR-Mitglieder
Caius Dragomir und Eugen Dijmărescu sind z. B.
rumänische Botschafter.
Selbst nach Führern
unpolitischer Organisationen - allerdings muß dieser Begriff auf Rumänien
bezogen noch mit Einschränkungen benutzt werden - strecken die Potentaten der
Regierungspartei ihre Fühler aus. Der Präsident der Gewerkschaftsföderation
Frăţia, Miron Mitrea, scheint ihr erstes Opfer
aus dem Bereich der organisierten Arbeitnehmerschaft zu sein. Hier wurde der
Versuch der Regierung, die Gewerkschaft zum Transmissionsriemen eigener
zentralistischer Wirtschaftsmethoden und auch politischer Entscheidungen zu
degradieren, erstmals seit den Kumpelaufmärschen (1991) wieder offenbar. Der
gute Mann will Vizepräsident der PDSR werden. Den Gewerkschaften in Rumänien
droht ein erneutes Mauerblümchendasein wie zu Ceauşescus
Zeiten.
Ob man das Ernennen von
zwei PUNR-Mitgliedern zu Ministern (18. August 1994) noch als
Absorbierungsvorgang der Regierungspartei nennen darf oder ob man diesen
ungeheuerlichen Vorgang eher als Erpressung der als extremistisch,
nationalistisch und antieuropäisch eingestuften PUNR (Partidul Uniunii Naţionale
a Românilor - Partei der Nationalen Union der Rumänen) werten soll, wird
schon die nahe Zukunft zeigen. Ins Reich der politischen Absurdität - nach
westeuropäischen Maßstäben - rückt allerdings die nach der Paukenschlagumbildung
der rumänischen Regierung von den Führern der PUNR verbreitete Nachricht, daß
noch zwei weitere, schon seit längerem in Amt und Würde stehende Minister
"Sympathisanten" der PUNR wären, dies bloß bisher nicht publik gemacht hätten.
Trotz dieser
unerfreulichen Entwicklung treiben die nationalistischen Extravaganzen des
PUNR-Vorsitzenden Gheorghe Funar auch Blüten, die zu wahrhaft
amüsant-lächerlichen Situationen - der Rumäne würde sagen "situaţii
caraghioase" - führen. In seinem krankhaften Drang, das
Primärexistenzrecht der Rumänen in Siebenbürgen zu dokumentieren, läßt er jetzt
als Klausenburger Bürgermeister das Zentrum dieser geschichtsträchtigen Stadt
aufwühlen, um dort vermutete Ruinen aus der Daker-Römer-Zeit freizulegen. Was
die Archäologen allerdings als Erstes zu Tage förderten, waren zwei wertvolle
österreichische Pfeifen aus der Habsburgerzeit. Ob Herr Funar wohl
Pfeifenraucher ist?
Die Moral vieler
politischer Würdenträger Rumäniens ist mehr als zweifelhaft. Die Opportunisten
beherrschen die politische Szene. Das mag wohl eine der Ursachen für das
Schneckentempo des Demokratisierungsprozesses in diesem Land sein. Mark Jahr
aus DER
DONAUSCHWABE, Aalen,
18. September 1994
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