Dienstag, 4. Februar 2014

Politische Hora wäre nötig

Das politische Geschehen in Rumänien ist jetzt endgültig im Schlamm der Machtkämpfe rivalisierender Gruppen der Regierungspartei Front der Nationalen Rettung (rum. FSN) versunken. Statt sich Gedanken über Reformen zu machen, die das Land aus seiner katastrophalen Wirtschaftslage führen könnten, vergeuden die Parlamentarier ihre Zeit mit endlosen Beratungen zum Gesetz der anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahl. Der beim Amtsantritt Theodor Stolojans (Premierminister) versprochene Apriltermin hat sich längst als Aprilscherz entpuppt. Ein Wahltermin wurde bislang nicht bekanntgegeben.
Der parlamentarische Alltag in Bukarest wird vom rumänischen Kampf der Rosen (Iliescu - Roman) bestimmt. Beim Nationalkonvent der Front der Nationalen Rettung in der letzten Märzwoche sind die Gegensätze der beiden Kontrahenten, eigentlich Produkt der gleichen Zielsetzung - Kampf um die Macht -, in aller Öffentlichkeit aufeinandergeprallt. Dabei wurden von drei eingebrachten Motionen die des Roman-Flügels mit satten 64% zum Plattform-Programm der Front gewählt. Das ist ein Synonym für ein theoretisches Ausscheiden des gegenwärtigen Präsidenten Ion Iliescu aus dem Wettlauf um die Präsidentschaftskandidatur.
Der Hammer ließ nicht lange auf sich warten. Verlieren zu können, gehört nun mal zur politischen Kultur. Weil diese aber in die politischen Auseinandersetzungen der noch immer dunkelrot schillernden Front nicht eingekehrt ist, haben sich prompt einige Senatoren aus der Parlamentsfraktion der Front der Nationalen Rettung zurückgezogen und eine neue Fraktion gegründet, die den noch angeschwolleneren Namen trägt: Grupul Parlamentar Frontul Salvării Naţionale 22 Decembrie (Parlamentsfraktion der Front der Nationalen Rettung 22. Dezember). Auch in der Parlamentskammer haben sich einige alte Front-Abgeordnete zurückgezogen und sind zu der neuen Gruppe, die Iliescu als Präsidentschaftskandidat  will, übergelaufen. Somit ist die Front der Nationalen Rettung eigentlich auch als Partei auseinandergebrochen, was die Opposition in ihrem Streben um die Macht beflügeln müßte.
Leider ist der Konjunktiv hier angebracht. Die Demokratische Konvention (rum. CD) der Oppositionsparteien ist für die Parlaments- und Präsidentschaftswahl noch nicht unbedingt gesichert. Es gibt Stimmen, besonders aus den Reihen der National Liberalen Partei Radu Câmpeanus, die meinen, ein gemeinsames Agieren wäre für die Parlaments- und Präsidentschaftswahl weniger effizient als bei den erfolgreich bestandenen Kommunalwahlen. Die Banater scheinen auch in dieser Diskussion eine Vorreiterrolle übernommen zu haben. Die Temeswarer Filiale der Demokratischen Konvention hat bereits am 9. April bekanntgegeben, daß ihre bisherige Struktur für die anstehenden Legislativ- und Präsidentschaftswahlen beibehalten wird. Das heißt, die National-Liberalen bleiben hier im Konvent. Man scheint erkannt zu haben, daß die von Skandal zu Skandal schlitternde Front der Nationalen Rettung definitiv von den Regierungssitzen verdrängt werden kann. Dazu muss man allerdings mit vereinten Kräften vorgehen. Die Rumänen hatten nie mehr Grund als jetzt, sich in einer politischen Hora die Hände zu reichen, um endlich das kommunistische Gedankengut aus ihrer Gesellschaft zu verdrängen.
Mark Jahr

aus DER DONAUSCHWABE, Aalen, 24. Mai 1992


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen